TVater setzte Kind vor Spielautomaten - Andreas wurde süchtig

Sechs bis acht Stunden täglich verbrachte Andreas in den Spielhallen Hamburgs. Foto: Amelie Geiger/dpa
Andreas’ Weg durch die dunklen Abgründe der Spielsucht begann im Kindesalter, als sein Vater ihm Skat beibrachte. Der Drang nach Nervenkitzel führte ihn in eine Spirale.
Cuxhaven. Die Verführungen des Glücksspiels sind groß und allzeit präsent: in Spielhallen, Gaststätten und Imbissbuden, Fußballstadien und Wettbüros, online und über Apps sowie im Fernsehen. Durch die Verlockung vermeintlich einfacher Gewinne geraten zahlreiche Menschen in einen Teufelskreis aus wachsender Abhängigkeit und finanziellen Verlusten. So auch Andreas aus Otterndorf.
Andreas (Name von der Redaktion geändert), 63 Jahre, stammt aus Hamburg - einer Stadt, in der das raue Hafenflair und das wilde, kriminelle Leben schon früh Eindruck bei ihm hinterließen. Bereits als kleiner Junge von nur sechs Jahren wurde Andreas mit einem brennenden Drang nach Nervenkitzel konfrontiert.

Andreas spielt schon als Kind Skat. Foto: May
Aus einem schwierigen Elternhaus stammend, war das Stehlen für ihn mehr als nur ein Vergehen - es war ein Spiel, ein Kick. „Ich fand es einfach aufregend“, erinnert er sich. Seine unruhige Natur und der unbändige Bewegungsdrang machten ihn schon früh zu einem Kind, das nie stillstand. Sobald er das Haus verließ, war Andreas immer „außer Rand und Band“.
Vater zwang ihn schon als Kind, Skat zu spielen
Schon im Kindesalter fand er sich in einer Umgebung wieder, in der das Spiel allgegenwärtig war. Sein Vater, ein passionierter Zocker, zwang ihn förmlich dazu, Skat zu lernen. Bei Besuchen in der Kneipe setzte er ihn an Spielautomaten, wodurch sich die Faszination für das Glücksspiel tief in ihm einnistete. Auch während seiner Schulzeit war Andreas dem Spiel verfallen.
In den Unterrichtspausen murmelte er unaufhörlich, dehnte die Pausen endlos und ließ sich von der Aufregung des Spiels mitreißen. „Ich wollte immer der Beste sein und spielte so lange, bis ich alles gewonnen oder alles verloren hatte.“ Als Teenager zog es ihn in den Imbiss, wo er das Geld, das er sich mit geklauter Ware erspielt hatte, unbedacht verzockte. Mit 16 Jahren betrat er erstmals eine Spielhalle - ein Schritt, der den Grundstein für seine spätere Sucht legte.
Nächte in Spielhallen wurden zur Normalität
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Realschule brach in Andreas‘ Leben ein dunkler Abschnitt an. Die Scheidung seiner Eltern markierte den Beginn eines Absturzes: „Dann ging es bergab. Ich habe mehr gespielt als geschlafen“, sagt er. Endlose Nächte in Spielhallen wurden zur neuen Normalität.

Einige Spielsüchtige verbringen Stunden am Automaten. Foto: Koppe
Selbst als er eine Ausbildung begann, ließ ihn die Sucht nicht los - sein erstes Gehalt war schnell verpufft, und die Lehre brach er ab. Während seine Freunde den Weg in eine stabile Zukunft fanden, fand sich Andreas immer tiefer in der Isolation wieder: „Ich war allein und bin sozial verwahrlost“, gesteht er.
Für fast zwei Jahre im Gefängnis
Die Notwendigkeit, ständig Geld zu beschaffen, um das Spiel aufrechtzuerhalten, führte Andreas in eine Abwärtsspirale. 1982 endete dieser Abschnitt dramatisch: Wegen wiederholten Fahrens ohne Führerschein und zahlreicher Diebstahldelikte landete er für 22 Monate im Gefängnis. Doch selbst hinter Gitterstäben konnte er der Versuchung nicht entkommen: „Auch im Knast habe ich gezockt“, erinnert er sich reumütig.
Sechs bis acht Stunden täglich am Zocken
Nach seiner Haftstrafe stellte sich zumindest eine kleine Veränderung ein: Das Stehlen legte er nieder - doch die Sucht blieb. Ein Versuch, sich im normalen Leben zu etablieren, scheiterte wieder: Er begann zu arbeiten, bat um Vorschüsse und verspielte das Geld - was schließlich zur Kündigung führte.
Die Spielhallen wurden wieder zum Lebensinhalt, sechs bis acht Stunden täglich verbrachte er dort, während sein Körper immer mehr unter der Vernachlässigung litt. „Ich habe wenig gegessen und wurde immer dünner“, berichtet er.

Im Automaten landen schnell große Scheine. Foto: Bernd Thissen/dpa
Freundin stellte ein Ultimatum
1987 wurde Andreas‘ Leben von einem entscheidenden Moment geprägt. Seine damalige Freundin stellte ihm ein Ultimatum: Er solle sich Hilfe suchen, sonst sei sie weg. Dieser Moment des Eingeständnisses führte dazu, dass er den ersten Schritt aus der Sucht machte.
Er trat einer Selbsthilfegruppe bei und fand kurz darauf einen Platz in einer stationären Klinik. Dort blieb er über zwei Monate und kämpfte mit heftigen Entzugserscheinungen: „Ich war aggressiv und nervös“, erinnert er sich.
Selbsthilfegruppe ebnete den Weg zurück in die Gesellschaft
Der Entzug ebnete den Weg zurück in die Gesellschaft. Durch das regelmäßige Treffen in der Selbsthilfegruppe und die intensive Auseinandersetzung mit dem 12-Schritte-Programm fand Andreas langsam wieder zu sich.
Die Schritte beinhalten unter anderem das Eingeständnis der eigenen Abhängigkeit, Selbstreflexion, Wiedergutmachung und kontinuierliche persönliche Entwicklung. Andreas nahm dadurch wieder am Leben teil, absolvierte eine Umschulung, entschied sich zur Totalabstinenz und begann, wieder regelmäßig zu essen und nachts zu schlafen.
Einführung der Computer lud wieder zum Spielen ein
Doch die letzten Jahrzehnte brachten wieder neue Herausforderungen. Zwischen 1996 und 2006 erlebte Andreas einen Rückfall, als die ersten Computer mit Spielen wie Tetris und Solitär auf den Markt kamen.
Zwar drehte es sich hier nicht um Geld, doch das Gefühl des Zockens war wieder präsent. Mit Unterstützung der Selbsthilfegruppe schaffte er es, das Spielen wieder aufzugeben.
Heute steht Andreas als Beispiel für einen erfolgreichen Ausstieg aus der Spielsucht. Mit einem festen Job, einer Ehe und einem stabilen Wohnsitz hat er die schwerste Zeit seines Lebens hinter sich gelassen.
„Geld ist noch immer ein starker Trigger und das Spielen macht mich noch immer an. Aber ich kann nicht spielen, weil ich es nie im Griff haben werde“, erklärt er. Diese Worte zeugen von der ständigen Wachsamkeit, um nicht in alte Muster zurückzufallen.
Heute hilft er anderen
Seit letztem Jahr lebt Andreas in Otterndorf und hat beim Paritätischen in Cuxhaven eine Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen. Sein Anliegen ist klar: Als Gesprächspartner will er anderen Betroffenen zeigen, dass ein Ausstieg möglich ist und es nie zu spät ist, das eigene Leben zu verändern.
Seine Geschichte zeigt, dass auch die tiefsten Abgründe überwunden werden können, wenn man den Mut aufbringt, sich seiner Sucht zu stellen und Hilfe anzunehmen. Die Tür der Gamblers Anonymous (anonyme Spieler Meeting) steht deshalb immer montags ab 19.15 Uhr beim Paritätischen, Kirchenpauerstraße 1, Cuxhaven, offen.