TTuS Güldenstern Stade: 70 Fußballer huldigen ihrer wahren Liebe

Manfred „Manni“ Drechsel: „Stade muss heute in der Bezirksliga gegen D/A III spielen.“ Foto: Berlin
Sie feiern einen Verein, den es schon seit acht Jahren nicht mehr gibt. Sie trauern der TuS Güldenstern Stade nach. Bei einem Fußballturnier auf der Camper Höhe reißen alte Wunden wieder auf.
Stade. Felix von Ass hat den Güldenstern-Schal in seinem Schrank wiedergefunden. Irgendwo muss er auch noch Kisten mit alten Trikots haben. Der heute 32-Jährige gilt als Edelfan. Von 2006 bis 2016 unterstützt von Ass die TuS Güldenstern Stade bei jedem Spiel. „Güldenstern hat mich damals gut aufgenommen. Das waren rosige Zeiten“, sagt er. Leider habe er auch die Fusion erlebt.

Edelfan Felix von Ass hat seinen Güldenstern-Schal im Schrank wiedergefunden. Er war gut zehn Jahre lang bei jedem Spiel dabei. Foto: Berlin
Seit acht Jahren gibt es die TuS Güldenstern Stade nicht mehr. Der Verein verschmolz damals mit dem VfL Stade. Ganz verschwindet der Name nicht. Die Fußballabteilung des VfL firmiert seit der Fusion 2016 unter dem Namen VfL Güldenstern Stade. Die, die damals die Fusion vorangetrieben hatten, sagen, dass die TuS Güldenstern zwei Jahre später pleite gewesen wäre. Dennoch stirbt ein Stück Stader Sportgeschichte. Am vergangenen Sonnabend lebt sie wieder auf.
Die 100 Jahre alte Haupttribüne ist gesperrt
70 Fußballer huldigen am Wochenende einem Verein, den es nicht mehr gibt. Die TuS Güldenstern Stade wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Alle 70 Kicker hatten irgendwann mal einen Spielerpass mit dem Güldensterner Stempel. Das ist Bedingung. Und sie feiern auf der Camper Höhe. Ihrer geliebten Sportanlage im Herzen der Stadt. Vor der Kneipe stehen Bierzeltgarnituren. Der Wirt schenkt Bier aus und brät Würstchen. Bälle, die knapp am Tor vorbeirauschen, donnern direkt in die Menschentrauben am Fuß der patinabesetzten Tribüne, zu der der Zugang aus Sicherheitsgründen seit Jahren versperrt ist.

Diese Liebesbekundung haben die Fans der TuS Güldenstern auf ein Transparent gemalt. Foto: Berlin
„Wahre Liebe endet nie.“ Die Legenden sind alle da. Die Drechsels, die Breuers, die Speers, die Brokelmanns. Das Motto des Tages ist Programm. Unter dem Bierzelt hat jemand ein leicht vergilbtes Transparent aufgehängt. „Stade‘s Große Liebe“ steht da drauf. Dazwischen prangt das rot-schwarze Logo mit dem großen G. Die Organisatoren Dusty Breuer und Christian Neumann fanden noch einen weißen Satz Originaltrikots in ihrem Fundus. Die Jerseys spannen ein wenig am Körper. Den Rest haben sie nachbestellt.
„Hundertprozentige Feindschaft“ zum VfL Stade
Mit 31 Jahren sind Neumann und Breuer noch recht jung. Beide erzählen, dass sie sich bei der Abstimmung zur Fusion vor acht Jahren enthalten hatten. „Die Fusion war wahrscheinlich richtig. Aber erfreut waren wir nicht“, sagt Breuer. Güldenstern sei schließlich ihre Familie gewesen. Dann hat sich ein neuer, ungeliebter Partner in die Ehe eingeschlichen.
Neumann und Breuer sprechen heute noch von „hundertprozentiger Feindschaft“. Neumann hat die Sportanlage des VfL Stade in Ottenbeck vor sieben Jahren das letzte Mal betreten. Und das werde auch so bleiben. Die beiden schmunzeln. „Vielleicht“, sagen sie, „sind wir ein wenig ewiggestrig“.

Christian Neumann (links) und Dusty Breuer haben das Turnier organisiert: „Vielleicht sind wir ein wenig ewiggestrig." Foto: Berlin
In dem für den Stader Fußball geschichtsträchtigen Jahr 2016 ging es viel um Identifikation. Einige fühlten sich verraten und lebten ihren Zorn in den sozialen Netzwerken aus. Nur bei der Abstimmung waren die Hardliner offenbar nicht dabei. Der VfL Stade und die TuS Güldenstern Stade erhielten für die Fusion eine qualifizierte Mehrheit.
Camper Höhe für Naherholung und Schulsport
Kritiker sagten später, sie hätten der Fusion nicht zugestimmt, wenn sie vorher gewusst hätten, dass die Camper Höhe als Sportstätte nicht erhalten bleibe. In einem sogenannten Werkstattverfahren entstand der Beschluss, die Camper Höhe als Naherholungs- und Sportfläche und für den Schulsport zu nutzen. Was aus der über 100 Jahre alten Tribüne wird, ist bis heute offen.

Thomas Breuer (links) und Frank Speer trauern den alten Zeiten nach. Foto: Berlin
Frank Speer „trauert den alten Zeiten nach“, wie er sagt. Am letzten Tag vor der Fusion habe er widersprochen, dem VfL Stade beizutreten. Er schloss sich lieber dem TSV Wiepenkathen an. Speer erinnert sich gern an die „Riesenfamilie“, an die Kameradschaft, daran, dass jeder für jeden da gewesen sei. Für seinen Sohn Kevin Speer kam der „Erzfeind“ nicht in Frage. Der 31-Jährige ist heute Co-Trainer bei A/O.

Kevin Speer war seinerzeit kein Freund der Fusion. Er wollte „nicht mit dem Erzfeind zusammengehen". Foto: Berlin
Auch Thomas Breuer hätte der Fusion nicht zugestimmt, wenn er gewusst hätte, was aus der Camper Höhe wird. Aber alle drei schlüpfen an diesem Tag ins rot-schwarze Trikot, weil sie die Jubiläumsfeier für eine „Top-Idee“ halten, weil sie Freunde treffen, die sie seit Jahren nicht gesehen haben. „Güldenstern war etwas Besonderes“, sagen sie.
Die Vision von einem großen Fußballverein
Manfred Drechsel ist heute 76 Jahre alt. Der Mann hat Ballgefühl, er verteilt geschickt die Kugel auf dem Platz. Nur beim Zweikampf prallt er von seinem Gegenspieler ab. Knapp 60 Jahre TuS Güldenstern stecken in diesem einen Trikot. Drechsel hatte lange vor der Fusion schon visionäre Ideen.

Manfred Drechsel ist heute 76 Jahre alt. Knapp 60 Jahre davon verbrachte er bei der TuS Güldenstern Stade. Foto: Berlin
Den Fußball wollte er zentralisieren. Einen Fußball-Großverein auf der Camper Höhe. Auf einer Anlage mitten in Stade, zentral gelegen, mit kurzen Wegen für den Nachwuchs. Bei den Mitbewerbern kam das nicht gut an. „Heute muss ich die Fusion akzeptieren. Aber es ist passiert, was ich geahnt habe: Der Fußball wird nicht ernstgenommen.“ Die Dorfvereine liefen der Stadt den Rang ab. Der VfL Güldenstern Stade spielt in den Niederungen der Bezirksliga heute gegen D/A III.
Bei 30 Grad bleibt Felix von Ass den ganzen Nachmittag standhaft. Den Fanschal nimmt er nicht ab. Das rot-schwarze Erinnerungsstück wird wohl erst am Abend wieder für ein paar Jahre in der Kiste verschwinden. Bis die alten Haudegen wieder auf ihr Herz hören und für die nächste Zeitreise bereit sind.

Meikel Klee spielte vier Jahre lang für Güldenstern und wechselte dann zum heutigen Regionalligisten SV Drochtersen/Assel. Foto: Berlin