TReichsbürger im SV Lehe: Schützenverein soll über „Germaniten“ Bescheid gewusst haben

Im Vereinsheim des SV Lehe trainierte der Reichsbürger bis zu seiner Suspendierung im März regelmäßig. Am 17. März löste der Verein seine Mitgliedschaft auf. Foto: Hartmann
Neue Erkenntnisse im Falle des Reichsbürgers im Schützenverein Lehe: Nach dem Rauswurf des „Germaniten“ erhebt der Bezirksverband Vorwürfe gegen den Verein. Der Vorstand soll länger Bescheid gewusst haben als bisher behauptet – ohne zu reagieren.
Bremerhaven. Der Fall eines Reichsbürgers im Schützenverein Lehe wirft neue Fragen auf: Der Bezirksschützenverband Bremerhaven-Wesermünde erhebt Vorwürfe gegen den SV Lehe. Der Vorstand soll bereits im Herbst 2023 von dem Reichsbürger gewusst haben und ihn trotzdem weiter im Verein schießen lassen haben.
Am vergangenen Sonntag, 17. März, trennte sich der Verein von einem langjährigen Mitglied, das dem Reichsbürger-Spektrum angehört. Mehrere Quellen bestätigen, dass der Schütze der Gruppierung „Indigenes Volk Germaniten“ angehört. Die „Germaniten“ sehen sich als indigenes Volk, dem besondere Rechte in Deutschland zustehen. Der Verfassungsschutz rechnet diese Gruppierung der Reichsbürgerszene zu.
Norddeutschland
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Reichsbürger schoss bis Januar 2024 regelmäßig im Verein
Dem ehemaligen Mitglied wurde schon im Januar 2023 die Waffenbesitzkarte (WBK) entzogen. Schon damals waren Hinweise zur Reichsbürgerszene Grund für die Aberkennung, so das Ordnungsamt Bremerhaven.
Der Schütze gab daraufhin seine Waffen an den Verein. Nach Informationen der Nordsee-Zeitung handelt es sich dabei um eine automatische Pistole und ein halbautomatisches Kleinkalibergewehr.
Schütze durfte nach Entzug der Waffenbesitzkarte weiter am Schießstand trainieren
„Wir haben uns nicht erkundigt, aus welchen Gründen die WBK entzogen wurde“, sagt Bernd Kabelitz, stellvertretender Vorsitzender des SV Lehe. Der Verein sei im Januar 2023 davon ausgegangen, dass die WBK aufgrund eines Unfalls und einer nicht gezahlten Geldstrafe entzogen wurde. Der Schütze sei nicht direkt nach Entzug der WBK vom Schießbetrieb suspendiert worden, sondern im März 2024. Kabelitz spricht von einem „Missverständnis“ bei der Wiedergabe seines Statements.
Der Schütze mit Kontakten ins Reichsbürgermilieu trainierte folglich weiter am Schießstand des SV Lehe. Der Redaktion liegen Beweise vor, dass das Mitglied bis in den Januar 2024 regelmäßig dort schoss. Bernd Kabelitz beteuert, der Verein habe in dieser Zeit nichts von der Sympathie mit den „Germaniten“ gewusst und erst im März 2024 davon erfahren.
Vorstand soll über den Reichsbürger Bescheid gewusst haben
Der Sportleiter des Bezirksverbandes, Thorsten Stein, widerspricht dieser Darstellung. Im Herbst 2023 habe der Vorsitzende des SV Lehe ihm signalisiert, dass ein Mitglied des Vereins ihn sprechen möchte. In dem Gespräch solle sich der Schütze als „Volksdeutscher“ identifiziert und Stein einen Fantasie-Personalausweis der „Germaniten“ gezeigt haben.
Zudem habe er erklärt, Deutschland wäre lediglich eine GmbH und Nachfolgeorganisation der USA. „Einige Tage danach zeigt mir das Mitglied auf dem Kleinkaliberstand seine Selbstladewaffe, die nun im Verein war und dort auf die Vereins-WBK eingetragen war“, sagt Thorsten Stein. Nach NZ-Informationen handelt es sich dabei um ein Sportgewehr, das äußerlich einem Sturmgewehr ähnelt. Seit 2016 gilt im Bundesland Bremen für Reichsbürger ein Waffenverbot.
Nach dieser Begegnung im SV Lehe habe Stein den 1. Vorsitzenden Wolfgang Liedl und Bernd Kabelitz damit konfrontiert. „Dabei stellte sich heraus, dass beide den Sachverhalt kannten und tolerierten“, so der Bezirkssportleiter.
Kabelitz widerspricht und stellt seine Aussage gegen die des Bezirksverbandes: „Wir haben ihn nach dem Entzug der WBK weiter schießen lassen, genau wie die 25 Jahre davor. Es war uns nicht bekannt, was er macht.“
Bezirksverband und Verein planen, sich vor Extremismus zu schützen
Fest steht, dass das Ordnungsamt schon im Januar 2023 über die Kontakte des Mitglieds zu den „Germaniten“ Bescheid wusste und ihm aus diesem Grund die WBK entzog und im Nachgang auch 2024 nicht genehmigte. Wie kann es sein, dass die Behörde den Schützenverein nicht über den Sachverhalt informierte?
Obwohl das Ordnungsamt über den Reichsbürger Bescheid wusste, durfte dieser ohne WBK weiter im Verein mit seinen eigenen Waffen schießen. Laut dem Deutschen Schützenbund werden Vereine nicht informiert, wenn eine WBK abgelehnt oder entzogen wird. Grund dafür ist der Datenschutz der Betroffenen.
Der Fall wird Folgen haben. Sowohl der SV Lehe als auch der Bezirksverband planen ihre Satzungen anzupassen. Beide Organisationen wollen sich so stärker vor Extremismus und radikalen Mitgliedern schützen. „Da sind wir noch schlecht aufgestellt und müssen das ändern“, sagt Thorsten Stein vom Bezirksverband.
Vereine sollen die Möglichkeit haben, Anwärter gesetzeskonform daran zu hindern, in den Verein einzutreten oder sie im Nachhinein rauszuwerfen. Der Bezirksverband will deshalb eine Infoveranstaltung für Schützenvereine in der Region anbieten, um über extremistische Mitglieder und rechtliche Maßnahmen aufzuklären. Der SV Lehe möchte seine neue Satzung noch im kommenden April im Rahmen einer außerordentlichen Generalversammlung anpassen.