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Clan-Kriminalität

TTumulte, Aggressionen und Beleidigungen auf offener Straße

Vor dem Landgericht Stade herrschte vor Beginn der Verhandlung am Dienstag dichtes Gedränge.

Vor dem Landgericht Stade herrschte vor Beginn der Verhandlung am Dienstag dichtes Gedränge. Foto: Vasel

Vor dem Mordprozess treffen die Clan-Familien Miri und Al-Zein vor dem Landgericht Stade aufeinander. Es wird geschrien, beleidigt und gefilmt. Auch Fäuste werden gehoben.

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Von Susanne Helfferich,
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Von Björn Vasel
Dienstag, 05.11.2024, 19:14 Uhr

Stade. 8.30 Uhr, eindreiviertel Stunden vor dem eigentlichen Prozessbeginn. Die Stadt wirkt fast ausgestorben. Keine Polizei weit und breit. Nur Parkverbotsschilder rund um das Landgericht lassen ahnen, dass hier - laut Gericht - „eine besondere Gefährdungslage“ über der Innenstadt schwebt.

Schon jetzt sammeln sich die ersten Angehörigen des Al-Zein-Clans vor dem Seiteneingang des Landgerichts Stade in der Ritterstraße. Die Stimmung ist aufgeladen. In einigem Abstand stehen Mitglieder des konkurrierenden Miri-Clans am Wilhadi-Kirchhof und beobachten das Geschehen in der Ritterstraße. Der Zutritt zu dem Mordprozess war dorthin verlegt worden, um das spektakuläre Verfahren vom sonstigen Geschehen zu trennen. Angeklagt ist ein 34-Jähriger aus dem Miri-Clan. Er soll am 22. März dieses Jahres einen 35-Jährigen aus dem Al-Zein-Clan mit einem Messerstich in den Kopf getötet haben.

Zuschauer, Angehörige und Journalisten warteten in einem Pulk auf den Einlass.

Zuschauer, Angehörige und Journalisten warteten in einem Pulk auf den Einlass. Foto: Vasel

Clan-Mitglieder fotografieren Journalisten

Einlass ist für 9.30 Uhr geplant, Prozessbeginn um 10.15 Uhr. Die Anspannung vor dem Gerichtsgebäude wächst. Während immer mehr Angehörige hinzukommen, positioniert sich die Bereitschaftspolizei mit mehreren Mannschaftswagen. Polizisten steigen aus ihren Fahrzeugen, ziehen sich ihre Schutzwesten über und stellen sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf. Die Menge wird immer dichter.

Mittendrin Berichterstatter unterschiedlicher Medien; wohl wissend, dass die zwölf Presseplätze der Reihe nach vergeben werden. Sich zurückzuziehen aus der Gruppe der Wartenden ist keine Option. Die Clan-Mitglieder zücken ihre Handys und filmen die Journalisten mitten unter ihnen - die lassen sich nicht einschüchtern.

Plötzliche Unruhe. Auf der anderen Straßenseite sammeln sich Männer des Miri-Clans. Mehrere Frauen auf der Seite der Al-Zeins fangen an zu schreien. Männer des Miri-Clans wechseln die Straßenseite, gehen mit erhobenen Fäusten auf die Wartenden zu. Die Bereitschaftspolizei greift nicht ein. Auch nicht die auf organisierte Kriminalität spezialisierten Ermittler, sie beobachten nur. Erst kurz vor Öffnen der Tür erscheinen ein Wachtmeister und eine Wachtmeisterin und erreichen, dass die Presse zuerst durchgelassen wird.

Kräfte der Bereitschaftspolizei greifen zunächst nicht ein.

Kräfte der Bereitschaftspolizei greifen zunächst nicht ein. Foto: Vasel

Strenge Kontrollen beim Einlass

9.30 Uhr. Die Tür öffnet sich. Immer nur eine Person wird eingelassen, muss sich ausweisen, wird abgetastet und durchleuchtet, darf als Journalist oder Journalistin nur Schreibblock, zwei Stifte und Brille mitnehmen. Der Rest kommt in ein Schließfach. Eine Schlüsselkarte wird ausgehändigt. Der Nächste. 41-mal. So viele Plätze stehen zur Verfügung, davon zwölf für Medienvertreter.

10.30 Uhr. Es ist zäh. Vor einer Viertelstunde sollte die Hauptverhandlung im Schwurgerichtssaal begonnen haben. Acht Zuschauerplätze sind inzwischen belegt. Bleiben noch 21 Plätze. Die beiden Nebenkläger, Brüder des Getöteten, betreten den Raum und werden von ihren Anwälten Lorenz Hünnemeyer und Rainer Mertins in Empfang genommen. Auf der anderen Seite die Verteidiger Dr. Dirk Meinicke und Dinah Busse.

Um 11 Uhr reicht es den beiden Strafverteidigern: Mit den Worten „ich bin doch nicht der Trottel hier, während die Kammer und die Staatsanwaltschaft im Warmen sitzen“ verlässt das Duo den Saal und geht Kaffee trinken. „So etwas wie hier habe ich noch nie erlebt, selbst bei 9/11 nicht“, behauptet ein erfahrener Boulevard-Journalist.

11.33 Uhr. Die letzten Zuschauerplätze sind belegt, und auch die Verteidiger sitzen wieder an ihrem Platz. Die Staatsanwaltschaft - Frau Dawert und Herr Oertelt - kommen aus ihren Büros, Justizmitarbeiter füttern die Mikrofone mit frisch geladenen Akkus und ziehen für die lauernden Fotografen die Bannmeile von zwei Metern zum Pult des Angeklagten.

Witwe beschimpft im Gerichtssaal den Angeklagten

Um 11.46 Uhr wird der Angeklagte vorgeführt. Gellendes Geschrei. Die Witwe des Getöteten beschimpft den Angeklagten. Mehrere junge Frauen stimmen ein. Die Mutter des Getöteten versucht, ihre Schwiegertochter zu beruhigen. Justizmitarbeiter verwarnen die Zuschauerinnen, die nicht einmal ganz verstummen, als um 11.48 Uhr die 1. Große Strafkammer den Saal betritt. Der Vorsitzende Richter Eric Paarmann ruft die Strafsache Mustafa M. auf. Und noch bevor Staatsanwältin Dawert die Anklage verlesen kann, muss das Gericht darüber beraten, ob auf Antrag von Verteidiger Meinicke die Ehefrau seines Mandanten als Beistand zugelassen wird. Dabei sieht der Paragraf 149 der Strafprozessordnung das ausdrücklich vor.

Nebenkläger-Anwalt Lorenz Hünnemeyer lobt später vor dem Landgericht Stade gegenüber einem Journalisten die Arbeit der Stader Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Sachverhalt sei durch die Ermittlungsbehörden „minutiös aufgenommen und ermittelt“. Er rechnet mit einer Verurteilung des Angeklagten - lebenslang wegen Mordes.

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