TSie sind dann mal weg: Stader Senioren verreisen mit der VR-Brille

Betreuungskraft Ines Bunk hilft Hans-Uwe Bösch beim Aufsetzen der VR-Brille. Foto: Stehr
Mit Delfinen schwimmen, auf Safari gehen oder durch Hamburg bummeln: Im Pflegeheim Haus Heidbeck können Bewohner virtuelle Welten erleben - erschrecken inklusive.
Stade. Erika Hermann ist heute in Hamburg unterwegs. Sie genießt den Ausblick auf das historische Rathaus von der St. Petri Kirche, schlendert an der Elbphilharmonie vorbei und durch die Speicherstadt. Nach einem Zwischenstopp an der Binnenalster schaut sie sich noch das alte Taufbecken im Michel an, das zwei Weltkriege überstanden hat und staunt über den prachtvollen Altar. An den Landungsbrücken gibt es zum Abschluss noch ein Fischbrötchen.
Virtuell mal eben schnell auf die Blumeninsel
Essen kann Erika Hermann das Brötchen allerdings nicht - die 85-Jährige war nämlich die ganze Zeit virtuell unterwegs. Den Stadtrundgang hat sie durch eine sogenannte VR-Brille erlebt. VR steht für Virtual Reality (auf Deutsch: virtuelle Realität). Gemeint ist damit eine computergenerierte Wirklichkeit, die ein Benutzer mit Hilfe einer speziellen Brille - der VR-Brille - erleben kann. Das Besondere: Weil sich das Sichtfeld mit den Bewegungen des Kopfes verändert, können sich die Nutzer in der virtuellen Welt richtig umschauen.
Seniorenresidenz
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So eine VR-Brille steht den 80 Bewohnern des Pflegeheims Haus Heidbeck im Stader Stadtteil Riensförde seit kurzem zur Verfügung. Erika Hermann lebt seit vier Jahren hier und war schon öfter mit der VR-Brille weit weg. Besonders gut hat es ihr auf der Blumeninsel Mainau im Bodensee gefallen. Einmal ist sie auch mit Delfinen geschwommen. „Das war ganz zauberhaft“, sagt die Seniorin.

Erika Hermann reist mit der VR-Brille gleich nach Hamburg. Einrichtungsleiterin Ann-Christin Martens hilft ihr. Foto: Stehr
„Die Insel Mainau ist der VR-Brillen-Renner, weil viele früher schon mal dort waren und einiges wiedererkennen“, sagt Einrichtungsleiterin Ann-Christin Martens. Insgesamt können die Bewohner zwischen etwa 100 Reisen wählen, jede dauert knapp 15 Minuten. Wer möchte, kann virtuell mit süßen Hundewelpen toben, im Wald entspannen oder meditieren, traumhafte Bergpanoramen genießen oder in Afrika auf Safari gehen.
Pflegeheimbewohner Hans-Uwe Bösch reist gern in deutschsprachige Städte, so wie früher. Der 80-Jährige, der seit zweieinhalb Jahren im Haus Heidbeck lebt, war mit der VR-Brille unter anderem schon in Rothenburg ob der Tauber und hat sich im Weihnachtsdorf von Käthe Wohlfahrt umgesehen. „Man hat das Gefühl, mittendrin zu sein. Einmal hab ich mich fast ein bisschen erschreckt, weil plötzlich ein Radfahrer an mir vorbeifuhr“, sagt der frühere KVG-Mitarbeiter und lacht.

Hans-Uwe Bösch guckt im Katalog, wo die Reise für ihn und Erika Hermann als nächstes hingeht. Einrichtungsleiterin Ann-Christin Martens (links) und Betreuungskraft Ines Bunk halten Tablet und VR-Brille bereit. Foto: Stehr
Im Gegensatz zu Hans-Uwe Bösch und Erika Hermann gibt es im Haus Heidbeck auch Bewohner, die ihr Bett nicht mehr verlassen können. Für die sei das VR-Brillen-Angebot besonders schön, sagt Betreuungskraft Ines Bunk. Sie geht regelmäßig gemeinsam mit den Senioren auf virtuelle Tour, verfolgt alles parallel auf dem Tablet. „So können wir uns auch während der Reise oder hinterher darüber unterhalten und austauschen“, sagt Bunk. Das funktioniere auch mit Angehörigen gut.
Barrierefreiheit
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„Die VR-Brille fördert die Kommunikation auch unter den Bewohnern, die beim Essen von ihren Reisen erzählen“, sagt Ann-Christin Martens. Es gebe auch Bewohner, die sich plötzlich an Dinge erinnern, die lange vergessen schienen. So wie der Bäcker und Konditor, der plötzlich mit Hilfe der VR-Brille wieder in einer Backstube stand und zu erzählen anfing.
VR-Brille kostet 2000 Euro Miete im Jahr
Auf die Idee, eine VR-Brille anzuschaffen, kam Ann-Christin Martens während eines Kongresses in Köln. Sie und eine Kollegin probierten die Brille aus und waren sofort begeistert. Mit finanzieller Unterstützung der Stader Baufirma Lindemann schaffte das Haus Heidbeck 2024 daraufhin zwei Testbrillen an. Die fanden bei den Bewohnern so großen Zuspruch, dass das Pflegeheim für 2000 Euro Mietkosten im Jahr eine feste Brille anschaffte - inklusive regelmäßiger Updates, damit es nicht langweilig wird. Hans-Uwe Bösch und Erika Hermann überlegen schon, wohin sie als nächstes reisen. Es gibt noch viel zu entdecken.
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