TStader Clan-Prozess: Staatsanwältin fordert lebenslang für 35-Jährigen

Der Angeklagte Mustafa M. schützt sein Gesicht mit einem Aktendeckel. Seine Verteidiger Dirk Meinicke (rechts) und Dina Busse nehmen ihn in Empfang. Foto: NDR Niedersachsen
Der Clan-Prozess geht dem Ende entgegen. Am Montag hielt die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer: Sie glaubt an Mord und fordert eine hohe Strafe.
Stade. Es war eine Sache von wenig mehr als einer Minute. Staatsanwältin Dawert schilderte den Ablauf des Tatgeschehens am 22. März 2023 am Salztor in Stade. Innerhalb dieser kurzen Zeit nahm das Unglück seinen Lauf.
Fast gleichzeitig waren die beiden Familien Al-Zein und Miri in drei Fahrzeugen am Salztor aufeinander getroffen. Kahled R. kam aus der Innenstadt und bog in die Altländer Straße ein, wo er in die Seite des Autos eines älteren Bruders des Angeklagten fuhr; 29 Sekunden vor dem tödlichen Messerstich.
Der Angeklagte selbst und zwei weitere Brüder seien nur wenige Sekunden später aus Richtung Altländer Viertel gekommen, sahen das Geschehen, stoppten und stiegen aus. Einer der Miri-Brüder war bereits in den Schwitzkasten genommen, auch sei mit einem Schlagstock auf ihn eingeschlagen worden, so die Staatsanwältin.
Messer bis zum Griff in den Kopf gerammt
Der Angeklagte habe ein Messer aus der Mittelkonsole des Fahrzeugs gegriffen und sei in Richtung der Auseinandersetzung gelaufen. Dort angekommen, habe er Kahled R. das Messer gezielt bis zum Griff in den Kopf gerammt. Der tödlich Getroffene sei umgefallen und bäuchlings auf der Straße liegen geblieben. Dann sei der Angeklagte geflohen. Er habe sich eine Schusswaffe und Munition beschafft, weil er einen Racheakt vermutete, so die Staatsanwältin.
Das Tatgeschehen hatte die Staatsanwältin auf Sekunden genau auf den Videoaufnahmen des Restaurants Klapperina verfolgen können. Die Anzahl der Akteure sei zu sehen gewesen, woher und wohin sie liefen. „Was wir nicht sehen konnten, ist das Tatgeschehen selbst.“ Der Angeklagte war geständig, hatte vor Gericht ausgesagt, dass er auf einen Beteiligten eingestochen habe, um seinen Bruder zu retten. Er habe eigentlich die Schulter treffen wollen.
Angeklagter wollte angeblich die Schulter treffen
Das sei nicht nachvollziehbar, so Staatsanwältin Dawert. Auch habe der Beschuldigte die Situation mehrfach widersprüchlich geschildert: Zunächst, er habe das Messer gegriffen, sei in die Menge gelaufen und habe dann gesehen, dass ein Beteiligter mit einem Schlagstock auf seinen Bruder einschlug. Dann erzählte er, er habe den Ersten, der mit Messer in das Getümmel reinlief, gestochen; seinem Vater habe er berichtet, irgendjemanden gestochen zu haben; und später, den Ersten, den er erreicht habe. Unterm Strich habe es von ihm keine verwertbaren Angaben gegeben, wo der später Getötete wirklich stand, so Dawert.
Der Angeklagte habe während der Haftprüfung vieles und sehr detailliert erzählt, „aber bei den eigentlichen Punkten wird die Einlassung des Angeklagten dünn und widersprüchlich“, erläuterte Dawert. Auch die Zeugenaussagen waren wenig hilfreich: Kein Zeuge habe das dynamische Geschehen insgesamt wiedergeben können. Die Aussagen belegten eher, dass der Getötete gerade nicht an der Auseinandersetzung beteiligt war.
Sachverständiger: Stich wurde gezielt gesetzt
Eine Polizeibeamtin habe ausgesagt, dass das Opfer nicht an einer körperlichen Auseinandersetzung beteiligt war. Es sei in Richtung des Geschehens gegangen und dann sei der Messerstich gefolgt. Ein Zeuge aus der Miri-Familie habe ausgesagt, dass ein Polizist das Opfer daran gehindert habe, mitzumischen. Eine Zeugin sah einen Mann mit einem Messer in der Hand auf einen anderen Mann zugehen.
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Der Angeklagte habe mit „massiver Kraftausübung“ und 61 Stundenkilometern Geschwindigkeit auf das Opfer eingestochen, so die Aussage eines Sachverständigen. Es sei ein einzigartiges Verletzungsbild und nicht kombinierbar mit einem dynamischen Geschehen. Der Stich sei „quasi gezielt“ gesetzt, zitierte die Staatsanwältin den Spezialisten.
Staatsanwältin sieht besondere Schwere der Schuld
Ihr Fazit: Der Angeklagte hat sich des Mordes schuldig gemacht - und sie sieht eine besondere Schwere der Schuld. Das heißt, dass eine vorzeitige Haftentlassung nach 15 Jahren erschwert wird. Der Angeklagte habe aus Heimtücke und niederen Beweggründen getötet, die für Mord ausschlaggebenden Merkmale.
Der 35-Jährige habe sich von hinten genähert, sodass sich das Opfer nicht habe wehren können, erläutert die Staatsanwältin. Kein Zeuge habe eine Abwehrbewegung beobachtet. Der Beschuldigte sei äußerst brutal, vehement und mit großem Krafteinsatz vorgegangen, das deute auf ein großes Aggressionspotenzial hin. Er sei von einem Vernichtungswillen geleitet gewesen. „Wer solche Kraft einsetzt, will sein Opfer töten.“
Der Streit zwischen den Familien begann bereits 2022
Die Vorgeschichte: Der Streit zwischen den beiden Familien soll bereits im Oktober 2022 begonnen haben. Es ging dabei vorrangig um Shisha-Shops in Stade und um einen weiteren in einer Immobilie des Angeklagten in Buchholz. Nach Auseinandersetzungen, bei denen auch Schlagstöcke eingesetzt worden seien, habe es zwei Friedensgespräche gegeben. Doch sie führten nicht wirklich zur Versöhnung. Nur wenige Tage nach dem letzten Friedensschluss weitete ein älterer Bruder des Angeklagten sein Angebot in der Hökerstraße aus und ergänzte das Sportangebot durch Shisha-Vibes. Es folgte am 22. März 2023 ein Überfall der Al-Zeins auf das Geschäft.
Der Prozess wird am 11. August mit den Plädoyers von Nebenklage und Verteidigung fortgesetzt.

Der Clan-Prozess am Stader Landgericht nähert sich dem Ende. Foto: Vasel

Blick auf das Landgericht Stade. Foto: Landgericht
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