TRadio „Veronica“: Cuxhavener Schiff prägte die Piratenwelle der 60er Jahre

"Radio Veronica" begeisterte die europäische Jugend mit internationaler Pop-Musik und flotten Sprüchen. Foto: Wikipedia
Auf einem ausgemusterten Cuxhavener Fischereischiff brachte der Piratensender „Veronica“ in den wilden Sechzigern der Jugend den Pop - illegal und werbefinanziert. Vor 50 Jahren, am 31. August 1974, musste der Sendebetrieb eingestellt werden.
Cuxhaven. Es war die Zeit, als das Radio noch von sich reden machte. Als es in die Schlagzeilen kam und die Politik provozierte. Stationen wie „Radio Caroline“, „Radio Scarborough“ und „Radio Scotland“ spielten in den 1960er-Jahren die neuesten Hits von Schiffen aus, die in internationalem Gebiet vor Holland und England ankerten. Legal war das nicht - bis zum offiziellen Start des Privatfunks war es noch fast 20 Jahre hin. Also hießen die Stationen „Piratensender“. Die Bewegung der Anarchos im Äther fand auch im Cuxland viele Anhänger. Und noch mehr als das: Cuxhaven war am Erfolg eines „Piratensenders“ sogar indirekt beteiligt, wie die Geschichte der niederländischen Station „Radio Veronica“ zeigt.
Holländische Radiohändler hatten im Oktober 1959 in Amsterdam den „Vrije Radio Omroep Nederland“ (VRON) gegründet, um werbefinanzierte Rundfunkprogramme von See aus zu senden. Mitglied Henk Oswald startete am 15. November 1959 eine Testsendung. Er nannte sie „Von hoher See“, doch tatsächlich sendete er dieses Programm von seinem Büro in Amsterdam aus. In den Niederlanden war - wie auch in Deutschland - das Betreiben von kommerziellem Rundfunk untersagt. Das Rundfunkmonopol lag komplett in öffentlich-rechtlicher Hand. Die VRON-Mitglieder aber wollten - wie vor ihnen schon die Dänen - einen Sender betreiben, der außerhalb der Dreimeilenzone vor der niederländischen Küste vor Anker liegen sollte.
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Bei der Suche nach einem geeigneten Schiff wurde VRON im Emdener Hafen fündig. Dort dümpelte das alte Feuerschiff „Borkum Riff“ als Reserve für den Notfall. 1911 bei der Meyer-Werft in Papenburg gebaut, hatte es seinen Dienst auf verschiedenen Positionen der deutschen Nordseeküste versehen. VRON kaufte das Feuerschiff am 9. Dezember 1959 für 63.000 Gulden. Die Emdener Cassens-Werft erhielt den Auftrag, es zu renovieren und es als Sendeschiff auszurüsten.
Am 18. April 1960 verließ die alte „Borkum Riff“ die Emder Werft - mit dem neuen Namen „Veronica“ und unter Panama-Flagge. Gezogen von dem britischen Schlepper „Guardsman“ sollte die Reise - so die offizielle Version - bis Southampton (England) gehen. Tatsächlich aber wurde das Schiff nur in die Nordsee hinausgeschleppt, um dann vor Katwijk in internationalem Gewässer vor den Niederlanden zu ankern.
Im April 1960 nahm „Radio Veronica“ seinen Sendebetrieb auf
Am 21. April 1960 nahm „Radio Veronica“ seinen Sendebetrieb mit internationaler Pop-Musik und flotten Sprüchen auf. Tausende niederländische, englische und deutsche Hörer stellten ihre Radios auf die „Piratenstation“ ein. Was die Techniker des Offshore-Radios offenbar nicht bedacht hatten: Sie störten den Flugfunk von Scheveningen Radio, und VRON sah sich gezwungen, das Projekt zu beenden. Im November 1960 übernahmen die Brüder Bull, Dirk und Jaap Verwey den Seesender. Kurze Zeit später boomte die Werbespot-Nachfrage.
Am 16. November 1964 wurde die „Borkum Riff“ von dem ehemaligen deutschen Heringslogger „HH 294 Norderney“ abgelöst. Die Niedersächsische Hochseefischerei GmbH in Cuxhaven hatte die 44,05 Meter lange und 8,22 Meter breite „Norderney“ in den Jahren 1956 bis 1960 für den Heringsfang vor Island eingesetzt. 1960 wurde das Schiff zur Verschrottung in die Niederlande verkauft, wo die „Radiopiraten“ das Fischereischiff entdeckten.

Das einstige Piratensender-Schiff "Veronica" liegt heute im Stadthafen von Antwerpen und wird als Café genutzt. Foto: Wikipedia/van Bruggen
Die Beliebtheit des Seesenders unter der niederländischen Bevölkerung stieg kontinuierlich. Mehr als fünf Millionen Hörer zählte die Rundfunk-Kontrollbehörde des Landes im Jahre 1961 für „Radio Veronica“. Wurden in den ersten Jahren überwiegend niederländische Schlagerproduktionen gespielt, so entwickelte sich der Sender ab 1965 mehr und mehr zur Popmusik-Station.
Trotz des zunehmenden Drucks der anderen Nordsee-Anrainerstaaten, die Seesender abzuschaffen, ließ die niederländische Regierung „Radio Veronica“ am Leben - auf diversen Demonstrationen hatten Freunde des „Piratensenders“ ihren Hörerwillen dokumentiert.
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Nachdem die Verweij-Brüder aus der „Veronica“-Gesellschaft ausgeschieden waren, gründete sich eine neue Führung mit dem Namen „Veronica Omroep Organisation“ (VOO). Direktoren waren die ehemaligen „Veronica“-Discjockeys Rob Out und Lex Harding. Nach der Novellierung des niederländischen Rundfunkgesetzes musste der illegale Seesender „Radio Veronica“ seinen Sendebetrieb am 31. August 1974 einstellen.
Heute wird die Marke „Radio Veronica“ von der „Sky Radio-Group“ auf legalen und landesweiten Frequenzen als Legende der niederländischen Radiogeschichte aufrechterhalten.
Und was passierte mit der „Norderney“? Nach dem Ende der „Piratensender“-Zeit wurde der einstige Cuxhavener Heringstrawler zu einem Restaurantschiff umgerüstet und gastierte anschließend bei vielen Veranstaltungen in Häfen der Niederlande und in Emden. Heute liegt das Schiff im Stadthafen von Antwerpen und wird als Café genutzt.