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TStreit vor Ostern: Sind Bachs Passionen antisemitisch?

Sie stehen zu Bach und seiner Passion: Kreiskantorin Sybille Groß und Superintendent Martin Krarup.

Sie stehen zu Bach und seiner Passion: Kreiskantorin Sybille Groß und Superintendent Martin Krarup. Foto: Richter

Niedersachsens Antisemitismus-Beauftragter warnt vor antijüdischen Klischees in Bachs Passionsmusiken - und sorgt vor Ostern für heftige Diskussionen. Auch in Buxtehude, wo Karfreitag die Johannespassion aufgeführt wird.

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Von Anping Richter
Mittwoch, 16.04.2025, 17:50 Uhr

Buxtehude. „Zum ersten Mal singe ich die Johannespassion - und es ist ein wahres Gänsehaut-Erlebnis“, sagt Henning Varnhorn. Er ist einer der 50 Mitwirkenden, die Bachs Vertonung des Karfreitagsevangeliums in der St.-Petri-Kirche aufführen - unterstützt von hochkarätigen Solisten und dem Hamburger Barockorchester, am Karfreitag um 15 Uhr, zur Sterbestunde Jesu. „Wir bereiten das seit zwei Jahren vor“, berichtet Kreiskantorin Sybille Groß. Die Vorfreude ist groß, die Aufregung auch.

Transportiert Bach antijüdische Klischees?

Und ausgerechnet jetzt kommt Gegenwind. Prof. Dr. Gerhard Wegner, Niedersachsens Landesbeauftragter gegen Antisemitismus und für den Schutz jüdischen Lebens, warnt: Die scheinbar wunderschöne, dramatische Passionsmusik transportiere unterschwellig antijüdische Klischees, die zu Bachs Zeit weit verbreitet waren. Insbesondere die Suggestion, dass die Juden am Tode Jesu schuld seien, sei immer wieder der Grund für Antisemitismus in übelster Form gewesen. „Man kann nicht ausschließen, dass das selbst angesichts erhöhter Aufklärung und allgemeiner Bildung unbewusst weiter wirkt“, sagte Wegner dem Evangelischen Pressedienst.

Aufführungen ohne vorherige Hinweise auf diese Zusammenhänge seien verantwortungslos, sagt Wegner, der früher übrigens selbst Pastor und Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland war. Noch besser fände er es sogar, Bachs Passionswerke zumindest eine Zeitlang gar nicht mehr aufzuführen - „in Solidarität mit Jüdinnen und Juden, die gerade jetzt mehr bedrängt sind denn je“.

Die Johannespassion sei schon „starker Tobak“, sagt Superintendent Martin Krarup. Der Bericht einer Hinrichtung werde hier zu einer Weltgeschichte. Die Passion erzähle größtes Leid - und am Ende Hoffnung. „Ich glaube, dass gerade diese Zeit solche Geschichten will“, sagt Krarup mit Blick auf die weltpolitische Lage. Die musikalischen und theologischen Hintergründe der Johannespassion haben Pastor Stephan Jannasch und Kreiskantorin Sybille Groß schon an einem Abend Anfang April für Interessierte beleuchtet. Die Turmkapelle war voll.

Jesus und seine Jünger waren Juden

„Kreuzige, kreuzige!“, singt der Chor der Juden in einer Passage immer wieder und steigert sich dramatisch, so dass die Aggression hör- und spürbar wird. Greifbar. Doch Krarup erinnert daran, dass Jesus und seine Jünger auch Juden waren: „Was denn sonst?“ Das Johannes-Evangelium entstand allerdings siebzig bis achtzig Jahre später. Es erzählt die Geschichte im Rückblick - in einer Zeit, in der sich die Urchristen schmerzhaft von der Synagoge getrennt hatten und im Römischen Reich verfolgt wurden. Vor 2000 Jahren Geschichte könnten Christen nicht weglaufen. So lebte Bach in einer lutherischen Tradition, als er seine Passion schrieb - und Luther war antijüdisch, besonders in seinen späten Schriften. Trotzdem unterstreiche Bach an keiner Stelle irgendwelche antijüdischen Klischees.

Chorsänger mit Tränen in den Augen

„Das Besondere an der Johannespassion ist für mich, wie der Chor in und durch die Erzählung eingebunden wird: das Volk schreit, die Pharisäer und Schriftgelehrten spinnen ihre Fäden, die Kriegsknechte würfeln und mit den Chorälen gibt es eine theologische Einordnung“, sagt die Chorsängerin Stefanie Gresens. Sybille Groß sagt, sie könne sich nicht vorstellen, dass sich jemand so intensiv mit dem Werk beschäftigt wie die, die es selbst singen - „auch kein Theologe“. Bachs Passionen behandeln den Bibeltext, der sonst an Karfreitag auch gelesen würde. Sie erzählen aber noch etwas darüber hinaus. „Mehrere Chorsänger haben mir schon gesagt, dass sie bei den Proben Tränen in den Augen hatten.“

Dass über Bachs Werk auch nach 300 Jahren so diskutiert wird, findet die Kreiskantorin nicht negativ. Ihr sage es vor allem eins: wie gut die Musik und die Texte sind. Sie stellt sich vor, was geschehen würde, wenn sie dem Vorschlag des Antisemitismus-Beauftragten folgen und die Passion nicht aufführen würden: „Was würde uns verlorengehen? Welche Chance? Welche Botschaft?“

Bei der Aufführung von Bachs Johannespassion am Karfreitag werden voraussichtlich mehr als 400 Besucher dabei sein. Bis Donnerstag, 13 Uhr, ist der Vorverkauf geöffnet. Restkarten sollen an der Tageskasse aber noch zu bekommen sein.

Katholiken feiern in Buxtehude Pessach

Wie nah Christentum und Judentum sich sind, ist auch in der Katholischen Gemeinde Buxtehude Thema. Sie besinnt sich mit einem Pessach-Mahl auf die gemeinsamen Wurzeln von Christentum und Judentum. „Die Jerusalemer Urgemeinde feierte selbstverständlich das Pessach-Fest mit den Juden mit“, sagt die pastorale Leiterin Katrin Sobanja. Die synoptischen Evangelien deuten das Abendmahl Jesu mit seinen Jüngern als Pessach-Mahl. Der Gedanke an den Auszug aus dem Sklavenland Ägypten wurde im Abendmahl mit einem neuen Aspekt verbunden: dass Gott Menschen aus der Enge des Todes in die Weite des neuen Lebens führt.

Etwa 40 Menschen werden in St. Mariä beim Pessach-Ritual Bitterkräuter in Salzwasser tauchen, Pessach-Lamm, Fruchtmus und Mazze (ungesäuertes Brot) essen. Die Mazze erinnern daran, dass die Juden nach dem Auszug aus Ägypten keinen Sauerteig hatten, die Bitterkräuter an das bittere Leben in Sklaverei, das Salzwasser an ihre Tränen und das Fruchtmus an den Lehm, mit dem sie Ziegel streichen mussten. Das Pessachritual geht mit dem Löschen der Kerzen zu Ende. Danach wird in die liturgische Nacht übergeleitet.

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