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Psychische Gesundheit

T„Schlagen, um loszulassen“: Wie therapeutisches Boxen in Krisen helfen kann

Luise Schmidt (links, Name geändert) und Boxtherapeutin Petra Kowalkowski (rechts) beim Boxtraining in den Räumen in Lehrte bei Hannover. Die Übungseinheit geht weit über den sportlichen Aspekt hinaus. Es geht auch darum, Traumata zu überwinden.

Luise Schmidt (links, Name geändert) und Boxtherapeutin Petra Kowalkowski (rechts) beim Boxtraining in den Räumen in Lehrte bei Hannover. Die Übungseinheit geht weit über den sportlichen Aspekt hinaus. Es geht auch darum, Traumata zu überwinden. Foto: Schulze/dpa

Luise Schmidt trifft mit ihren Boxhandschuhen gezielt die Platte an der Wand. Beim therapeutischen Boxen kämpfen die Teilnehmer nicht gegen Gegner, sondern um die eigene psychische Stärke.

Von Charlotte Morgenthal Sonntag, 20.07.2025, 14:00 Uhr

Mit geschlossenen Augen schlägt Luise Schmidt (Name geändert) zu. Erst treffen ihre roten Boxhandschuhe den an Seilen befestigten Ball nur zaghaft - dann kräftiger. Es knallt lauter, der Ball schwingt stärker. Schmidt weicht einen Schritt zurück. Gegenüber der 45-Jährigen steht Boxtherapeutin Petra Kowalkowski und beobachtet ihre Klientin ganz genau. „Wie hat sich das angefühlt?“, fragt sie Schmidt, als diese die Augen wieder öffnet.

Die Personalerin Schmidt lässt langsam die Boxhandschuhe sinken. „Ich bin zurückgewichen, wie im Alltag auch“, antwortet sie unzufrieden. „Das muss nicht schlecht sein, einen Schritt zurück zu machen und sich Situationen erst einmal mit Abstand anzuschauen“, sagt Kowalkowski. Deutlich wird: In dem lichtdurchfluteten Raum in Lehrte bei Hannover passiert viel mehr als reines Boxtraining.

Hilfe in Krisensituationen

Kowalkowski begleitet mit dem therapeutischen Boxen unter anderem Jugendliche mit ADHS, Menschen mit Depressionen oder Paare in Krisensituationen. „Die Kombination aus gezielter Bewegung, Konzentration und Selbstwahrnehmung führt oft zu erstaunlichen Ergebnissen, insbesondere auch bei Menschen ohne spezielle psychische Diagnose“, sagt die 54-Jährige.

Sie war jahrelang als Organisationsentwicklerin und Coach tätig und hat dabei unter anderem Führungskräfte oder Paare mit Kinderwunsch begleitet. Zusätzlich absolvierte sie eine von der Ärztekammer anerkannte Zertifizierung zur Boxtherapeutin.

Erinnerungen an eine schwierige Zeit

Für Luise Schmidt kamen nach dem Boxen vor allem die Erinnerungen an ihre langjährige und schmerzhafte Zeit des Kinderwunsches zurück. „Ich habe alles mitgemacht, was es an Fehlgeburten und missglückten Befruchtungsversuchen gibt und habe das damals nicht richtig aufgearbeitet“, sagt sie in einer Pause, und der Blick hinter der Brille wird ernst.

Als vor acht Jahren ihr Sohn auf die Welt kam und später noch der Wunsch nach einem zweiten Kind entstand, reagierten viele Freunde und auch die Familie mit Unverständnis, wie sie berichtet: Sie habe doch ein Kind und solle sich glücklich schätzen. Erst jetzt lerne sie, die Gefühle der Trauer zuzulassen. „Und im eng getakteten Familienalltag auch mal loszulassen, Kontrolle abzugeben und wie beim Boxen, das Atmen nicht zu vergessen.“

Krankenkasse übernimmt Therapiekosten nicht

Die Wirkung des therapeutischen Boxens ist bislang kaum erforscht, die Therapie wird auch nicht von den Krankenkassen übernommen. Vereinzelte wissenschaftliche Studien ließen darauf schließen, dass sich Symptome unter anderem von Angst, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen verbesserten, hielt ein Forscher-Team aus Kanada in einer internationalen Studie vor einigen Jahren fest.

Bei Menschen mit Depressionserkrankungen sieht man sehr schnell, wie sich die oft gebückte Haltung hin zu einem stabilen Stand direkt verbessert und der Blick sich nach vorn richtet.

Sara Delle Karth, Bewegungstherapeutin

Für Sara Delle Karth, Bewegungstherapeutin im Zentrum für Psychiatrie Reichenau am Bodensee, zeigt das therapeutische Boxen oft überraschende Erfolge. „Bei Menschen mit Depressionserkrankungen sieht man sehr schnell, wie sich die oft gebückte Haltung hin zu einem stabilen Stand direkt verbessert und der Blick sich nach vorn richtet.“ Generell könne die Boxtherapie immer vielfältiger bei immer mehr Diagnosen eingesetzt werden.

Petra Kowalkowski fordert Luise Schmidt zum Abschluss des Trainings noch einmal auf, an einer an der Wand befestigten Schlagplatte ihre maximale Kraft zu testen. Schmidt hält hoch konzentriert den Atem an, während sie im rasanten Wechsel und mit voller Wucht auf die Platte schlägt. Zum Schluss lächelt die 45-Jährige sichtlich befreit und stolz, während sie ihre Handschuhe wieder auszieht: „Ich bin heute selbst überrascht, wie viel Kraft ich doch noch hatte.“ (epd/dly)

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