TUnfallvideo verbreitet: Gaffer verurteilt – und uneinsichtig

Ein Unfall-Video geht viral: Ein Fall, der am Donnerstag vor Gericht unter großem Medieninteresse verhandelt wurde. Foto: Polgesek
Siglinde R. wird in Bremerhaven von einem Bus überrollt und verliert ein Bein. Ein Gaffer-Video geht viral - und kommt einen 21-Jährigen jetzt teuer zu stehen.
Bremerhaven. Bei einem Busunfall verliert Siglinde R. ein Bein, ein Video der Verletzung geht viral. Scheinbar unklar ist, wer das Video gefertigt hat. Doch wurde ein junger Bremerhavener am Donnerstag für die Verbreitung vor dem Amtsgericht Bremerhaven bestraft.
Direkt nach dem Unfall am 5. Februar hat sich die Polizei auf die Suche nach dem Videofilmer und denjenigen gemacht, der es in WhatsApp-Gruppen verbreitet hat.
Dem 21-jährigen Angeklagten konnte man nachweisen, dass er das Video verbreitet hat. In Blitzerwarngruppen und direkt bei Kontakten sei das Video gelandet.
Das Video habe er zugeschickt bekommen, sagt M.
Das Video habe er von seinem Vater zugeschickt bekommen, sagt der junge Mann im Prozess aus, als er zugab, das kurze Video geteilt zu haben.
Der sehr dünne und große junge Mann bekannte vor Richterin Stefanie Wulff, Präsidentin des Amtsgerichts, dass er sich „nichts dabei gedacht“ habe und „ohne nachzudenken“ das Video an mehrere Kontakte verteilte.
Zunächst ließ er seinen Anwalt sprechen. Nach Aufforderung der Richterin äußerte er sich selbst.
Junger Mann soll sich beim Sohn des Opfers entschuldigen
Und nach einer weiteren Aufforderung, sich direkt stellvertretend beim anwesenden Sohn des Opfers zu entschuldigen, kam mit einem schiefen Lächeln ein „tut mir noch einmal leid“.
Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft überzeugte die Entschuldigung nicht. Generell fehlte ihr die konkrete Auseinandersetzung mit der Tat.
Einen großen Anteil am Gerichtstermin hatte die Frage, ob der Mann, der zur Tatzeit fast 21 Jahre alt war, als Jugendlicher oder als Erwachsener angesehen wird.
Gericht muss abwägen: Erwachsener oder Jugendlicher?
Die Staatsanwältin führte an, dass M. zwar nicht vorbestraft sei, aber strafrechtlich in Erscheinung getreten sei. Ob Gedankenlosigkeit oder Sensationsgier die Gründe für das Anschauen und Teilen waren – sie forderte, dass der Angeklagte vor Gericht als Erwachsener angesehen werde.
Der Verteidiger hingegen plädierte, dass die Unfähigkeit, sich wie ein Erwachsener zu entschuldigen, für seine Jugendlichkeit spreche.
Hierzu hörte das Gericht die Einschätzung der Jugendgerichtshilfe. Der Vertreter schilderte den holprigen Werdegang von M., mit erst später nachgeholtem Schulabschluss, abgebrochenen Ausbildungen, Selbstständigkeit, Spielsucht, Schulden, Therapie. Der junge Mann lebt bei seiner Mutter.
Angeklagter hat ein Unternehmen geführt und Angestellte beschäftigt
Auf Nachfrage der Richterin schildert M. aber seine Pläne, bald auszuziehen, zusammen mit seiner Freundin.
Am Ende entschied das Gericht, nach Erwachsenenstrafrecht zu urteilen. Auch, weil M. in der Vergangenheit ein Unternehmen mit Angestellten geführt und Geld verdient hat.
Die Straftat sei zudem kein typisches Jugenddelikt, auch Erwachsene tun das. „Irgendjemand“ habe das Video erstellt, ein Erwachsener habe es dem Angeklagten geschickt und der habe es kurz danach oft verteilt. Die Administratoren löschten es im Tagesverlauf, eine Zeugin hatte es gesichert und der Polizei überstellt.
Dass er sich entschuldigt habe und auch auf die zunächst geforderte Herausgabe seines teuren Handys verzichtete, das das Gericht als Tatgegenstand einbehalten hat, spreche für ihn.
Öffentliches Interesse am Gerichtsverfahren sei „eine gewisse Strafe“
Zweimal tippen auf dem Handy – die Straftat sei nicht geplant gewesen. Doch habe sie dem Opfer im Heilungsprozess sehr geschadet und eine große Öffentlichkeit hergestellt.
Abschließend erklärte die Richterin: Das vom Angeklagten ungewollte öffentliche Interesse an seinem Gerichtsverfahren sei auch „eine gewisse Strafe“, so die Richterin.

Siglinde R. hat einen schweren Busunfall überlebt. Foto: Leandra Hanke
Damit müsse er jetzt umgehen, ebenso wie das Opfer, als es ungefragt „viral“ ging. Das sei hoffentlich heilsam, urteilt sie. Sie folgte dem Vorschlag der Staatsanwaltschaft von einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 Euro, in Raten zahlbar. Gegen das Urteil kann Revision eingelegt werden.
Angehöriger hofft auf weitere Verfahren in der gleichen Sache
Nach dem Prozess äußerte sich Tim R., Angehöriger der Betroffenen. „Die Entschuldigung habe ich ihm nicht abgenommen, er hätte meine Mutter anrufen können“, bedauert er. Zufrieden sei er nicht. Er hofft, dass in weiteren Verfahren weitere Verbreiter und vielleicht auch der Filmer ermittelt und bestraft werden.
Gegen den Vater von M. ist Strafbefehl erlassen worden, gegen den er Einspruch eingelegt hat. Es gibt noch keinen Hauptverhandlungstermin.