TÜber 100 Tage Wandern: Bettina Wiebe geht von Stade nach Rom

Bettina Wiebe beginnt ihre Reise nach Rom beim St. Johanniskloster. Foto: Anping Richter
Mit dem Flugzeug wäre es in zwei Stunden zu schaffen. Doch Bettina Wiebe geht zu Fuß nach Rom. Für die Buxtehuderin ist der Weg das Ziel: Pfingstsonntag ist sie in Stade auf der Via Romea Germanica gestartet. Vor ihr liegen 2200 Kilometer Pilgerweg.
Stade. Bettina Wiebe reist mit leichtem Gepäck. Wer 2200 Kilometer gehen will, überlegt sich genau, was in den Rucksack darf. Sie hat jedes Teil abgewogen und versucht, die leichteste Variante zu finden. Sogar beim Ladekabel. Unterwegs will sie das Handy aber am liebsten nur abends einmal anmachen.
Diesmal lässt sie den Kapitän alleine zurück
Wiebe ist schon viel gereist und weit gewandert. Doch die Reise, zu der sie an diesem Pfingstsonntag um 9.15 Uhr im Hof des Stader St. Johannisklosters am Startpunkt der Via Romea Germanica aufbricht, ist anders als alle bisherigen. Bettina Wiebe geht diesen Weg allein - ohne den Kapitän.
Der heißt Tönnies Kohrs und ist manchen vielleicht aus Bettina Wiebes Kulinarik- und Reiseblog bekannt: Captain‘s Dinner. Weil er von Berufs wegen ständig um die Welt schippert, genießt er in der Freizeit gern festen Boden unter seinen Füßen. Zusammen sind sie viele lange Wege gegangen. „Weitwandern macht süchtig“, sagt Bettina Wiebe.

Am Denkmal des Abts Albert in Stade schickt Streckenpatin Sigrid Strüber (Zweite von links) Gilbert Keiser, Bettina Wiebe, Tönnies Kohrs und Lorenzo Cesana (von links) auf den Weg. Foto: Anping Richter
Auf dem Moselsteig - „unfassbar schön“ - gingen sie 500 Kilometer in 24 Tagen, durch die Eifel waren es 15 Tage bei Regen, mal nass, mal triefend nass. „Aber bei Sonne wandern kann ja jeder“, sagt Wiebe. Diesmal wird Tönnies Kohrs nur drei Tage mitgehen können. Er muss zurück aufs Schiff.
Ein italienischer Freund brachte sie auf die Idee
Dafür starten mit Bettina Wiebe zwei Wanderfreunde, die sie auf ihren Touren kennengelernt haben: der Franzose Gilbert Keiser und der Italiener Lorenzo Cesana, dem Bettina Wiebe die Idee zu dieser Reise zu verdanken hat. Er wollte die Via Romea gehen und an einem Ort starten, den Wiebe aufgrund seiner italienischen Aussprache nicht gleich erkannte. Dann fiel der Groschen: Stade. „Das ist bei uns nebenan, da komme ich ein Stück mit“, sagte sie. So begann der Plan.

„Was für ein Tag, um auf so eine Reise aufzubrechen“, sagt Sigrid Strüber und strahlt. Die Pilgerbegleiterin und Streckenpatin des ersten Abschnitts der Via Romea ist gekommen, um die vier mit dem Pilgersegen auf den Weg zu schicken. Sie drückt jedem einen Stempel in den Pilgerpass und spricht über das Pfingstwunder: Vom Himmel kam ein Brausen und der Heilige Geist erfüllte die Jünger Jesu, so dass sie plötzlich in fremden Zungen sprachen und sich trotzdem verstehen konnten.
Sie sprechen in fremden Zungen und verstehen sich doch
So ähnlich ist es heute auch hier: Die kleine Gruppe plaudert auf Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch munter durcheinander und macht Erinnerungsfotos vor dem Denkmal des Abts Albert, der im Jahr 1236 von hier aus nach Rom und zurück ging. Dann wird es ernst: Strüber hat Zettel vorbereitet, auf denen ein Gebet in drei Sprachen steht. Sie sprechen es gemeinsam. Das letzte Wort ist bei allen gleich: Amen.
Nach dem Segen setzt sich die kleine Gruppe in Bewegung. Sie gehe nicht von Kirche zu Kirche, sagt Bettina Wiebe. Aber weite Wege zu gehen, sei auf jeden Fall sehr spirituell: „Du lernst, mit sehr wenig auszukommen und beschäftigst dich vor allem mit der Natur und mit dir selbst.“
Die Wanderer gehen auch buddhistische Wege
Der 74-jährige Gilbert hat das Ziel, in seinem Leben 40.000 Kilometer zu wandern - so viele, wie der Erdumfang misst. 27.000 hat er schon geschafft. Oft ist er mit dem 79-jährigen Lorenzo gegangen, zum Beispiel den buddhistischen Shikoku-Pilgerweg mit 88 Tempeln in Japan.
Noch bevor die Pilger an der Stader Erleninsel in Richtung Harsefeld abbiegen, wo sie die erste Nacht verbringen werden, verabschiedet sich schon der erste: Gilbert muss seine Rechnung in der Jugendherberge noch bezahlen. Die anderen drei gehen einfach weiter.

Der Weg nach Rom führt am Spielplatz Erleninsel vorbei: Lorenzo Cesana, Tönnies Kohrs und Bettina Wiebe gehen in Stade los. Foto: Anping Richter
„Jeder in seinem Tempo“, erklärt Bettina Wiebe. In den kommenden drei Monaten werden sie gemeinsam gehen, wenn es sich ergibt, und doch wird jeder für sich sein. So sind sie frei für eigene Entdeckungen am Wegesrand.
Die Via Romea Germanica wird auch Weg der Begegnungen genannt. Weil sie lange vergessen war und noch immer wenig bekannt ist, sind hier viel weniger Menschen unterwegs als auf dem Jakobsweg. Die Gemeinschaft der Pilger sei dafür umso intensiver, erklärt Sigrid Strüber.
Ihre Schuhe werden es nicht bis nach Rom schaffen
„Darauf freue ich mich“, sagt Bettina Wiebe. Bei aller Offenheit hat die 59-Jährige ihren Weg akribisch geplant: 105 Wandertage, 6 Ruhetage, 105 verschiedene Übernachtungen. Sie wird in Pilgerherbergen und Pensionen schlafen, im Hotel und bei Privatleuten. Sie wird die Heide und den Harz queren, die Donau und die Alpen - wie einst Abt Albert, der 1236 über den Brennerpass ging. Sie weiß, dass ihre gut erprobten Lieblingsschuhe es auf keinen Fall bis zum Ziel schaffen werden: „Die halten nur rund 1000 Kilometer.“ Doch ihre Füße werden sie tragen, und der Kapitän wird sie unterwegs besuchen, um ihr ein neues Paar zu bringen, damit sie in 111 Tagen Rom erreichen kann. Schritt für Schritt.