TProzess in Stade: Wurde „Traummann“ zum Vergewaltiger?

Auf dem Parkplatz am Sieverner See hat sich der Angeklagte mit seinem Opfer, einer jungen Frau, verabredet. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft spielte sich hier im Oktober 2022 stundenlang eine Vergewaltigung ab.Foto: Stehn Foto: Stehn
Er gab sich im Internet als Traummann aus, bescherte seinem Opfer nach dessen Aussage dann aber einen Albtraum am Sieverner See: Nun muss sich ein 33-Jähriger am Landgericht Stade unter anderem dem Vorwurf der Vergewaltigung stellen.
Stade. Monatelang turtelten sie online miteinander, dann verabredeten sie sich zum ersten Date. Doch statt ihrem Traummann zu begegnen, traf sie im Herbst 2022 nachts am Sieverner See in Geestland auf ihren Peiniger und Vergewaltiger. So legt es die Anklage der Staatsanwaltschaft nahe, die zu Prozessbeginn am Landgericht Stade in dieser Woche verlesen wurde.
Falsche Fotos und charmante Worte
Es ist ein ganz widerlicher Fall von Gewalt, Trug und Täuschung, den die 3. Große Strafkammer zu verhandeln hat. Über eine Online-Dating-Plattform suchte und fand der nun angeklagte 33-Jährige sein Opfer und schmeichelte sich ein. Seine gut gewählten Worte garnierte er mit Fotos, die nicht ihn zeigten, sondern einen sympathischen, jungen Mann. Solch einer sitzt tatsächlich nicht auf der Anklagebank. Dort nahm der mutmaßliche Täter Platz, ein untersetzter Mann mit schütterem Haar. Übrigens zusammen mit seiner Lebensgefährtin, denn beide sind zudem angeklagt, einen Sexfilm in Anwesenheit eines kleinen Kindes gedreht zu haben.
Doch im Mittelpunkt des ersten Prozesstages standen die Vorkommnisse vom 23. Oktober 2022 am Sieverner See. Dazu schilderten das Touristenehepaar, dem das Opfer nach geglückter Flucht vor ihrem Peiniger zitternd und verängstigt vor das Auto lief, und die alarmierte Polizeibeamtin ihre Begegnungen mit der jungen Frau. Immer wieder habe sie betont, dass sie eigentlich nicht so blauäugig sei, dass sie einsehe, den größten Fehler ihres Lebens begangen zu haben, und dass sie gar nicht verstehen könne, warum ihr das habe passieren können, schilderte die Polizistin im Zeugenstand.
Parkplatz am Sieverner See als Treffpunkt
Das eigentlich Unvorstellbare begann am Abend vorher. Es sollte nach monatelanger Online-Kommunikation zum ersten Date kommen. Dazu bestellte der als Florian27 agierende Mann die Frau zum Ochsenturm, einem abseits gelegenen Ort zwischen Bremerhaven und Bremen. Dort fand die Frau niemanden vor und schrieb ihrem Rendezvous-Partner. Der schickte ein Standortfoto für den nächsten Treffpunkt. Doch dort, ein dunkles Waldstück, mochte die Frau nicht aussteigen. Als dritter Vorschlag kam der Parkplatz am Sieverner See. Dort fuhr die Frau hin.
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Noch bevor sie ihren Traummann zu Gesicht bekam, legte sie dort wie geheißen eine Augenbinde an. Sie habe gedacht, er sei vielleicht zu schüchtern, erzählte sie später der Polizistin. Um ihn nicht zu verschrecken, habe sie alles gemacht und sich dann auch fesseln lassen – die Hände auf den Rücken. Von da an war sie ihrem Vergewaltiger wehr- und schutzlos ausgeliefert.
Ablenkung für die Flucht genutzt
Das nutzte er auch über Stunden aus. Auf ihre Forderungen, damit aufzuhören, ging er nicht ein. Ihr Flehen prallte an ihm ab, erzählte sie der Polizistin später. Alles ausgehalten habe sie nur, weil sie überleben wollte, auch zuliebe ihrer kleinen Tochter. Als der Vergewaltiger dann Stunden später für Momente abgelenkt war, gelang es ihr, die Augenbinden abzustreifen und zur Straße zu laufen, wo sie im Morgengrauen dem Touristenehepaar in die Arme lief. Das nahm ihr die Handfesseln ab und hüllte sie in Decken, bevor es die Polizei rief.
Landgericht Stade
T Familienfehde endet blutig - Angeklagter äußert sich
Der Angeklagte bestreitet die Vergewaltigung. Das lässt er über seinen Verteidiger ausrichten. Vieles von dem, was die Zeugin sagen wird, sei wahr, äußert der Verteidiger, aber in einem entscheidenden Punkt sage sie die Unwahrheit. Nämlich: Wann sie nein sagte und was danach noch geschah. Das Verfahren gebe es nur, weil die Frau, die vom Verteidiger als „Anzeigeerstatterin“ tituliert wird, über das tatsächliche Aussehen des Angeklagten enttäuscht gewesen sei. „Sie hatte sich was anderes erhofft.“
Aussage steht gegen Aussage
Damit ist ein für die juristische Bewertung schwieriger Fall eingetreten: Aussage gegen Aussage und keine Tatzeugen. Eine umfangreiche Beweisaufnahme ist damit vorprogrammiert. Die Kammer hat daher zunächst fünf Verhandlungstage fest terminiert, der nächste am Dienstag, 16. Januar.
Die Aussage der geschundenen Frau fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Mit Spannung wird die gutachterliche Bewertung eines psychiatrischen Sachverständigen erwartet. Der Vorsitzende der Großen Strafkammer, Richter Marc-Sebastian Hase, sprach von der Möglichkeit der Unterbringung des Angeklagten. Die Angeklagten sind nicht in Untersuchungshaft. (mcw)