TLebenslange Haft für Soldat Florian G. – „Schwer erträglich“
Ein Jahr nach der Tat wurde das Urteil im Mordfall Florian G. im Landgericht Verden verkündet. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Er tötete nahe Scheeßel ein dreijähriges Mädchen, zwei Frauen und einen Mann aus dem Umfeld seiner damaligen Ehefrau. Der Prozess endete, doch das Leid der Hinterbliebenen bleibt.
Verden/Scheeßel. Vor einem Jahr wurden in Westervesede und Brockel im Landkreis Rotenburg vier Menschen in ihren Häusern erschossen. Das Landgericht Verden verurteilte den Soldaten Florian G. wegen Mordes in drei Fällen und einer fahrlässigen Tötung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe.
„Die Mehrfachtötung ist ein Standardfall für die Bejahung der besonderen Schwere der Schuld“, erklärte der Vorsitzende Richter Volker Stronczyk die Rechtssprechung des Bundesgerichtshofes. „Das findet die Kammer auch richtig“, betonte er.
Dies war nach 25 Verhandlungstagen einer der wenigen noch strittigen Punkte. Jedoch für die Kammer eindeutig zu beantworten: „Mord ist immer ein schlimmes Delikt, das schwerste Delikt. Umso schlimmer, wenn man drei Personen tötet.“
Florian G. hat den neuen Freund seiner damaligen Frau (30 Jahre), dessen Mutter (55) und die beste Freundin (33) seiner Frau gezielt erschossen. Weitere Aspekte seien, dass die Opfer in ihren Häusern getötet worden sind, die außerordentlich schweren Verletzungen und die Tatplanung.
Viel Medienrummel am letzten Verhandlungstag. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Richter: Hass treibt Angeklagten zu den Taten
Der Vorsitzende sprach die Aussage der Verteidigerin in ihrem Plädoyer an, dass „auch der Angeklagte gestorben sei“. Da sei „überdramatisiert“ worden. So gefühlskalt wie sie es darlegen wollte, sei der 33-Jährige nicht. Dafür nannte der Vorsitzende mehrere Gründe. Unter anderem, was ihn zu den Taten getrieben hat: Hass. Und das sei auch eine Emotion.
Die Tat sei als „Mitnahmesuizid“ geplant gewesen. „In der Nacht zum 27. Februar entschied er sich, die Menschen, die sein Leben und seine Zukunft zerstört haben, mitzunehmen und seine Kinder damit zu schützen. So war sein subjektives Empfinden“, sagte der Vorsitzende und merkte an: „Schockierend, dass er sich so entschieden hat.“
Motivlage: Unverständnis über Art des Umgangs
Zur Überzeugung der Kammer ging es nicht mehr um die von seiner Frau gewünschte Trennung. „Damit hatte er sich unterdessen abgefunden“, hieß es in der Urteilsbegründung. „Nach einigem Hin und Her.“ In dieser Nacht habe „ein Bündel von Empfindungen“ den Entschluss reifen lassen.

Der Vorsitzende Richter Volker Stronczyk. Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa
Als „Motivlage“ nannte der Vorsitzende „das Unverständnis über die Art und Weise, wie mit ihm umgegangen worden ist“. Außerdem Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Angst vorm Existenzverlust und um das Sorgerecht für seine Söhne, von denen einer noch nicht geboren war.
Verhalten subjektiv als bedrohlich wahrgenommen
Am selben Tag, 26. Februar, hatte der später getötete 30-Jährige im Beisein der Ehefrau bei der Polizei Anzeige wegen Bedrohung erstattet. Von dieser hatte der Fallschirmjäger abends bei einer Gefährderansprache der Polizei erfahren. Eine Bedrohung habe es nicht gegeben, aber das Verhalten des Angeklagten wurde „subjektiv als bedrohlich wahrgenommen“, erklärte Stronczyk.
Dass Florian G. zu seinem Waffenschrank gegangen war, als er am 22. Februar in seinem Haus den 30-Jährigen angetroffen hatte. Dann noch einmal bei der Übergabe eines Hausverbotes am 24. Februar an den 30-Jährigen in Westervesede.
WhatsApp-Nachrichten seien so zu verstehen, dass der 30-Jährige die Anzeige gar nicht gewollt habe, sondern dass die später getötete 33-Jährige dazu gedrängt habe. Florian G. habe die Mutter des 30-Jährigen erschossen, weil er auch sie „verachtet und gehasst“ habe. Dass er die Dreijährige unter einer Decke in den Armen ihrer 33 Jahre alten Mutter getötet hat, habe der Angeklagte nicht bemerkt.
Vor Urteilsverkündung
T So sehr leiden die Kinder – Mordprozess enthüllt ihre Schicksale
Drei Erwachsene heimtückisch ermordet
Die drei Erwachsenen habe er heimtückisch ermordet, aber nicht aus niedrigen Beweggründen. Seine Frau, die beste Freundin und der neue Partner „wollten ihm im Rahmen der anstehenden Scheidung Probleme bereiten“. Die beste Freundin scheint dabei die treibende Kraft gewesen zu sein, aber „wir wollen nicht den getöteten Personen die Verantwortung geben“, betonte der Richter. „Die Tat ist nach sittlicher Anschauung verachtenswert, ganz klar, aber das weitere Tatbestandsmerkmal, dass sie auf tiefster Stufe stehen muss, konnten wir nicht feststellen.“
Nachdem die Verhandlung geschlossen war, richtete der Vorsitzende Richter Volker Stronczyk das Wort an alle Verfahrensbeteiligten. Der Fall habe so viele Personen als Opfer beeinträchtigt. Explizit sprach er die Kinder an, die Mutter beziehungsweise Vater verloren haben. Man möge sich überlegen, es bei dem Urteil zu belassen und kein Rechtsmittel einzulegen, weil es „eventuell Frieden bringen könnte“. Seit Jahrzehnten sei er Richter, habe aber noch keinen Fall gehabt, wo innerhalb einer halben Stunde drei Menschen erschossen worden sind.
Verteidigerin kündigt an, Rechtsmittel einzulegen
Die Verteidigerin wirkte empört und kündigte direkt danach vor laufenden Kameras an, Rechtsmittel einzulegen. Dazwischen übergab sie ihrem Mandanten Babyfotos. Vermutlich von seinem während der Inhaftierung geborenen Sohn.
„Das tragische Geschehen haben meine Mandanten noch nicht einmal ansatzweise verarbeitet“, sagt Steffen Hörning. Er vertritt als Anwalt der Nebenklage fünf Mandantinnen und Mandanten im sogenannten Soldatenmord-Prozess.
Seine Kollegin aus der Kanzlei für Opferrecht in Göttingen, Helen Wienands, vertritt weitere vier der direkt Betroffenen der Mordserie vom 1. März 2024. Das Urteil sei für seine Mandanten die Chance, „zumindest wieder einen Fuß in Richtung Normalität zu setzen“, sagt der Jurist. Vorausgesetzt, der Richterspruch wird nach der Urteilsverkündigung auch rechtskräftig.
Hinterbliebene: Sie haben die Tat noch lange nicht verarbeitet
Dass das Landgericht nicht nur das Urteil „Lebenslang“ ausspricht, sondern auch die besondere Schwere der Schuld feststellt – davon war Hörning vor der Urteilsverkündung überzeugt. Das bedeutet, dass der Antrag auf Aussetzung zur Bewährung nach 15 Jahren mit großer Wahrscheinlichkeit unmöglich ist. Genauso geht er davon aus, dass die Kammer der Taten in Westervesede und Brockel niedrige Beweggründe attestiert. „Denn das steht für mich außer Frage.“ Die Taten seien „dermaßen kaltblütig und geplant“ erfolgt, dass neben der Heimtücke auch das zweite Mordmerkmal – eben die niedrigen Beweggründe – vorliegen.
Die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung sieht der Opferanwalt aber nicht als gegeben an. Sicherungsverwahrung bedeutet, dass ein verurteilter Straftäter nach Verbüßung der Haft nicht auf freien Fuß kommt. „Das war eine spezielle Tat aus dem persönlichen Bereich, die sich so nicht wiederholen wird.“ So ein Szenario werde sich nicht mehr ergeben, wenn der Angeklagte aus der Haft entlassen werde, nimmt er an.
Angeklagter „völlig emotionslos“
Den Angeklagten Florian G, einen ehemaligen Berufssoldaten, habe er während der Verhandlung als Person erlebt, „die nie gelernt hat, mit Gefühlen umzugehen oder sie zu zeigen“, sagt Hörning. Der Angeklagte sei ihm wie „komplett emotionslos“ vorgekommen. „Die Art, wie er sich vor Gericht doch noch eingelassen hat, war schwer erträglich“. Während der Verhandlung sei erklärbar geworden, wie es zu diesen Taten gekommen sei. G. habe geglaubt, das Wichtigste zu verlieren. Seine Familie und die Karriere bei der Bundeswehr. „Mir fehlt der Zugang dafür, wie es zu einer solch unmenschlichen Tat und dieser Tatausführung kommen konnte“, sagt Steffen Hörning. „Einem gefriert das Blut in den Adern, wenn man hört, dass der Angeklagte mit sich im Reinen ist“, fügt der Jurist hinzu.
Ein rechtskräftiges Urteil bedeute für die Angehörigen nicht, mit dem Geschehen abzuschließen. „Sie müssen sich nur nicht mehr mit den Taten und seinen Folgen täglich beschäftigen“, erklärt der Anwalt. Die Morde in Westervesede und Brockel sind für die Betroffenen „omnipräsent, jeden Tag“, fügt Steffen Hörning hinzu. Das Urteil bringe vielleicht aber die Möglichkeit, wieder mehr zur Ruhe zu kommen.
Morde bleiben bei vielen Menschen im Kopf
Wer jetzt mit Menschen aus dem Umfeld spricht, der trifft auf Nachbarn, vielleicht auch Bekannte, denen die Worte fehlen. Pastor Christian Wietfeldt aus Brockel und seine Scheeßeler Kollegin Johanna Schröder hatten wenige Tage nach der Tat zu Andachten eingeladen. „Das Vertrauen in ein sicheres Dorf ist damals erschüttert worden“, sagt der Seelsorger aus Brockel. Viele Menschen hätten damit bis heute noch nicht abgeschlossen. Vor allem deswegen nicht, weil es keine Tat und damit auch kein Täter von außen war. Wietfeld spricht von einer „inneren Tat“, die Unsicherheit auslöse.
„Die Betroffenheit ist geblieben“, sagt Brockels Ortsbürgermeister Rolf Lüdemann. Wobei es nach seinem Empfinden keine Verunsicherung im Dorf gebe und die Taten auch kein tägliches oder immer wiederkehrendes Gesprächsthema seien. „Das kommt immer mal wieder hoch und wird dann zum Thema.“ Wobei der Ortsbürgermeister auch sagt, dass er sich vorstellen könne, „dass manches verdrängt wird“.
„Das ist auf den Dörfern immer mal wieder ein Thema“, sagt Pastorin Johanna Schröder, die vor gut einem Jahr zu einer Andacht in die Friedhofskapelle in Westervesede eingeladen hatte. Ihr und ihrem Brockeler Kollegen ging es vor allem darum, der Trauer, aber auch der Sprachlosigkeit einen Raum zu geben und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, mit ihrem Entsetzen nicht alleine zu sein.
Brockels Pastor Christian Wietfeldt griff zu Beginn der Andacht die Sprachlosigkeit auf, die nach der vierfachen Tötung herrschte. Sprachlosigkeit, weil es keine Wörter gebe, die das Unerklärliche erklären könnten oder die Trauer um vier Menschen einfacher machen. Wenn in Westervesede und Brockel der Tod dieser vier Menschen ein Thema ist, das immer wieder hochkommt, dann stellt sich die Frage, wie diejenigen mit dem Verlust klarkommen, die ihre Liebsten verloren haben. (RK)