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RETT-Syndrom

TTochter mit Gendefekt: Hilferuf von Buxtehuder Familie geht im Netz viral

Lisa und Ole Prior hatten zunächst eine Ahnung. Im November 2024 diagnostizierten Ärzte bei ihrer Tochter Mona dann das RETT-Syndrom.

Lisa und Ole Prior hatten zunächst eine Ahnung. Im November 2024 diagnostizierten Ärzte bei ihrer Tochter Mona dann das RETT-Syndrom. Foto: Berlin

Die Tochter der Stader Handballerin Lisa Prior und ihrem Mann Ole leidet am RETT-Syndrom. Mit einem Post löst die Familie eine Welle der Hilfsbereitschaft aus.

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Von Daniel Berlin
Samstag, 15.02.2025, 18:50 Uhr

Buxtehude. Mona lächelt. Sie reibt sich die Hände. Sie sagt „Gi“ und „Gu“. Die Dreieinhalbjährige klettert auf den Tisch, geht zum Schrank, zum Fenster. Die Kleine ist pausenlos in Bewegung. „Sie macht nie Pause“, sagt ihre Mutter Lisa Prior.

Mona hat das RETT-Syndrom. Pro Jahr werden in Deutschland etwa 50 Kinder mit diesem Gendefekt geboren. Eines von 10.000 Kindern leidet darunter. Rein mathematisch kommt alle 25 Jahre in der Stadt Buxtehude ein Kind mit dem RETT-Syndrom zur Welt. Betroffen sind vorwiegend Mädchen. Die Lebenserwartung erkrankter Mädchen gilt als normal. Nur sieben Jungen leben aktuell mit dieser Krankheit in Deutschland.

Zwei Unternehmen erforschen RETT-Therapie

Weil es so selten ist, scheuen Pharmakonzerne offenbar die Erforschung des RETT-Syndroms. In Schottland und in den USA sind zwei Unternehmen allerdings recht fortgeschritten. In den Jahren 2029 und 2030 wollen diese Unternehmen nach TAGEBLATT-Informationen die Zulassung für eine spezielle Gentherapie beantragen. Die Kosten für die Behandlung werden pro Kind auf zwei Millionen Euro geschätzt.

„Wir wollen ein Bewusstsein schaffen für diese Krankheit“, sagen die Eltern von Mona, Lisa und Ole Prior. Die Priors erhielten die Diagnose bei einer gentechnischen Untersuchung im vergangenen November. Sie posteten in den sozialen Netzwerken einen Aufruf, die beiden in Deutschland führenden Vereine mit Spenden zu unterstützen.

RETT-Syndrom Deutschland und RETT Deutschland setzen sich für die Erforschung der Heilung des Syndroms ein und unterstützen Eltern. Der Post von Lisa und Ole Prior ging gerade via Instagram viral.

Die beiden sind bekannt in der Region und gut vernetzt. Ole Prior betreibt das Geschäft Pröhl Tabak & Whisky in der Buxtehuder Innenstadt. Er spielt Handball beim SV Beckdorf. Lisa Prior war Bundesliga-Handballerin beim Buxtehuder SV und spielt heute für den VfL Stade in der Regionalliga.

Spendenaktion beim Heimspiel des VfL Stade

Freunde und Bekannte teilten den Beitrag weit mehr als 100 Mal. Ganze Handballmannschaften spendeten, der Fanclub des Buxtehuder SV, eine Berufsschulklasse aus Stade, Kunden von Ole Prior und viele mehr. „Es ist rührend, wie krass die Hilfsbereitschaft ist“, sagt Ole Prior. Beim nächsten Handballspiel der Stader Frauen am Sonntag, 23. Februar, soll die Spendenaktion einen neuen Höhepunkt erreichen.

Lisa Prior spielt für den VfL Stade in der Handball-Regionalliga. Für das nächste Heimspiel hat die Mannschaft eine Tombola zugunsten der RETT-Vereine organisiert.

Lisa Prior spielt für den VfL Stade in der Handball-Regionalliga. Für das nächste Heimspiel hat die Mannschaft eine Tombola zugunsten der RETT-Vereine organisiert. Foto: Struwe

Lisa Prior beteuert, mit der Aktion der VfL-Handballerinnen nichts zu tun zu haben. Die Motivation für die Tombola, die der VfL im Rahmen des Heimspiels im Sportcampus Stade in Riensförde gegen den TV Hannover-Badenstedt II (Anwurf: 17 Uhr) veranstaltet, kam aus der Mannschaft. „Jede aus der Mannschaft hat Preise von Firmen aus der Region besorgt“, sagt Lisa Prior. Den kompletten Erlös aus dem Verkauf der Tombolalose spendet der VfL an die Vereine, die sich für die Erforschung des RETT-Syndroms einsetzen.

Der in Sachen RETT-Syndrom führende Mediziner in Deutschland, Prof. Dr. Bernd Wilken, Direktor der Neuropädiatrie am Klinikum Kassel, erklärt die genetische Erkrankung so: Zunächst entwickle sich ein Kind ganz typisch. Im Alter von sieben, acht Monaten stagniere allerdings die motorische Entwicklung.

Reittherapie hilft bei Skoliose

„Die Kinder verlieren bereits erworbene Fähigkeiten“, sagt Wilken. Laufen, Handbewegungen, Sprache. Die meisten Kinder können gar nicht sprechen. Nicht selten setzt eine Skoliose, also eine Krümmung der Wirbelsäule, ein. Die Kinder leiden an Verstopfung, haben Schlafstörungen oder Epilepsie. „Für einige Probleme gibt es Lösungen“, sagt Wilken. Reittherapie sei das Beste gegen eine Skoliose.

Prof. Dr. Bernd Wilken beschäftigt sich am Klinikum Kassel mit RETT-Kindern und berät die Eltern.

Prof. Dr. Bernd Wilken beschäftigt sich am Klinikum Kassel mit RETT-Kindern und berät die Eltern. Foto: Privat

Anderthalb Jahre lang entwickelte sich Mona augenscheinlich ganz normal. „Sie hat immer schon schlecht geschlafen“, sagt Lisa Prior. Aber dann stellten die Eltern fest, dass Mona unempfindlich in Sachen Schmerzen und Kälte ist. Mona griff im Winter an die Heizungsrohre und stand in der Ostsee seelenruhig im kalten Wasser. Sie kann Gefahren nicht einschätzen.

Dieses Verhalten zeigen auch autistische Kinder. In der Tat ähneln sich die Symptome. Als Mona allerdings damit begann, sich permanent die Hände zu reiben, entwickelte sich bei Lisa und Ole Prior mehr als eine Ahnung.

Experte aus Kassel berät Eltern von RETT-Kindern

Die eigentliche Ursache für das RETT-Syndrom scheint erforscht zu sein. 1966 beschrieb der Wiener Kinderarzt Andreas Rett das Syndrom das erste Mal. Allerdings noch fehlerhaft. Knapp 20 Jahre später definierten Experten das Syndrom genauer. Wilken beschäftigt sich mit dem Thema seit 1994 und arbeitet seit 25 Jahren als ärztlicher Berater für Eltern betroffener Kinder.

Lisa Prior beschreibt Mona als fröhliches Kind. „Aber sie spricht nicht. Sie interessiert sich nicht für Spielzeug oder Fernsehen“, sagt die Mutter. Musik scheint die Dreieinhalbjährige zu reizen. Dann hält sie inne und sucht den Blickkontakt. Lisa Prior ist überzeugt, dass Mona versucht, zu kommunizieren. Mit ihrer Mimik und mit ihrer Gestik. Die Familie ist in einer Lernphase.

Mona könnte den ganzen Tag essen. „Aber wenn man ihr einen Teller mit Essen vor die Nase stellt, würde sie verhungern“, sagt Ole Prior. Die Eltern füttern die Kleine.

Betroffene Kinder kommunizieren mit den Augen

Das Gehirn der RETT-Kinder funktioniert. Allerdings ist die Kommunikation der Zellen gestört. Auch wenn die Informationen mit einer Geschwindigkeit von 50 Metern pro Sekunde durch den Körper schießen, kommen sie zum Beispiel bei den Händen nicht immer an. Der Experte aus Kassel sagt, dass RETT-Kinder kommunizieren wollen. „Sie wollen interagieren“, sagt Wilken. Sie machen das mit den Augen. Eltern können lernen, diese Sprache zu verstehen. Aber das dauert.

Mona besucht sechs Stunden am Tag die Kita der Lebenshilfe und wird in einer Sechsergruppe heilpädagogisch betreut. Lisa und Ole Prior arbeiten bis zum frühen Nachmittag. Ole Prior in seinem Laden, Lisa Prior im Büro. Der Nachmittag und die Nacht gehören Mona. Oft hilft die Verwandtschaft. „Es ist emotional belastend und anstrengend“, sagt Lisa Prior. Manchmal, erzählt sie, während der paar Stunden im Büro, denkt sie, das Leben sei ganz normal.

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