TVon 220 Kilo zu neuem Lebensmut – Tina Kuschels außergewöhnlicher Weg

Tina Kuschel ist durch mehrere Erkrankungen übergewichtig und in ihrem ganzen Leben eingeschränkt. Auf diesem Bild wog sie noch über 220 Kilogramm. Foto: privat
Für ihre Gesundheit steht Tina Kuschel aus Vierden einiges durch. Ihr geht es nicht um ein Körperideal, sondern darum, nicht weiter durch ihr Gewicht eingeschränkt zu sein. Das ist ihr Kampf gegen das Fett.
Sittensen. Wenn jeder Schritt schmerzt, der Atem nicht für mehr als ein paar wenige Schritte reicht, wenn alles im Alltag immer schwerer wird, dann muss etwas passieren. So beschließt es schließlich Tina Mareike Kuschel aus Vierden.
45-Jährige aus Vierden beschließt, ihren Pfunden den Kampf anzusagen
Als die 45-Jährige 2018 über 220 Kilogramm wiegt, ist sie durch ihr Gewicht sehr stark eingeschränkt. Doch die Umstellung zu einer gesünderen Ernährung und diverse Diäten führten sie nicht zum so lang ersehnten Erfolg. Ihr ehemaliger Hausarzt sagte ihr, dass sie nichts weiter tun könne. Der Frust bei ihr war groß, erinnert sie sich heute. So schnell lässt sich die Optimistin jedoch von niemandem aufhalten.
Der Wendepunkt 2018, da wiegt sie 220 Kilogramm
Immer schon sei sie ein molliges Kind gewesen, das sei dann so mitgewachsen. „Das bin immer ich gewesen“, sagt Kuschel. Im Job war sie viel unterwegs und ernährte sich hauptsächlich von Chips und Pizza. Bis es zu viel wurde. 2018 kam der Wendepunkt: Florian Kuschel, heute ihr Mann, trat in ihr Leben. Damals wog Tina Kuschel wohl über 220 Kilogramm, gewogen hatte sie sich lange nicht mehr.
„Wir haben tolle Sachen gemacht, wegen meines Gewichtes konnte ich aber oft nicht richtig mitmachen“, erinnert sie sich. Nach 200 Metern Dünenspaziergang war sie bereits schweißgebadet und völlig erschöpft. Ein einschlagendes, späteres Erlebnis war für sie auch, als sie aus Hamburg aufs Land zog: „Als ich meinen Führerschein machen wollte, passte ich nicht hinter das Steuer. Das war so absurd, dass ich nicht wusste, ob ich weinen oder lachen sollte. So absurd.“
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Ausweglose Situation - letzter Ausweg Schlauchmagen?
Die Ausflüge mit ihrem Freund leiteten den Punkt ein, an dem Kuschel sich dazu entschied, etwas zu ändern. Ihr damaliger Hausarzt ließ sie jedoch im Stich. „Ich war schockiert. Natürlich hatte ich kein Zaubermittel erwartet, aber dass ich nichts tun kann, glaubte ich ihm nicht.“ In einem Adipositaszentrum stieß sie auf mehr Hilfe und ließ sich beraten, ein Schlauchmagen stand im Raum. Dabei wird der Magen mit einer Operation verkleinert.
Gruselig, fand Kuschel, aber: „220 Kilogramm sind wie ein Hamsterrad: Ich hatte zu viel Gewicht für Bewegung, aber hätte Bewegung zum Abnehmen benötigt.“ Sie habe große Angst gehabt, entschied sich aber im Februar 2020 für den Schlauchmagen. Theoretisch. Praktisch wurde ihr OP-Termin abgesagt - Corona kam ihr in die Quere. Erst im Oktober klappte es dann endlich. „Ich war noch nie so nervös in meinem Leben. Aber meine neue Hausärztin unterstützte mich“, sagt Kuschel.
Nahrungsergänzungsmittel und neue Lebensgewohnheiten
Die OP lief gut, Kuschel war jedoch klar, dass sie kein Wundermittel ist. Erstens, bringe jede Operation Risiken mit sich und Betroffene müssen lebenslang Nahrungsergänzungsmittel einnehmen. Zweitens, nimmt trotzdem nur der ab, der sich auch bewegt und gesünder isst. Kuschel ärgert sich, dass Magenverkleinerungen auf den sozialen Medien falsch dargestellt werden, sie sieht die OP nur als allerletztes Mittel. Statt der zwei Teller Spaghetti gibt es bei Kuschel seit ihrer Magenverkleinerung nur noch 200 Gramm, dann ist sie satt. Nun wollte und will sie die gewonnene Chance nicht „kaputt“ machen.
Trotz Erfolg kommen die Rückschläge
Und erst hat das wunderbar geklappt: Innerhalb von zwei Jahren hat die heute 45-Jährige 136 Kilogramm erreicht. Doch das nächste Problem stand schon vor der Tür. „Ich habe dann untenrum nicht mehr abgenommen. Ich trug noch die gleichen Hosen, obwohl ich 90 Kilo abgenommen hatte. Da wurde ich stutzig“, erzählt Kuschel.

Nach ihrer Magenverkleinerung und zwei Jahren der gesunden Ernährung wiegt sie nur noch 136 Kilogramm. Foto: privat
War ein Lipödem oder Lymphödem Schuld daran? Nicht ganz. Anfang des Jahres 2024 wurde sie mit Lipohypertrophie diagnostiziert. Eine genetische Fettverteilungsstörung, die offiziell als Körperform und nicht als Krankheit gilt. „Dann war klar, das Fett geht nicht von alleine weg. Ich war wieder an einem Punkt der Frustration. Was nun?“
Erneut unters Messer - für Tausende Euro?
Es ging zur plastischen Chirurgie im Agaplesion Diakonieklinikum Rotenburg, dort stellte der Arzt mit Kuschel einen Plan auf, wie das Fett entfernt werden kann. Erster Schritt sollte die Entfernung ihrer Fettschürze des Bauches sein, die ihr bis auf die Beine hing. Da Lipohypertrophie offiziell keine Krankheit ist, sei es schwer gewesen, der Krankenkasse zu zeigen, dass die teuren Operationen notwendig sind.
Die Eingriffe können laut Kuschel Tausende Euro kosten. Sie musste beispielsweise ihre Entzündungen durch das Reiben von Haut auf Haut nachweisen. „Ich habe geweint vor Glück, als die Krankenkasse die OPs am Bauch und meinen Beinen genehmigt hat“, sagt Kuschel. Nachdem die Fettschürze weg war, sei ihr ein Stein vom Herz gefallen. „Es ist ein Traum jetzt Treppen zu steigen, ein Riesenunterschied!“, freut sie sich.
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Schmerzen und Kreislaufprobleme begleiten sie
Gerade hat sie die zweite Operation im Kampf gegen das hartnäckige Fett hinter sich gebracht. Eine Fettabsaugung an den Beinen. Sie verlief gut, das Ergebnis sei aber erst nach einigen Wochen zu sehen, wenn die Beine abgeheilt sind. Fakt ist, dass 8,4 Liter reines Fett entfernt wurden. Entgegen dem erwarteten Krankenhausaufenthalt von ein bis zwei Tagen nach solch einer Operation musste sie mehr als zehn Tage dort bleiben.

Tina Kuschel ist Optimistin und das, obwohl sie durch mehrere Erkrankungen übergewichtig und in ihrem ganzen Leben eingeschränkt ist. Foto: Borner
„Bei mir läuft nichts nach der Norm“, sagt sie, der Kreislauf macht da nicht mit. Viel schlimmer waren für sie allerdings die unerwartet starken Schmerzen und ein ganz neues Drama: Kompressionsstrümpfe. Da Kompression bei Lipohypertrophie nicht helfe, hat sie keine an ihre Größe angepasste Kompressionshose mit ins Krankenhaus gebracht. „Die Krankenschwester war sehr verwirrt und muss meine Beine jetzt täglich improvisiert wickeln“, erzählt die Patientin.
Bürokratie und Kommunikationsprobleme sind zusätzliche Hürde
Die besonderen Kompressionsstrümpfe für Kuschels Größe haben Klettverschlüsse und kosten pro Stück 1.500 Euro, durch Kommunikationsprobleme und Bürokratie sind die jedoch auch nach dem längeren Krankenhausaufenthalt bislang nicht bei ihr angekommen. Das bedeutet weiterhin täglich frisch gewickelte Beine, an denen die provisorischen Kompressionen verrutschen. Wann die lang ersehnten Strümpfe endlich ankommen? Das wird sich zeigen.
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Tina Kuschels Weg ist noch lange nicht zu Ende
Als Nächstes steht die vierte Operation an, die zweite Fettabsaugung. Wie viele weitere Termine gebraucht werden, könne erst danach gesagt werden. „Ich werde erst aufhören, wenn ich das Ziel erreicht habe und mich frei bewegen kann“, betont sie. Nur zwei Dinge scheinen sicher: Dass Tina Kuschel noch einen weiten Weg vor sich hat und dass sie sich ihren Optimismus nicht nehmen lässt.