TUnberechenbar und wackelig: Mit Onkel Ernst unterwegs auf der Oste

Skipper Jörn Möller begrüßt in Oberndorf die Gäste an Bord des Kutters Onkel Ernst. Foto: Helfferich
Jeden Freitag ist die Provinzwerkstatt mit dem Kutter Onkel Ernst auf der Oste unterwegs. Dadurch will der Verein Jugendliche für den Segelsport begeistern. Warum Corona ihn zum Umdenken zwang.
Oberndorf/Oederquart. Um 15.15 Uhr geht es an dem Freitag in Oberndorf los. Der Kutter Onkel Ernst liegt auf der anderen Oste-Seite im Oberndorfer Hafen. Skipper Jörn und Steuermann Rainer verteilen Schwimmwesten an die zehn Passagiere, die sich für die Tour auf der Oste angemeldet haben. Zwei davon sind Jugendliche. An Bord gilt das Du.
Es ist die zweite Saison des Vereins Provinzwerkstatt auf der Oste. Seit Mai fährt der in Oederquart angesiedelte Verein bis in den September hinein jeden Freitag mit dem Kutter los - kostenfrei für alle Passagiere. Spenden werden gerne genommen. Die Crew ist inzwischen auf acht Segelbegeisterte gewachsen, im Alter von Mitte 30 bis Mitte 70. Jörn, Rainer und Heiko begleiten diese Tour. Jörn ist Jörn Möller, ehemaliger Leiter der Astrid-Lindgren-Förderschule in Freiburg. Er kümmert sich seit 2012 um den mehr als 60 Jahre alten Jugendwanderkutter Onkel Ernst.
Seemannschaft und Teamgeist fördern
Das Schiff gehört der Gemeinde Oberndorf. Sieben Jahre war es nicht mehr im Wasser, als Jörn sich seiner annahm. Auf dem Kutter brachte der pensionierte Schulleiter Jugendlichen Seemannschaft und Teamgeist bei. Wichtige Dinge - nicht nur, wenn man in einem Segelboot sitzt.
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Nachdem alle mit einer Rettungsweste versorgt sind, geht es etwas wackelig an Bord. Und plötzlich wird eine andere Sprache gesprochen: „Achtern“ wird Platz genommen. „Von halb acht“ kommt der Wind. Steuermann Rainer lenkt den Kutter zur Mitte der Oste, wo die Fender, Gummibälle an der Bordwand, eingeholt werden. Dann geht es flussaufwärts. Der Außenbordmotor tuckert vor sich hin.

Rainer und Heiko steuern den Kutter Onkel Ernst. Foto: Helfferich
Nun sollen die Segel gesetzt werden. Das Schiff hat eine „Luggertakelung“, erfahren die Passagiere. „Das sieht man, wenn das Besansegel hochgezogen ist“, erklärt Rainer. Zuerst zieht Heiko das Vordersegel hoch, sichert es mit einem Achtknoten als Stopper und verhindert so, dass das Tau wieder durch die Rolle rauscht. Danach macht sich Heiko an das Besansegel. Drei Mann müssen zupacken. Schließlich wird das Großsegel gesetzt und der Motor ausgeschaltet.
Auch auf der Oste gibt es Probleme mit dem Schlick
Auch auf der Oste gibt es Probleme mit dem Schlick. Jörn erklärt, dass das Schiff ein Schwert statt eines Kiels hat. „Wenn wir gegen den Wind kreuzen, kann es passieren, dass wir in den Schlick fahren und festsitzen.“ Ein Schwert lässt sich herausziehen, der Kiel nicht. Bei Niedrigwasser gibt es in der Mitte der Oste eine Fahrrinne von fünf Metern Tiefe. Pricken aus Reisig kennzeichnen das Fahrwasser.

Patrice und Marlène kommen aus dem Elsass und sind zu Besuch in Oberndorf. Patrice hat selbst einen Schiffsführerschein für Kanäle. Davon gibt es in Frankreich reichlich - 5000 Kilometer. Foto: Helfferich
Der Fluss, der bis Bremervörde schiffbar ist, ist schwer berechenbar. Die Oste habe viele Windungen, erklärt Jörn, da werde der Schlick in den Außenkurven weggespült und der Fluss plötzlich tiefer. Besonders tückisch sei es in der Hexenbucht: „Da macht die Oste einen fast rechtwinkligen Knick, da ist sie bis zu 14 Meter tief.“
Pandemie führte zum Einbruch der Jugendarbeit
Als er noch in Freiburg unterrichtete, hat Jörn Möller mit Jörg Petersen, dem damaligen Leiter der Haupt- und Realschule (heute: GOBS) in Freiburg, eine Segel-AG angeboten. Im Freiburger Hafenbecken machten die Jugendlichen auf Optimisten erste Erfahrungen mit dem Segeln. Seit seiner Pensionierung 2012 segelte Jörn mit Jugendlichen auf der Oste bei Oberndorf.
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Doch nach der Corona-Pandemie seien die Jugendlichen nicht wieder gekommen. Hinzu binde die Ganztagsschule viel Zeit am Nachmittag, erzählt Heiko. Deshalb wurden die Touren mit dem Jugendkutter auf den Freitagnachmittag gelegt - wie viele andere Vereinsangebote auch. „Jetzt überlegen wir, einen Sonntagnachmittagstermin anzubieten.“

Die Zementfabrik bei Hemmoor ist der Wendepunkt. Foto: Helfferich
Inzwischen ist Onkel Ernst auf Höhe des Hafens Schwarzenhütten angekommen. „Hier brachten früher die Schiffe Kohlen für die Zementfabrik in Hemmoor und nahmen fertigen Zement mit zurück“, erzählt Jörn. Ein Stück Zeitgeschichte, von dem die Oste wahrscheinlich viel erzählen könnte.
„Wir treiben nur noch“, meldet sich Steuermann Rainer zu Wort. Wegen nachlassenden Windes spricht das Ruder kaum noch an. Zeit, die Segel einzuholen und den Motor wieder anzuwerfen. Tatsächlich nähert sich der Kutter seitlich dem Ufer. Heiko muss ein paarmal die Startleine ziehen, bis der Kutter flussabwärts schnurrt. Jörn und Heiko holen die Segel ein.
Beim Segeln wird Gemeinschaftssinn geschult
Viele Segler seien auf der Onkel Ernst groß geworden, erzählt Jörn, sie erzählen noch heute von Touren auf der Elbe. „Sie lernten alles, was zum Segeln dazu gehört.“ Zum Beispiel, dass das Segel nach dem Wind gerichtet werden müsse. „Wie im Leben: Naturgewalten nehmen keine Rücksicht, man muss sich unterordnen“, sagt Jörn. Selbstbewusstsein und Gemeinschaftssinn seien weitere Eigenschaften, die Segler auf dem Wasser lernen. Mit dem kostenlosen Angebot des Vereins Provinzwerkstatt sollen insbesondere Jugendliche angesprochen werden. Anmeldungen unter kutter@provinzwerkstatt.de oder unter 04772/ 8609500 (10 bis 18 Uhr).
Kleines Wörterbuch für den Segelkutter:
Fender: aufblasbarer Schutz beim Anlegen.
Luggertakelung/Luggersegel: Das Luggersegel ist ein viereckiges Schratsegel, welches am oberen Ende an einer steilen Rah (quer zur Längsrichtung des Schiffes) und unten an einem Baum befestigt ist.
Besansegel: ein Segel in Längsschiffsrichtung (Schratsegel) an dem achtersten (hintersten) Mast vieler Segelschiffe.
Achtern: hinten.
Achtknoten: ein Knoten, der die Form einer Acht hat.
www.provinzwerkstatt.de

Der Kutter Onkel Ernst gehört der Gemeinde Oberndorf. Foto: Helfferich
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Jörn Möller holt am Ende der Tour auf der Oste das Vordersegel ein. Foto: Helfferich

Jörn Möller (links) erzählt von der Oste. Foto: Helfferich

Heiko, Rainer und Jörn holen das Besansegel ein. Foto: Helfferich

Nach zwei Stunden sind Crew und Gäste im Oberndorfer Hafen wieder gelandet. Jörn macht den Kutter fest. Foto: Helfferich