TVogelgrippe: Weiter dramatische Verluste bei Seevögeln

Der Bestand der Brandseeschwalbe im deutschen Wattenmeer ist durch die Vogelgrippe um 40 Prozent zurückgegangen. Foto: Harro Müller
Sie standen schon 2021, als die letzte Rote Liste herausgegeben wurde, in der höchsten Gefährdungskategorie: vom Aussterben bedroht. Dann kam die Vogelgrippe.
Genau genommen sind es vier Arten, die im Wattenmeer heimisch sind: Brandseeschwalbe, Küstenseeschwalbe, Flussseeschwalbe und die besonders seltene Zwergseeschwalbe. Sie sind allesamt Charaktervögel der Küste und nach den hohen Verlusten durch die Vogelgrippe nun gefährdeter denn je.
Die Vogelgrippe tritt fast weltweit auf, und das seit vielen Jahren. Bekannt ist sie seit den 1930er Jahren. Seit den 1980er Jahren werden immer wieder Geflügelfarmen befallen. An der Nordseeküste traf die Vogelgrippe zunächst vor allem Gänse, die im Winterhalbjahr zu Zehntausenden hier überwintern. Andere Vogelarten wurden nur in geringem Maß infiziert. Doch das hat sich 2022 geändert. Das Massensterben unter Seevögeln hat sich 2023 fortgesetzt, wie Veröffentlichungen der Nationalparkverwaltung Wattenmeer deutlich machen.
Tausende toter Vögel allein auf Minsener Oog
Die Brandseeschwalbe hat fast 40 Prozent ihres Bestandes im deutschen Wattenmeer verloren. Ursache dafür ist das Massensterben im Jahr 2022. Besonders drastisch schlug die Vogelgrippe auf der Vogelinsel Minsener Oog in der Jademündung zu. Diese Insel ist eines der Brutzentren der Brandseeschwalben im deutschen Wattenmeer. Die Nationalparkverwaltung hat allein dort knapp 3000 tote Altvögel und 2800 verendete Jungvögel gezählt. Sehr hoch waren die Verluste der Brandseeschwalbe auch auf der Insel Neuwerk. Dort verendete mehr als die Hälfte der Brutvögel. Die Brandseeschwalbe war der Küstenvogel, der im deutschen Wattenmeer im Jahr 2022 am stärksten unter der Vogelgrippe gelitten hat.
Bedrohte Arten
Erstmals Eisbär mit Vogelgrippe entdeckt
Brandseeschwalben brüten, meist in großer Zahl, dicht zusammen. Im gesamten deutschen Wattenmeer gab es zuletzt nur fünf Brutkolonien. „Die Nester befinden sich in Pickdistanz, 34 bis 35 Zentimeter“, weiß Florian Packmor, Ornithologe bei der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer. Da sich die Vogelgrippe-Viren über Tröpfcheninfektion verbreiten, ist das Ansteckungsrisiko in diesen Kolonien besonders hoch. Auch 2023 starben Brandseeschwalben im Wattenmeer an der Vogelgrippe, allerdings in deutlich geringerer Zahl. Betroffen waren diesmal vor allem Jungvögel. „Wir hoffen, dass das ein Hinweis auf eine zwischenzeitliche Immunität bei Altvögeln ist“, sagt Florian Packmor.
Virus greift Kolonien im zweiten Jahr hintereinander an
Opfer der Vogelgrippe wurde 2022 auch die Flussseeschwalbe. In den Flussseeschwalbenkolonien auf Minsener Oog und am Banter See in Wilhelmshaven verendeten ein gutes Drittel der Altvögel (510) und 1350 Jungvögel. Besser erging es den Flussseeschwalben in der mit etwa 60 Brutpaaren allerdings vergleichsweise kleinen Kolonien im Seenpark II in Nordenham. 2023 kam es dann in der Flussseeschwalbenkolonie am Banter See erneut zu einem massiven Ausbruch der Seuche.
Virusinfektion
Geflügelpest in Legehennenbetrieb und Kleintierhaltung
Hunderte von Seevögeln starben auch auf Helgoland. Im Jahr 2022 waren vor allem Basstölpel betroffen. Der Brutbestand ging von 2022 auf 2023 um ein Drittel zurück. Im vergangenen Jahr verendeten dann Hunderte junger Lummen. Solche Schreckensnachrichten wurden in den Jahren 2022 und 2023 aus zahlreichen Seevogelkolonien in ganz Europa und auch von anderen Kontinenten gemeldet. Wo Vögel auf engem Raum zusammenbrüten oder -sitzen, haben die Viren leichtes Spiel.
2023 hat es vor allem eine Vogelart getroffen
So wie die Brandseeschwalbe im Jahr 2022 zahlenmäßig die am stärksten betroffene Vogelart war, war das im vergangenen Jahr die Lachmöwe, und das in mehreren europäischen Ländern und nicht nur an der Küste, sondern auch im Binnenland.
Die Nationalparkverwaltung hat als Reaktion auf das Sterben der besonders bedrohten Brandseeschwalben Überwachungskameras in den Brutkolonien aufgestellt, um im Falle einer Infektion Kadaver schnell einsammeln zu können und damit das Ansteckungsrisiko zu vermindern.
Die Vogelschützer sind alarmiert, denn das Virus ist in der Lage, sich schnell zu verändern und immer wieder anzugreifen. „Insbesondere bei seltenen und gefährdeten Arten bietet dies Grund zu erheblicher Sorge“, heißt es in einem Beitrag der Ornithologen Dr. Florian Packmor und Peter Südbeck von der Nationalparkverwaltung für die Fachzeitschrift „Der Falke“. Die beiden mahnen internationale Forschungs- und Monitoringprogramme an, denn bislang sei viel zu wenig bekannt über die Dynamik und Langzeitfolgen der Vogelgrippe auf die Populationen von Küsten- und Seevögeln.
In Südamerika sind Tausende von Seelöwen verendet
Die Vogelgrippe rafft Wildvogelarten längst auf fast allen Kontinenten dahin und hat inzwischen die Antarktis erreicht. Auch Seeschwalben-Kolonien an der westafrikanischen Küste waren massiv betroffen. In diesen Gebieten überwintern die Seeschwalben aus dem deutschen Wattenmeer. Aktuell gebe es aber keinen Hinweis auf einen Ausbruch der Vogelgrippe bei den überwinternden Seeschwalben, sagt Florian Packmor.
An den Küsten Südamerikas sind Zehntausende von Tölpeln, Kormoranen und Pelikanen durch die Vogelgrippe ums Leben gekommen. Dort ist das Virus auch auf Säugetiere übergesprungen. Mehr als 10.000 Seelöwen sind an den südamerikanischen Küsten durch das Vogelgrippe-Virus umgekommen. In Einzelfällen seien auch in Europa schon Säugetiere infiziert worden, beispielsweise Seehunde und Füchse, weiß Florian Packmor, ebenso Tiere in Nerzfarmen. Auch Menschen haben sich schon angesteckt.
Woher das tödliche Virus stammt
Woher kommt die Vogelgrippe? Vogelgrippe mit eher harmlosen Viren sei weit verbreitet unter Wildvögeln. Doch dies gefährde die Populationen nicht. Problematisch seien die hochpathogenen Varianten. Und da gibt es Hinweise, dass die in der Massenhaltung von Geflügel entstanden sind. „Gelegenheit macht Virus“, sagt Florian Packmor.
Bernd Hälterlein, langjähriger ehemaliger Vorsitzender des Dachverbandes deutscher Avifaunisten, plädiert für ein Umdenken bei der Nutztierhaltung. Größe und Dichte von Geflügelfarmen sollten verringert werden und die Standorte nicht in der Nähe von Wasservogelgebieten liegen, fordert er mit dem Ziel, das Risiko weiterer Ausbrüche der Vogelgrippe zu reduzieren.
Richtiges Verhalten: Das rät Nationalparkverwaltung Wattenmeer Spaziergängern
- Fassen Sie die Tiere auf keinen Fall an. Menschen können zu Virenträgern werden und die Geflügelpest in andere Teile des Landes verschleppen.
- Halten Sie Abstand, belassen Sie das Tier an Ort und Stelle und lassen Sie die Vögel gegebenenfalls in Ruhe sterben. Erkrankten Tieren kann tierärztlich nicht geholfen werden.
- Halten Sie auch Ihren Hund auf Abstand und beachten Sie die Regeln zur Leinenpflicht in den Wattenmeer-Nationalparken.
- Melden Sie Beobachtungen und aktuelle Zahlen bei Auffälligkeiten den Veterinärbehörden der jeweils betroffenen Landkreise.