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Brisante Briefe

T„Unterdrückte Hilfeschreie“: Kirche arbeitet Missbrauchsfälle in Elsdorf auf

In dieser Ecke auf dem Dachboden des Gemeindehauses in Elsdorf schlummerten jahrelang Briefe von Heimkindern mit versteckten Hilferufen. Pastor Volker Klindworth war damals noch nicht in Elsdorf im Amt, ist aber heute mit der Aufarbeitung beschäftigt.

In dieser Ecke auf dem Dachboden des Gemeindehauses in Elsdorf schlummerten jahrelang Briefe von Heimkindern mit versteckten Hilferufen. Pastor Volker Klindworth war damals noch nicht in Elsdorf im Amt, ist aber heute mit der Aufarbeitung beschäftigt. Foto: Harder-von Fintel

Alte Dokumente, die von Gewalt und Missbrauch zeugen, wurden 2024 auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf (Kreis Rotenburg) gefunden. Die Aufarbeitung dauert an. Jetzt gibt es einen wichtigen Termin.

Von Kathrin Harder-von Fintel Donnerstag, 12.06.2025, 05:50 Uhr

Elsdorf. Jahrelang schlummerten brisante Briefe von Heimkindern auf dem Dachboden und im Keller des Pfarrhauses in Elsdorf.

Nachdem die Evangelische Kirche ihre ForuM-Studie im Januar 2024 veröffentlicht hatte, kam hier der Stein ins Rollen. Das Projekt hatte sich mit der Aufarbeitung von Fällen sexueller Gewalt und anderer Missbrauchsformen innerhalb der Evangelischen Kirche und der Diakonie in Deutschland befasst. Ein anerkannter Fall aus Elsdorf lag aus dem Jahr 2014 vor und so kam die Aufforderung der Landeskirche, die Elsdorfer mögen sich aktiv an der Aufarbeitung der damaligen Zeit beteiligen.

Berichte von Gewalt in Pflegestellen

In den 1950er und 1960er Jahren hat die diakonische Pestalozzi-Stiftung in Burgwedel bei Hannover in Zusammenarbeit mit dem örtlichen evangelischen Pfarramt in Elsdorf Heimkinder in Pflegestellen auf Höfen und in Handwerksbetrieben untergebracht. Kinder sollten mit Hilfe der Stiftung aus Heimen geholt und in einem familiären Umfeld aufwachsen.

Doch nicht überall sollen die Mädchen und Jungen ein gutes Leben gehabt haben und fröhlich groß geworden sein: Auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf wurden im Sommer 2024 Akten mit alten Briefen von Kindern und Jugendlichen gefunden, in denen es Hinweise auf Gewalt in den Pflegestellen gibt.

Die Briefe gingen damals an einen kirchlichen Mitarbeiter in Elsdorf, der offenbar selbst sexualisierte Gewalt gegenüber einer jugendlichen Person begangen hatte. Eine betroffene Person hatte deswegen 2014 sogenannte Anerkennungsleistungen beantragt und auch bekommen, der beschuldigte kirchliche Mitarbeiter war zu diesem Zeitpunkt bereits tot.

Landeskirche genehmigt Antrag auf Aufarbeitung der Akten

Mitarbeiter der Landeskirche und Experten der Fachstelle für sexualisierte Gewalt haben die verstaubten Akten in Teilen bereits gesichtet. Auf Wunsch von Elsdorfs Pastor Volker Klindworth, des örtlichen Kirchenvorstandes und des Kirchenkreises Bremervörde-Zeven sollten diese „richtig aufgearbeitet werden“, erklärt Pastor Klindworth gegenüber der „Zevener Zeitung“. „Wir haben einen Antrag auf Aufarbeitung bei der Landeskirche gestellt.“ Die Elsdorfer haben Anfang dieses Jahres grünes Licht für die umfangreiche Aufarbeitung bekommen, die Landeskirche hat dem Antrag zugestimmt. „Das ist sehr schön und zeigt auch die Bedeutung, die der Fall innerhalb der Landeskirche hat“, so Klindworth im Wissen darum, dass der Prozess der Aufarbeitung Jahre dauern kann.

„Nichts soll übersehen werden“

In diesen Tagen geht es wieder einen Schritt voran, eine Delegation aus Hannover wird Ende der Woche nach Elsdorf kommen, um sich mit dem Kirchenvorstand über die Aufarbeitung der Verdachtsfälle physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt an Kindern weiter abzustimmen. Mit dabei sein wird auch Dr. Jens Lehmann, Präsident des Landeskirchenamtes in Hannover. Gemeinsam soll über ein Konzept gesprochen werden, die Fachstelle arbeitet derzeit an dem Papier.

Auch wie die Aufarbeitung zukünftig geschehen wird, soll Gegenstand des Gesprächs sein, erklärt Pastor Klindworth. „Uns ist wichtig, dass Experten die Akten gründlich auswerten. Wir können das vor Ort nicht und würden uns damit übernehmen. Es sind zu viele Akten und wir würden nicht alles, was nicht eindeutig beschrieben ist, zwischen den Zeilen verstehen.“ Es sei wichtig, dass nichts übersehen werde. Die Verantwortlichen in Elsdorf werden bei Fragen von der Landeskirche und dem Kirchenkreis gut unterstützt, unterstreicht der Pastor, der erst 2024 in die Kirchengemeinde gekommen ist.

Kinder berichten Schlimmes aus ihrem Alltag in Elsdorf

Einige Details sind aus dem Prozess der Aufarbeitung bereits bekannt: In den Briefen geht es um psychische und physische Gewalt. Die Kinder schreiben von Schlägen, über zu wenig Essen und darüber, dass es kein Bett gibt. Vereinzelt ist auch von sexualisierter Gewalt die Rede. Zwischen den Zeilen tauchten immer wieder „unterdrückte Hilfeschreie“ auf, teilt die Landeskirche mit.

Pastor Klindworth hat direkt nach Bekanntwerden der Aktenfunde viele Gespräche mit Menschen aus der Kirchengemeinde geführt. Wichtig sei ihm auch, dass nicht alle Familien unter Generalverdacht stehen. „Vielen Kindern und Jugendlichen sind durch die Aufnahme in Familien in unserer Gemeinde neue Chancen eröffnet worden. In den Unterlagen finden sich auch sehr positive Rückmeldungen dazu“, heißt es aus Elsdorf.

„Es ist wichtig, das Leid anzuerkennen und zur Sprache zu bringen. Und so etwas zukünftig zu verhindern“, erklärt Pastor Klindworth mit Blick auf das bevorstehende Gespräch mit der Delegation aus Hannover.

Betroffene können sich jederzeit an die Fachstelle (Telefon 0511/1241299) oder an die Zentrale Anlaufstelle HELP (0800/5040112) wenden.

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