Zähl Pixel
Autounfall

TVerbrannt, vernarbt, verändert: So lebt Unfallopfer René Nickel

René Nickel ist von seinem schweren Verkehrsunfall gezeichnet, doch er arbeitet nach wie vor in der Pflege. Hier stellt er Tabletten für einen Patienten zusammen.

René Nickel ist von seinem schweren Verkehrsunfall gezeichnet, doch er arbeitet nach wie vor in der Pflege. Hier stellt er Tabletten für einen Patienten zusammen. Foto: privat

2017 kommt René Nickel mit einem Firmenwagen von der Straße ab und prallt gegen einen Baum. Das Auto fängt Feuer, René Nickel ist darin eingeklemmt. Es beginnt ein Kampf ums Leben.

Von Anna Böker Samstag, 11.10.2025, 07:50 Uhr

Butjadingen. Es ist Abend am 4. Januar 2017. René Nickel ist Altenpfleger und arbeitet bei einem ambulanten Pflegedienst. Der 21-Jährige wohnt zu dieser Zeit mit seiner Freundin im Landkreis Ammerland. Am 4. Januar 2017 hat René Nickel, der in Langwarden aufgewachsen ist, Spätdienst. Gegen 21 Uhr ist er mit dem Auto auf dem Weg zu einem Patienten.

Die Straßen sind glatt. In einer Kurve in Elisabethfehn kommt René Nickel mit dem Wagen von der Straße ab und prallt frontal gegen einen Baum. Das Auto fängt Feuer. René Nickel ist im Wagen eingeklemmt. An alles Weitere kann er sich nicht erinnern. Was dann passiert, weiß er nur aus Erzählungen.

Der Firmenwagen von René Nickel ist nach dem Unfall vollständig demoliert.

Der Firmenwagen von René Nickel ist nach dem Unfall vollständig demoliert. Foto: Feuerwehr Barßel

Ein Pärchen und Anwohner griffen zum Feuerlöscher und ersticken die Flammen. Laut den Ersthelfern war René Nickel bei Bewusstsein. Das Feuer griff auf ihn über. Er soll die Helfer angeschrien haben: „Erschießt mich! Erschießt mich!“ Die hinzukommende Feuerwehr Barßel löschte das Feuer weiter und befreite den Butjadinger aus dem Autowrack.

Im Hubschrauber nach Hamburg

René Nickel ist schwer verletzt. Seine Beine und eine Rippe sind gebrochen und das Feuer hat die rechte Körperseite angegriffen. Ein Hubschrauber fliegt René Nickel nach Hamburg in das BG-Klinikum, das eine Intensivstation für Brandverletzte hat.

René Nickel erinnert sich, wie er auf der Intensivstation wach wurde: „Ich dachte, ich bin auf einer Versuchsstation. Überall an mir waren Schläuche. Meine Beine waren in Schienen. Meine Hände waren am Bettgitter festgemacht und ich hatte Halluzinationen ohne Ende.“

René Nickel beim Essen auf der Intensivstation in Hamburg. Er sagt, selbst in dem Spezial-Krankenhaus war er aufgrund seiner schweren Verletzungen „eine Attraktion“.

René Nickel beim Essen auf der Intensivstation in Hamburg. Er sagt, selbst in dem Spezial-Krankenhaus war er aufgrund seiner schweren Verletzungen „eine Attraktion“. Foto: privat

Brandverletzungen setzen ihm zu

Der junge Mann, der mittlerweile wieder in Langwarden wohnt, hat damals starke Schmerzmedikamente bekommen. „Ich hab zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen, bis ich geschnallt habe, was eigentlich los ist“, erzählt der Altenpfleger.

Ich hab zwei Wochen auf der Intensivstation gelegen, bis ich

René Nickel

Anderthalb Monate verbringt er auf der Intensivstation. Seine Brandverletzungen sind an der rechten Hand stark. Der kleine Finger wird amputiert und die oberen Glieder des Ringfingers und des Mittelfingers werden abgenommen. Dadurch bekommt René Nickel Existenzängste. „Ich hab mich gefragt, ob ich noch in der Altenpflege arbeiten kann“, verrät der junge Mann.

Butjadinger steht heute wieder mitten im Leben

Heute, acht Jahre später, sitzt René Nickel in seinem Wohnzimmer in seinem eigenen Haus in Langwarden und erzählt von dem Unfall und der Zeit im Krankenhaus. Immer wieder hat der inzwischen 29-Jährige einen flapsigen Spruch auf den Lippen. „Wie Justin Bieber seh ich nicht mehr aus“, sagt er und lacht.

Der Unfall hat Spuren hinterlassen. Dunkle Brandnarben zieren das schmale Gesicht von René Nickel und den gesamten rechten Arm. Außerdem ist die rechte Ohrmuschel komplett verschwunden. Die rechte Hand ist nicht mehr vollständig und auf der Hälfte seiner Kopfhaut wachsen keine Haare mehr. „Ich spar die Hälfte beim Friseur“, scherzt der Butjadinger.

Sieben Monate nach dem Unfall arbeitet er wieder

René Nickel hat sich zurück ins Leben gekämpft. Nach seiner Zeit auf der Intensivstation verbrachte er fünf Monate auf einer Normalstation. An einem Gehwagen musste er das Laufen wieder lernen. Dann entließ er sich selbst. Er besucht damals sechs Wochen eine ambulante Reha und fängt dann - entgegen aller Erwartungen und Ratschläge - im August 2017 wieder an als Altenpfleger zu arbeiten. „Ich wollte unbedingt zurück in die Pflege“, berichtet der Langwarder. Nach einer kurzen Zeit der Arbeit in einem Pflegeheim wechselt er in die außerklinische Intensivpflege.

Gespräche mit Psychologen brachten keinen Mehrwert

René Nickel gibt zu, dass es auf der Intensivstation Momente gab, in denen er dachte: „Alles ist scheiße.“ Dreimal spricht er mit einem Psychologen, doch die Gespräche helfen ihm nicht. „Die Gespräche beim Rauchen mit Mitpatienten haben mir mehr gebracht“, sagt er. Außerdem erfährt er große Unterstützung durch seine Familie, seine damalige Freundin und seine Freunde.

„Meine Eltern sind jeden Tag nach ihrer Arbeit 200 Kilometer zu mir nach Hamburg gefahren“, berichtet er. Seine Schwester Sabrina hat sich derweil in Butjadingen um den Haushalt der Familie gekümmert und den Hund der Eltern betreut.

Wird oft angestarrt oder angesprochen

René Nickel lebt seit 2019 von seiner Freundin getrennt, doch im Februar 2018 kommt noch der Sohn der beiden auf die Welt. Der Altenpfleger führt jetzt ein selbstständiges Leben in Langwarden, renoviert sein Haus und liebt seine Arbeit in der Pflege.

Er wird oft angestarrt, gerade von Kindern. „Das ist okay. Am liebsten habe ich es aber, wenn man mich anspricht und mich fragt, was mir passiert ist“, betont er. Früher, so sagt René Nickel, war er eitel und ihm war sein Aussehen sehr wichtig. „Heute weiß ich, dass es Wichtigeres im Leben gibt“. Der Unfall habe ihn stärker gemacht. „Noch mal brauche ich das aber nicht“, sagt er und grinst.

Die Redaktion empfiehlt
Weitere Artikel