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Clan-Kriminalität

TStader Clan-Prozess: Verteidigung nimmt Zeugen in die Mangel

Dinah Busse und Dr. Dirk Meinicke verteidigen im Mordprozess den 34-jährigen Angeklagten.

Dinah Busse und Dr. Dirk Meinicke verteidigen im Mordprozess den 34-jährigen Angeklagten. Foto: dpa

Tag vier im Mordprozess: Die Verteidigung versuchte, Zeugen in Kreuzverhör-Manier in die Enge zu treiben. Vor allem die Schilderungen der 28-Jährigen waren heftig.

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Von Susanne Helfferich
Montag, 18.11.2024, 19:35 Uhr

Stade. Drei neue Zeugen hatte die 1. Große Strafkammer unter Vorsitz von Erik Paarmann geladen. So berichtete ein 47-Jähriger, er sei mit seiner Frau im Auto auf dem Nachhauseweg gewesen und auf der Altländer Straße in Richtung Innenstadt gefahren. Auf Höhe des Kinos seien ihm zwei Männer aufgefallen, ein jüngerer und ein älterer, die aus Richtung Salztor wegliefen und dann bei Klapperina zum Hotel abbogen. Dann sah er, dass sich an der Salztor-Kreuzung ein Unfall ereignet hatte. Er habe wenden wollen, da kam der ältere Mann zurück und mehrere Männer seien sofort auf ihn losgegangen, erzählte er.

Beim Mordprozess im Clan-Milieu bleibt die Polizeipräsenz hoch.

Beim Mordprozess im Clan-Milieu bleibt die Polizeipräsenz hoch. Foto: Vasel

„Ich wählte den Notruf. Es war eine Massenschlägerei. Ich stand unter Schock, meine Frau heulte und der Notruf wollte mich beruhigen, weil der Streifenwagen inzwischen da war“, beschrieb der Zeuge die dramatische Situation.

Er habe jemanden von hinten gesehen, der ein Messer im Kopf hatte, und ein jüngerer Mann sei weggelaufen. Das Opfer sei noch ein, zwei Schritte gegangen und dann auf den Boden gefallen. Als es auf dem Boden lag, habe die Schlägerei geendet und - bis auf zwei, drei Leute - seien alle verschwunden. Einer habe gerufen: „Mein Bruder, helft ihm.“

Zeuge fühlt sich offenkundig bedroht

Verteidiger Dirk Meinicke sprach den Zeugen auf diverse Videos an, die zu dem Geschehen kursierten und die auch bei einer polizeilichen Vernehmung eine Rolle gespielt hatten. So sollen ihn Leute auf die Aufnahmen angesprochen haben. Meinicke: „Wer hat Sie wann was und wo gefragt?“ Dazu wollte sich der 47-Jährige nicht äußern. Er habe Gründe. Als der Verteidiger weiter nachhakte, erklärte er: „Ich habe gesagt, was ich gesehen habe. Mein Leben ist kostbar.“ Auf weiteres Nachfragen erklärte er, Angst zu haben.

Als der Verteidiger weiter insistierte, wer ihm die Videos gezeigt habe, erklärte der Zeuge, dass er die Familie nicht persönlich kenne. Darauf konfrontierte Meinicke ihn damit, dass diese Familienmitglieder immerhin öfter bei ihm im Laden gegessen hätten. „Genau das wollte ich nicht preisgeben“, antwortete der Zeuge - und erklärte, sich nicht mehr zu erinnern.

Co-Verteidigerin Dinah Busse hakte nach: „Haben Sie Kameras in Ihrem Laden?“ Das bejahte der Zeuge. Daraufhin beantragte die Verteidigung die Durchsuchung des Ladens und die Beschlagnahmung der Kameras. Dies lehnte die Kammer ab.

Zeugin: Polizei konnte nichts machen

Ängste steht auch eine 28 Jahre junge Frau aus, die Zeugin des Geschehens am 22. März war. Sie hatte beim Landgericht ein Attest vorgelegt, nach dem sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. Bei einer öffentlichen Vernehmung bestehe die Gefahr einer erneuten Traumatisierung. Daher wurde die Zeugin audiovisuell vernommen.

Sie habe zuerst einen Knall gehört und dann die zwei zusammengestoßenen Autos gesehen. Die Beteiligten seien ausgestiegen. Einer habe ein Messer in der Hand gehalten und sei einem anderen in Richtung Kino gefolgt. Doch als die Polizei anrückte, sei der Verfolger wieder umgekehrt und habe sein Messer bei der Hafenschleuse ins Wasser geworfen.

Einsatzfahrzeuge der Polizei umkreisen das Landgericht.

Einsatzfahrzeuge der Polizei umkreisen das Landgericht. Foto: Vasel

Nachdem die Polizeibeamten aus dem Wagen gestiegen waren, sei plötzlich eine Person aus Richtung Kino mit einem Messer auf einen Mann zugerannt und habe ihm das Messer in den Kopf gerammt. Das Opfer habe mit dem Rücken zur Person gestanden, die angerannt kam. „Die Polizisten standen daneben und konnten nichts machen“, so die 28-Jährige. Es habe eine Rangelei gegeben, „ein großes Durcheinander“, gegen das die Polizei in Unterzahl keine Chance gehabt habe.

Verteidigung nimmt traumatisierte Frau in die Mangel

Auf Nachfrage von Staatsanwältin Dawert berichtete die Zeugin, dass der Messerangriff eine durchgehende Bewegung gewesen sei; der Täter habe noch im Laufen ausgeholt. Ob er mit der rechten oder der linken Hand zugestochen habe, erinnerte die junge Frau nicht mehr.

Anschließend befragte die Verteidigung die Zeugin: Ob sie schon vor dem Vorfall in psychologischer Behandlung war, wollte sie wissen; was sie mit dem Attest bewirken wollte; ob sie Angst habe und wovor; ob ihr Freund Kontakt zu der Opferfamilie habe; wie viele Therapiestunden sie schon hatte; wie die Diagnose sei; wie der behandelnde Arzt heiße; wie viele Räume die Praxis habe; in welcher Etage sie liege; ob sie mit dem behandelnden Arzt oder anderen Ärzten privat bekannt sei; und ob sie ihren Arzt von der Schweigepflicht entbinden würde. Der Vorsitzende Paarmann unterbrach zwischenzeitlich und wollte wissen, wozu diese Fragen gut seien. Ob der Zeugin unterstellt werde, ein falsches Attest vorgelegt zu haben. Doch die hielt sich wacker und bestand auf der Schweigepflicht.

Auch die Aussage der dritten Zeugin deckte sich im Kern mit den Berichten der anderen. Sie kam mit ihrem Auto direkt an der augenscheinlichen Unfallstelle zum Stoppen und musste aus nächster Nähe den Angriff erleben. Der Stoß mit dem Messer auf den Kopf des Opfers vor ihren Augen habe sie schockiert. Aber an Details könne sie sich nicht erinnern.

Der Prozess wird am Mittwoch, 20. November, fortgesetzt.

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