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Aufarbeitung

T„Unterdrückte Hilfeschreie“ in Elsdorf: Etwa 100 Fälle von Misshandlung belegt

Vor 50 Jahren soll es zu Missbrauch in der Kirchengemeinde Elsdorf gekommen sein, die Kirche ist nun mit der Aufarbeitung beschäftigt.

Vor 50 Jahren soll es zu Missbrauch in der Kirchengemeinde Elsdorf gekommen sein, die Kirche ist nun mit der Aufarbeitung beschäftigt. Foto: Harder-von Fintel

Mehr als 100 Akten von Heimkindern, die in Pflegestellen im Raum Elsdorf untergebracht waren, wurden im Rahmen der Aufarbeitung bereits von der hannoverschen Landeskirche gesichtet. Sie offenbaren Erschütterndes.

Von Redaktion Freitag, 27.09.2024, 07:50 Uhr

Elsdorf. „Es sind aber mehr, die genaue Zahl ist noch unbekannt“, sagte am Donnerstag Psychologin Julia Nortrup von der kirchlichen Fachstelle Sexualisierte Gewalt in Hannover. Sie ist mit der Prüfung und Aufarbeitung befasst. In den 1950er und 1960er Jahren hat die diakonische Pestalozzi-Stiftung in Burgwedel bei Hannover in Zusammenarbeit mit dem örtlichen evangelischen Pfarramt in Elsdorf Heimkinder in Pflegestellen auf Höfen und in Handwerksbetrieben untergebracht. Auf dem Dachboden des Pfarrhauses in Elsdorf wurden im Sommer Akten mit alten Briefen von Kindern und Jugendlichen gefunden, in denen es Hinweise auf Gewalt in den Pflegestellen gibt. „Vor Januar sind wir nicht damit fertig, jede Akte zu sichten“, sagte Nortrup.

Die Briefe gingen damals an einen kirchlichen Mitarbeiter in Elsdorf, der offenbar selbst sexualisierte Gewalt gegenüber einer jugendlichen Person begangen hatte. Eine betroffene Person hatte deswegen 2014 sogenannte Anerkennungsleistungen beantragt und auch bekommen, der beschuldigte kirchliche Mitarbeiter war zu diesem Zeitpunkt schon tot.

Kinder haben wenig Essen und kein Bett

In den Briefen gehe es bisher hauptsächlich um psychische und physische Gewalt, berichtete Nortrup. „Es geht beispielsweise um Schläge, um zu wenig Essen und darum, dass es kein Bett gibt.“ Vereinzelt sei auch von sexualisierter Gewalt die Rede. Zwischen den Zeilen tauchten immer wieder „unterdrückte Hilfeschreie“ auf.

Warum die Briefe erst jetzt gefunden wurden, ist unklar. „Genau diese Frage hat sich mir auch gestellt, ich kann sie aber leider nicht beantworten“, sagt der Bremervörder Superintendent Carsten Stock als zuständiger leitender Theologe der Region auf Anfrage. Scheinbar sei es tatsächlich so, dass die alten Akten jahrzehntelang auf dem Dachboden lagerten und nun im Zuge des Dienstantritts eines neuen Pastors in Elsdorf Anfang Juli von einer Kirchenvorsteherin gefunden worden seien.

„Es gibt im Archiv der Kirchengemeinde weitere Akten zur Unterbringung von Heimkindern von der Pestalozzi-Stiftung“, ergänzte Stock. Sie seien in Archivkartons säuberlich geordnet. „Warum diese alten Akten auf dem Dachboden untergebracht waren, kann ich nicht sagen. Ich kann nur vermuten, dass der Dachboden bei vorherigen Übergaben der Dienstwohnung nicht inspiziert worden ist oder wenn doch, niemand auf die Akten aufmerksam geworden ist.“

Die hannoversche Landeskirche hatte den Fund der Briefe am Montag öffentlich gemacht. (epd)

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