TVon Bomben und Hochzeitsschuhen: Himmelpforten dreht Filmdokus mit Zeitzeugen

Lothar Wille (rechts) vom Heimatmuseum beim Filmdreh mit Heiner Bierschwall. Bei dem 86-Jährigen sprudeln die Erinnerungen. Foto: Knappe
Alte Menschen sind wichtige Zeitzeugen. Deshalb dreht das Heimat- und Schulmuseum Himmelpforten Filmdokus mit älteren Bürgern - und Heiner Bierschwall hat ganz besondere Geschichten auf Lager.
Himmelpforten. „Es gibt so viele Leute, die wir schon nicht mehr fragen können. Entweder sind sie zu alt oder schon gestorben“, sagt Lothar Wille, Vorsitzender des Heimat- und Schulmuseums Himmelpforten. Doch regionalgeschichtliche Erinnerungen und Berichte von Menschen aus dem Ort sollen bewahrt und nicht einfach vergessen werden.
Filmdokus mit acht Älteren aus der Gemeinde
Damit Zeitzeugen-Erinnerungen künftig auch jüngeren Generationen lebendig präsentiert werden können, hat das Heimat- und Schulmuseum mit acht Senioren und Seniorinnen aus der Gemeinde in den vergangenen Wochen Filmdokumentationen gedreht.

Heiner Bierschwall ist ein Himmelpfortener Urgestein. Viele kennen noch das Traditions-Schuhgeschäft, das im Vorjahr für immer seine Pforten schloss. Foto: Knappe
Heinrich Bierschwall ist einer von ihnen. Mit markigem Händedruck begrüßt der 86-jährige Lothar Wille und Peter Carsten vom Museumsverein. „Sie können auch Heiner sagen“, stellt er sich vor.
Die Vorstellung ist eigentlich nicht nötig, denn Heiner Bierschwall ist ein Himmelpfortener Urgestein - der Nachname ist untrennbar mit dem gleichnamigen Familien-Schuhgeschäft verbunden, das am 15. Oktober 2023 endgültig seine Pforten in Himmelpforten schloss.
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Die Erinnerungen der Zeitzeugen sprudeln
Heiner Bierschwall nimmt Platz auf einem der alten Museumsstühle, ihm gegenüber sitzt Lothar Wille, der das Interview führt. Publikum gibt es nicht. Peter Carsten hat Mikrofone und Display-Kameras aufgebaut - mit sichtbarer Begeisterung lässt er die schwarzweiße Filmklappe klacken - und los.

Peter Carsten vom Heimat- und Schulmuseum lässt die Filmklappe klackern - die Aufnahme startet. Foto: Knappe
Lothar Wille hält sich zurück, wirft nur gelegentlich eine Frage ein: „Meine Erfahrung ist inzwischen, dass man nur wenige Impulse geben muss. Die Erinnerungen kommen beim Erzählen, die Geschichten sprudeln nur so aus den Leuten heraus.“
Das ist auch bei Heiner Bierschwall so. Der 86-Jährige hat ein exzellentes Gedächtnis, auch für Zahlen. Er berichtet von seinem Opa mit der Beinverkürzung, der sich 1906 als Schuhmacher selbstständig machte. Die Oma muss nebenher bei den Bauern arbeiten.
Gezahlt wurde oft in Naturalien
„Opa reparierte die Schuhe für die Bauern.“ Gezahlt wird oft in Naturalien. Auch Heiner Bierschwalls Vater wird Schuhmacher. „Er war Spezialist für Langschaftstiefel. Die nahmen die Bauern auch als Reitstiefel.“
Vieles weiß Bierschwall aus Kriegs- und Nachkriegszeiten zu berichten. Von der Brückensprengung, vom Granateneinschlag im Garten, wo Mettwurst und Speck vergraben waren. Von den weggeschmissenen Zigarettenkippen der Engländer, die er als Achtjähriger zu Ende raucht.
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Ladenschlusszeiten gibt es nicht
Als der Vater 1949 aus der Kriegsgefangenschaft zurückkehrt, geht es mit dem Geschäft stetig bergauf. „Es lief und es gab keinen Sonntag und keinen Feierabend.“ Die Kunden kommen abends bis 22 Uhr zum Klönen - „aber es wurden auch Schuhe gekauft“, merkt Bierschwall an.
Auch Hochzeitsschuhe sind damals wieder gefragt. „Mein Vater und meine Mutter wurden immer eingeladen. Und wehe, wenn sie nicht hingingen. Die hatten mitunter zwei Hochzeiten an einem Tag“, erinnert sich Bierschwall.
Vor Heiligabend werden 60 bis 70 Paar Hausschuhe verkauft. Heiner Bierschwall fährt als Jugendlicher abends mit dem Rad die reparierten Schuhe zu den Kunden. Zu seiner Konfirmation bekommt er 1952 ein Fahrrad mit Dreigangschaltung und Tacho. „Ich war der einzige im Dorf, der so ein schönes Rad hatte.“
Bis vor zwanzig Jahren noch im Betrieb tätig
Seine Schuhmacherlehre beginnt Bierschwall 1954 in Cuxhaven, wo er auch das Dekorieren lernt und seine Ehefrau Irmgard, eine Schuhverkäuferin, kennenlernt, die er 1963 heiratet.
Drei Jahre zuvor, 1960, war Bierschwall nach Himmelpforten zurückgekehrt. Inzwischen wurden im Familienbetrieb nicht nur selbstgefertigte Schuhe verkauft. „Wir haben die Schuhe per Postkarte oder an der Telefonzelle bestellt. Der Großhändler in Hamburg wusste immer: Das musste alles ganz schnell gehen, denn man musste ja immer 20 Pfennige einwerfen.“ Bis 2004 hat Heiner Bierschwall noch mitgeholfen im Familienunternehmen, das Sohn Gunnar übernommen hatte.
Über eine Stunde dauert der Filmdreh mit Heiner Bierschwall, der dem Heimatmuseum auch noch einige Exponate aus seiner Schuhmacherwerkstatt überlassen möchte. Es war der vierte Drehtag, außer Bierschwall gehören auch Sophie Bäßler, Ursula Bender, Anna Castro, Rolf Wieters, Kurt Thomsen, Reinhild Lemke und Meta Stilper zu den Zeitzeugen, die hier bislang zu Wort kamen.
Weitere Zeitzeugen sind willkommen
Lothar Wille hofft, dass sich noch weitere finden. Peter Carsten wird das Film- und Tonmaterial schneiden - „das wird noch viel Arbeit“. Es wird kurze Filme mit wenigen Minuten Länge geben, möglicherweise themenorientiert. Wann die Filme fertig sind und gezeigt werden, ist noch offen.