TUnangemessene Sprüche auf Streife: Polizistin über Catcalling
Catcalling ist kein Kompliment. Es klingt so banal: ein Spruch, ein Hinterherpfeifen bei der Joggingrunde. Wann beginnt die Belästigung? Foto: Catcalls of Wesermarsch
Johanna Sander kennt Sexismus aus dem Dienstalltag. Die Rotenburger Polizistin erzählt, wie sie mit Catcalling umgeht – und welche Tipps sie Frauen gibt.
Landkreis Rotenburg. Vom Catcalling sind in Rotenburg auch Polizistinnen betroffen, die sich beruflich ohnehin mit unangebrachtem Verhalten beschäftigen. Johanna Sander ist seit zehn Jahren bei der Rotenburger Polizei und hatte im Streifendienst schon Momente, in denen sie als Frau von Männern unangebrachte Bemerkungen aushalten musste.
„In der Regel kommen solche Sprüche von alkoholisierten Männern, da bekomme ich dann schon mal ‚Geiler Arsch‘ oder Ähnliches gesagt.“ Manchmal erlebe sie Sexismus und Catcalling im Dienst, das sei aber eher selten. „Häufiger sind klassische Beleidigungen, die geschlechtsunspezifisch sind“, erläutert die Polizistin.
Das markanteste Catcalling-Erlebnis hatte die heute 32-Jährige, als sie mit einem männlichen Kollegen zu einem Verkehrsunfall gerufen wurde. Der Unfallverursacher sei betrunken gewesen und die Beamten mussten eine Blutprobe nehmen. „Der Betrunkene war total auf mich fokussiert und sagte die ganze Zeit Dinge wie ‚Du hast so schöne Mandelaugen‘ zu mir“, erinnert sie sich.

Johanna Sander ist seit zehn Jahren bei der Polizei Rotenburg. Im Streifendienst erlebt sie immer wieder Sexismus Foto: Borner/RK
Der Mann sollte ins Krankenhaus nach Rotenburg gebracht werden und vor dem Transport im Polizeiwagen standardmäßig untersucht werden. „Er forderte, dass ich ihn untersuche, aber das haben wir nicht gemacht, weil wir gleichgeschlechtlich untersuchen. Später meinte er ‚Ich steig‘ erst ein, wenn du mich noch mal ansiehst‘.“ Das sei unangenehm gewesen, aber während der Fahrt sei alles normal abgelaufen.
Umgang mit Sexismus kein Teil der Ausbildung
„Im Behandlungsraum im Krankenhaus ging es dann weiter, der Mann hat sich nicht hingesetzt – was er ja auch nicht muss. Er hat sich allerdings mit etwas Abstand vor mich gestellt und mich intensiv angestarrt“, beschreibt Sander.
Das sei erneut sehr unangenehm gewesen, aber da er in einigem Abstand stand, konnte sie nicht nachhaltig dagegen vorgehen. Sie und ihr Kollege hätten den Mann mehrmals verwarnt, aber das brachte nichts. „Er hat mich auch dauernd ‚Mäuschen‘ genannt.“
Der Mann habe außerdem ihren Kollegen angesprochen, wie dieser mit ihr arbeiten könne „ohne mit ihr ins Bett zu wollen“. Wäre die Situation so auf ihrer Dienststelle passiert, hätte sie mit einem Kollegen tauschen können. Doch so musste sie ausharren. „Das war total unangenehm, aber da hilft nichts außer Augen zu und durch“, erläutert Sander.
In der Ausbildung werde nicht speziell darauf eingegangen, wie Polizistinnen auf Sexismus oder Catcalling reagieren können. „Aber wir wurden ja geschult, wie wir allgemein auf Beleidigungen und Co reagieren können. Wir kennen die Negativität, mit der einige der Polizei begegnen“, fügt die Rotenburgerin an.
Oft ist „Bestrafung über den juristischen Weg wahrscheinlicher“
Polizeisprecher Marvin Teschke ergänzt, dass alle Einsatzkräfte sensibilisiert seien, auf Situationen, in denen sich zivile Frauen unwohl fühlen, angemessen zu reagieren, die Betroffenen würden ernst genommen. Egal ob sexuelle oder sonstige Beleidigung, gegen Schimpfwörter, wie beispielsweise „Fotze“ kann Sander eine Strafanzeige einreichen. Häufig kämen solche Beleidigungen mit Körperverletzung zusammen, dann sei eine Bestrafung über den juristischen Weg wahrscheinlicher.
Sanders persönliche Meinung ist deshalb auch, dass sie sich die Strafbarkeit von Catcalling wünschen würde. „Meine Geschichte mit dem betrunkenen Mann zeigt, wie machtlos Frauen und eben auch Polizistinnen in solchen Fällen sind“, argumentiert sie. Natürlich werde dadurch niemals das Nachpfeifen oder ehrliche Komplimente strafbar, betont sie.
Sprecher Teschke fügt hinzu: „Sollte ein entsprechender Straftatbestand eingeführt werden, würde die Polizeiinspektion Rotenburg ihre Maßnahmen selbstverständlich anpassen.“
Alkohol ist oft ein enthemmender Faktor
Nach der Anfrage der Mediengruppe Kreiszeitung habe Sander sich verstärkt mit Kolleginnen und Kollegen über das Thema ausgetauscht. Eine Kollegin erzählte, dass sie eigentlich sehr gerne beim Hurricane-Festival Dienst hatte und auf dem Quad zusammen mit einem Kollegen nach dem Rechten sah. Das sei nun aber vorbei, weil die Polizistin so viel Catcalling und unangenehme Sprüche aushalten musste, dass sie keine Lust mehr auf den Dienst habe.
Von wegen harmlos
T Belästigung auf der Straße oder am Arbeitsplatz: Wenn Catcalling zur Tortur wird
„Alkohol ist ein enthemmender Faktor, das merken wir sehr oft. Jede Polizistin und jeder Polizist hat hier in Rotenburg sicher bei einer Ruhestörung schon den geschmacklosen Scherz ‚Oh, die Stripper kommen‘ gehört“, ist Sander sich sicher.
Es gibt auch noch weitere Fälle, in denen die Polizistin anders als ihre Kollegen behandelt wird: „Manchmal wenden sich die Menschen eher an den männlichen Kollegen, wenn ich dann reagiere, kommt es aber in der Regel zu keinen Problemen.“
Deshalb störe sie das nicht weiter, da sie sonst kaum Diskriminierung aufgrund ihres Geschlechtes im Dienst wahrnimmt. Generell werde sie ernst genommen. Sie betont außerdem, dass bei der Polizeiarbeit Deeskalation im Fokus steht.
Pfefferspray bietet oft eine trügerische Sicherheit
Privat macht sich Sander wenig Sorgen, wenn sie im Dunkeln noch in der Wümmestadt unterwegs ist. Sie hat zuvor in Oldenburg gewohnt, und dort sei es deutlich schlimmer.
„Hier ist es seltener, manchmal wird mir hinterhergepfiffen oder gehupt, aber das beeinträchtigt mich aktuell nicht so sehr“, sagt die Polizistin. Sie ist sich bewusst, dass Angst ein subjektives Gefühl ist, das sie durch die objektiv geringen Übergriffe auf Frauen in Rotenburg aushebeln kann.
Sander ist froh, dass sie selbst noch nie verfolgt wurde. Auf einer öffentlichen Feier sei es ihr aber passiert, dass ein Fremder sie an der Taille gepackt habe und „Oh, was haben wir denn da?“ fragte. „Darauf habe ich direkt ‚Gucken ist ok, anfassen nicht‘ geantwortet und bin weggegangen, bedroht habe ich mich dabei nicht gefühlt.“ Gefahrensituationen ist sie als Polizistin nun einmal gewohnt.
Von Pfefferspray als Verteidigungsmittel hält Sander allerdings wenig. „Beim Kauf erwirbt man das Spray, aber nicht die Fähigkeit, es auch richtig zu nutzen“, sagt Sander. Sie fürchtet, dass einige Frauen sich mit dem Spray in trügerischer Sicherheit wiegen, da es im Notfall beispielsweise in der Handtasche nicht gefunden werde oder Personen sich selbst dabei kontaminieren könnten.
Sanders Ratschlag für Frauen in Catcalling-Situationen: „Es ist völlig legitim, das Pfeifen einfach zu ignorieren und weiterzugehen, die Männer haben keine Aufmerksamkeit verdient.“
Wer dies nicht auf sich sitzen lassen könne, sollte die Person ansprechen, aber keine Eskalation provozieren, rät sie. Allerdings betont Sander, dass sie keine Selbstverteidigungsspezialistin ist und empfiehlt, sich Rat bei solchen zu holen.
Das Heimwegtelefon (https://heimwegtelefon.net/) könne ebenfalls helfen, wenn sich Frauen auf ihrem Weg unsicher fühlen. Sie fügt an: „In dem super seltenen Fall, dass es handgreiflich wird, ist es wichtig, dass man schreit. Als Frau sollte man sich niemals auf einen Ringkampf einlassen, sondern versuchen, Abstand zu gewinnen.“ Und natürlich sei es wichtig, die Polizei zu rufen.