T„Suchthirn kennt keine Grenzen“: Wie Sebastian Conrad die Spielsucht bekämpft
Spielsucht: eine Herausforderung für Betroffene und ihre Angehörigen. Foto: Dedert/dpa
Nach jahrzehntelanger „Spielerkarriere“ hat sich Sebastian Conrad aus der Spielsucht befreit. Nun möchte er mit seiner Erfahrung auch anderen helfen.
Zeven. Seit März 2023 ist Sebastian Conrad spielfrei. Er geht offen um mit seiner Spielsucht. Das bewusste Auseinandersetzen mit dem Thema und das Sprechen darüber helfen ihm. Denn nach dem absoluten Tiefpunkt mit Suizidgedanken vor Jahren geht es dem 48-Jährigen inzwischen weitaus besser. Und er hat jetzt ein sehr persönliches Buch über seinen Weg aus der Abhängigkeit geschrieben, inklusive vieler Ratschläge für Betroffene und Angehörige. Denen möchte er Mut machen. „Es ist eine Einladung zum Mitfühlen, zum Verstehen - und zum Handeln.“
Der Zevener unterstreicht: „Für mich ist das Schreiben zur Selbsthilfe geworden. Mir hat es sehr geholfen, einen guten Umgang mit mir selbst zu finden.“ Sein Buch soll zum Nachdenken anregen und Unterstützer sein. Der Autor weiß aus einer neuen Selbsthilfegruppe in Rotenburg und seiner mehrjährigen Erfahrung aus einer ebensolchen Gruppe in Bremen, dass Suchtkranke Bedarf haben, sich auszutauschen, die sich fragen: Warum verzocke ich mein Geld?
Gedanken niederschreiben empfindet der Autor als Wohltat
Wie ist das Buch entstanden? „Mein Therapeut hat immer gesagt: Tagebuch schreiben“, sagt Sebastian Conrad. So schreibt er zeitweise täglich seine Gedanken auf, „um das mal loszuwerden“. Ein Freund gibt den Impuls, aus seinen Ideen etwas zu machen, eben das Buch. Der Zevener stellt fest: „Mir tut es wahnsinnig gut, die Gedanken ehrlich aufzuschreiben - sich nicht selbst zu belügen.“
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Offen mit der Sucht umzugehen, ist sein Weg. „Das gehört zu mir, zu meiner Vergangenheit, und macht mich ein Stück weit aus, auch wenn es natürlich keine schöne Vergangenheit ist.“ Mit seiner Erkrankung kommt er mittlerweile gut zurecht, versichert er. Auch wenn er, wie einst geschehen, unvorhergesehen etwa einen Spielautomaten sieht und eine Person davor sitzt. „Da habe ich eher das Bedürfnis, mir die Person zu greifen und mich mit ihr zu unterhalten, als mich selbst an den Automaten zu setzen. Das war für mich ein toller Moment. Das zeigt mir, dass ich mich auf einem guten Weg befinde. Ich habe fast keinen Spieldruck mehr.“
Eigeninitiative ist Voraussetzung für Weg aus der Sucht
Weil er trotz dieses Erfolges zuweilen depressive Gedanken hat, macht er sich bewusst, dass er viel geschafft hat, auch wenn es schwierig ist, „weil die Vergangenheit schwer wiegt“. Gibt es ein Rezept gegen Glücksspielsucht? „Der Betroffene muss selbst aufhören wollen, das ist die Voraussetzung“, weiß Sebastian Conrad aus eigener Erfahrung.
Was erwartet den Leser? „Das Buch soll berühren“, sagt der Autor. „Meine Geschichte erzähle ich offen und ehrlich. Mir ist es wichtig, meine Gedanken zu teilen und auf Missstände hinzuweisen.“ Verantwortliche sollten seiner Ansicht nach etwa bei Spielhallen genauer hinschauen, um Menschen mit Suchtproblemen zu schützen. „Wenn jemand fünfmal die Woche in die Spielhalle geht und dort sein Geld hinträgt, dann hat er ein Problem, dann ist das kein Hobby mehr.“
Autor möchte auch Angehörige von Süchtigen erreichen
Und ja: „Mir ist es wichtig, auch Angehörige zu erreichen.“ Denn die haben ihre Sorgen und sind oft überfordert mit der Situation. „Und ich habe auch Freunde belogen und betrogen, sie letztlich verloren. Das Suchthirn kennt keine Moral und keine Grenze“, sagt Sebastian Conrad. „Ekelhaft“, bekennt er rückblickend.
Dass er nach der Hilfe für sich selbst jetzt anderen helfen könnte und dies auch wahrgenommen wird, indem er etwa im Zevener Präventionsrat informieren oder in einer Arbeitsgruppe Sucht im Landkreis Rotenburg mitwirken solle, schildert er sichtlich ergriffen: „Das bedeutet Wertschätzung.“ Überhaupt seien Selbstfürsorge und Achtsamkeit sich selbst gegenüber wichtig. „Ich habe gelernt, Gefühle zuzulassen“, berichtet er.
Spielfrei zu sein bedeutet mehr Lebensqualität
Was bedeutet es, spielfrei zu sein? „Das ist ein ganz anderes Leben“, sagt Sebastian Conrad. Vorher habe er nur dafür gelebt, „entweder zu spielen oder mir Geld zu besorgen“. Es fühle sich gut an, das Leben bewusster wahrzunehmen, entspannter durchs Leben zu gehen. Nicht mehr stets ans Zocken zu denken, hebe die Lebensqualität. „Das tut mir einfach gut.“ Daher möchte er sensibilisieren für das Thema Sucht, nicht verurteilen.
Die Kapitel in dem Buch sollen zeigen, wie komplex die Dynamiken von Sucht, Scham, Rückfall und Heilung sind - „und wie essenziell es ist, sich selbst wiederzufinden, bevor man sich selbst verliert“. So geht es etwa um Tipps im Umgang mit Rückfällen, um positive Glaubenssätze und um Strategien zur Bewältigung von Spieldruck.
Sebastian Conrad. „Für mich war ein großer Wendepunkt, dass ich Papa geworden bin vor fast acht Jahren.“ Der Sohn ist zudem ein Antrieb dafür, dass dieses Buch entstanden ist: „Mein größter Wunsch ist, dass mein Sohn das Buch liest und sagt: Papa, toll, mach dir keine Sorgen. Ich passe auf mich auf.“
Zum Weiterlesen
„Spiel. Sucht. Mich - Mein Weg aus der Abhängigkeit“ von Sebastian Conrad ist als Paperback bei „BoD – Books on Demand“ erschienen, 158 Seiten, 13,90 Euro. ISBN 978-3-6951-7877-3. Es geht um Spielsucht, Selbsthilfe, Selbstfürsorge und Suchtprävention.

Der vermeintliche Kick mit dem Glücksspiel kann schwerwiegende Folgen haben: Süchtige geraten in einen Kreislauf, aus dem man nur schwer herauskommt. Foto: Scholz/dpa
Kontakt zum Autor unter Telefon 0151/ 41316598; E-Mail: s.conradde@gmail.com.
Bei Fragen rund um das Thema Sucht, Alkohol, Drogen, Medikamente und Glücksspiel können sich Bürger im Kreis Stade an die Fachstelle für Sucht und Suchtprävention in Stade wenden. Dort werden Betroffene, Angehörige, Kolleg*innen, Nachbarn, Freund*innen anonym und kostenlos beraten. Die Beratungssgespräche sind vertraulich. Mehr Infos unter https://www.vsm-stade.de/beratung/#gsp. (set)