TSchicksalsschlag bringt Anna-Lena Meyer auf den Hof von Hartwig Tietjen

Landwirt Hartwig Tietjen ist froh über die Hilfe von Melkerin Anna-Lena Meyer in seinem Stall. Foto: Wenzel
Anna-Lena Meyer ist ursprünglich gelernte Erzieherin. Jetzt melkt sie täglich über 300 Kühe. Ihr Weg in die Landwirtschaft ist ein ungewöhnlicher.
Gyhum. Sobald die Kühe nacheinander in den Melkstand laufen, muss Melkerin Anna-Lena Meyer voll konzentriert und bei der Sache sein. Jetzt ist es wichtig, dass jeder Handgriff sitzt, damit das Melken schnell geht. Gleichzeitig darf sie nicht hektisch oder unruhig werden, denn das würde die Kühe nervös machen. „Es ist wichtig, dass ich beim Melken Ruhe ausstrahle. Kühe sind gemütliche Gewohnheitstiere und lieben die Routine. Sie kennen die genauen Abläufe und merken sofort, wenn etwas anders ist, als sonst oder ich gestresst bin“, weiß die Vollzeit-Melkerin.
Das Wichtigste für den Melkerberuf: Lust, mit Tieren zu arbeiten
Seit drei Jahren ist Anna-Lena Meyer auf dem Hof von Landwirt Hartwig Tietjen in Gyhum im Landkreis Rotenburg zum Melken fest angestellt. Eigentlich ist die 45-Jährige gelernte Erzieherin und hat viele Jahre einen Kindergarten geleitet. Irgendwann erfüllt sie diese Arbeit mit Kindern und Eltern jedoch nicht mehr.
Als Tietjens Frau Ivonne einen Schlaganfall bekam, brauchte der Bauer dringend Unterstützung auf seinem Hof. „Ich kenne Ivonne schon sehr lange. Wir haben zusammen die Erzieher-Ausbildung gemacht und sind seitdem gut befreundet. Ich war sofort bereit, ihr und ihrem Mann zu helfen“, so Meyer.
Auf dem Hof ist Anna-Lena Meyer eine von zwei Melkerinnen. Zweimal täglich melken sie und ihre Kollegin fast 320 Kühe. Ein Durchgang dauert circa vier Stunden. Da das Melken eine routinierte Arbeit ist, lässt sie sich schnell erlernen, meint Landwirt Hartwig Tietjen.
Das Wichtigste dabei: die Lust, mit Tieren zu arbeiten. „Melken ist eine Arbeit, die jeden Tag gemacht werden muss, egal, ob Weihnachten, Ostern oder Wochenende ist. Wer dazu keine richtige Lust hat, wird den Job nicht lange machen“, so Tietjen weiter.
Kühe müssen respektiert, aber nicht gefürchtet werden
Anna-Lena Meyer liebt ihren Beruf als Melkerin. „Ich habe am Ende des Tages das Gefühl, etwas Sinnvolles getan zu haben. Ich bin gern draußen in der Natur, egal, ob es kalt oder warm ist.“ Natürlich macht ihr besonders der Umgang mit den Tieren Spaß. Der enge Kontakt zu den großen Tieren stört Anna-Lena Meyer nicht.
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Die Kühe anzufassen oder zwischen ihnen umherzulaufen, bereitet Meyer keine Probleme. Da eine Kuh zwischen 600 und 800 Kilogramm wiegt, sollten sie mit Respekt behandelt werden. Angst braucht man vor den großen Tieren jedoch nicht zu haben, meint sie. „Kühe sind gemütliche Tiere, ihre Hauptanliegen sind Fressen und Ruhen“, erzählt die Kuhliebhaberin weiter.
Jeder Handgriff sitzt: Melkerin beherrscht ihr Handwerk und die Technik
Bevor die Kühe in den Melkstand kommen, bereitet die Melkerin die Technik vor. Schläuche, Pumpen und Tanks werden auf die Milch vorbereitet. Währenddessen drängeln sich die Tiere schon am Eingang. Sie wissen, was gleich passiert. Anna-Lena Meyer und ihre Kollegin beginnen immer mit den Tieren, die besondere Aufmerksamkeit brauchen, sei es, weil sie frisch gekalbt haben oder krank sind. Ihre Milch findet nicht den Weg in den großen Tank, sondern wird in einzelnen Kannen gesammelt und zum Tränken der Kälber genutzt. Die Behandlung kranker Kühe mit Medikamenten gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Melkerin.
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Bevor sie das Melkzeug an die Zitzen der Euter ansetzt, muss die 45-Jährige jede Kuh vormelken. So schießt die Milch ins Euter ein und kann problemlos von der Maschine abgepumpt werden. Gleichzeitig kontrolliert sie damit die Qualität der Milch. Bei der erfahrenen Melkerin sitzt jeder Handgriff, sowohl am Tier als auch bei der Maschine. Sie hört, ob die Pumpen im Takt melken, oder ob ein technisches Problem vorliegt. Sobald die Kühe in der Melkreihe fertig sind, gehen sie zurück in den Stall. Meyer säubert den Boden und sofort sind die nächsten Tiere dran.
Melkerin hat ein gutes Bauchgefühl für jede einzelne Kuh
Insgesamt „wohnen“ 360 Kühe in dem Gyhumer Stall, es gibt allerdings immer Kuh-Damen, die ein Kalb erwarten und deshalb nicht gemolken werden. Der Mutterschutz für Kühe beginnt acht Wochen vor dem Kalben. Als Melkerin ist es Anna-Lena Meyers Aufgabe, solche Dinge über jedes Tier zu wissen und darauf Rücksicht zu nehmen.
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Meyer kennt jede einzelne Kuh und weiß zum Beispiel genau, welches Tier sich gern anfassen lässt und bei welchem sie beim Melken vorsichtiger sein muss. Sie beobachtet, wenn die Kühe im Melkstand stehen oder wie sie hereinkommen. Wenn sich die Kühe anders benehmen, fällt es ihr auf. „Ich habe für jede Kuh ein Bauchgefühl entwickelt, das mir sagt, wenn etwas nicht stimmt. Wenn sie ruhiger oder nervöser sind als üblich, nehme ich das wahr und versuche herauszufinden, woran es liegt“, erklärt die Melkerin.
Technik unterstützt: Computersystem überwacht die Milchabgabe der Kühe
Neben dem eigenen Auge und ihrem Bauchgefühl hilft Anna-Lena Meyer die moderne Melktechnik dabei, die Kühe auf ihr Wohlbefinden zu überprüfen. Die abgegebene Milchmenge jeder Kuh wird von einem Computer überwacht. Sobald dort größere Abweichungen vom individuellen Durchschnitt des Tieres auftreten, schlägt das System Alarm. Dann wird das Tier genauer unter die Lupe genommen.
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„Kühe sind Wiederkäuer, deshalb sage ich immer: Wenn es aussieht, als würde die Kuh Kaugummi kauen, ist es ein Zeichen dafür, dass es ihr gut geht. Die erste Maßnahme bei einem Verdacht ist immer, die Temperatur zu messen. Ist die Temperatur auffällig, wird der Tierarzt zurate gezogen“, erklärt Anna-Lena Meyer.
Anna-Lena Meyer ist auf einem Bauernhof aufgewachsen
Doch wie ist Anna-Lena Meyer zur Kuhflüsterin geworden? Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen und kennt die Arbeit mit Tieren, seit sie denken kann. Schon als kleines Mädchen hat sie im Stall ihrer Eltern zwischen den Kühen gespielt. „Mein Vater hat meine Schwester, meinen Bruder und mich von Beginn an in die Hofarbeit einbezogen und dabei auch keinen Unterschied zwischen Mädchen und Junge gemacht. Ich habe immer gesehen, wie viel Spaß er an der Arbeit hatte, das hat er an mich weitergegeben“, sagt die geborene Landwirtin. Ihre Eltern betrieben Ackerbau und hatten Schweine und Kühe, den Hof hat ihr Bruder geerbt. „Ich hätte den Betrieb auch gern gehabt“, sagt sie lachend. „Aber mein Vater meinte ‚Dat schickt sich nich für ne Deern‘.“
Der frühe Vogel: Arbeitszeiten werden von der fleißigen Melkerin geschätzt
Heute lebt die 45-Jährige in Volkensen und ist Mutter von drei Kindern. „Meine Kinder sind 21, 17 und 13 Jahre alt, also kommen sie auch schon gut allein klar“, sagt Meyer. Die Arbeitszeiten einer Melkerin sind also kein Problem für das Familienleben. Anna-Lena Meyer fängt morgens um fünf Uhr an, zu melken. Die Nachmittagsschicht beginnt um halb vier. „Die Arbeitszeiten sind für mich ideal. Ich habe mich an das frühe Aufstehen gewöhnt und kann mir meine Zeit frei einteilen“, so Meyer weiter.
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Die Melkschichten erlauben es ihr, eine zweite Tätigkeit auszuüben. Vor kurzem hat sie die Ausbildung zur Dorfhelferin abgeschlossen und geht dieser Arbeit über die Mittagszeit nach. „Sobald ich mit der ersten Melkschicht fertig bin, fahre ich zu einem anderen großen landwirtschaftlichen Betrieb. Dort koche ich das Mittagessen für die Familie und die Angestellten und kümmere mich um den Haushalt. Wenn ich dort alles erledigt habe, komme ich zurück nach Gyhum zur zweiten Melkrunde“, erzählt sie.
Ob sie diese Doppelbelastung und vor allem die körperlich schwere Melkarbeit bis zur Rente durchhält, weiß Anna-Lena Meyer nicht. Sie ist sich aber sicher, dass vor allem die Arbeit mit den gemächlichen Tieren im Moment genau das Richtige für sie ist.