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Nahverkehr

TVon Bonschen und Bussen: Unterwegs mit einem Bremerhavener Original

Höchste Konzentration am Steuer - Pjer Ortmann hat alles im Blick.

Höchste Konzentration am Steuer - Pjer Ortmann hat alles im Blick. Foto: Polgesek

Besetzte Bushaltestellen und verlorenes Geld: Pjer Ortmann ist Busfahrer in Bremerhaven und kann viel darüber erzählen. Eindrücke einer Busfahrt durch Bremerhaven.

Von Pascal Patrick Pfaff Samstag, 05.04.2025, 09:50 Uhr

Bremerhaven. Bonbons gibt es in dem Gebäude an der Heinrich-Plett-Straße nicht mehr. Getränke-Automaten ja. Dazu Tische und Stühle. Es ist ein Ort, der schlicht wirkt, aber doch so viele Erinnerungen weckt. „Ich bin hier in Leherheide aufgewachsen. Als Kind habe ich in einer Häusersiedlung unweit der Haltestelle ‚Heinrich-Plett-Straße‘ gelebt“, erinnert sich Pjer Ortmann. Hier, in einem Pausenraum, der damals wie heute von Busfahrern genutzt wird, war einst ein Kiosk untergebracht.

„Ich habe mir damals von dort immer Bonschen geholt und die Busse beobachtet.“ Viele Jahre später ist daraus mehr geworden. Ortmann lenkt mittlerweile selbst einen Bus. An diesem Tag ist es einer der Linie 503, die zwischen Leherheide und Surheide verkehrt. Der Bremerhavener berichtet über seine Erlebnisse mit Baseballschlägern, Feuerteufeln und Stammfahrgästen.

Der Mülleimer als Zielscheibe der Aggression

„Während der Corona-Zeit wollten fünf Männer an der Haltestelle Roter Sand hinzusteigen. Keiner von ihnen trug eine Maske. Ich habe das moniert, doch die Situation wurde dann schnell brenzlig“, erinnert sich Ortmann an das Quintett. Er habe die Polizei gerufen, doch auch die hatte ihre Probleme mit den Männern. „Die fünf demolierten schließlich mit ihren Baseballschlägern einen Mülleimer, bis die Polizei sie bändigte.“ Ortmann sitzt inzwischen wieder im Bus, beobachtet den Verkehr.

Da fällt ihm ein Vorfall vom vergangenen Oktober ein: Er war mit der Linie 507 von Bramel aus unterwegs, so sagt er es, als zwei junge Männer eingestiegen sind. Hinter dem Bus fuhr die Polizei, die ihn aufforderte, anzuhalten und die Türen nicht zu öffnen. „Es hieß, die Männer sollen ein Haus angezündet haben. Ich bin dann mit zwei Polizistinnen zu ihnen gelaufen, wobei sie uns anschrien: ‚Wir waren es‘.“ Am Abend habe er durch den Post eines Kollegen in den sozialen Medien erfahren, dass es sich um dessen Haus handelt.

„Ich unterhalte mich viel mit den Fahrgästen“

Halt. Ein vielleicht zehnjähriges Mädchen kommt nach vorn zu Ortmann. Sie bezahlt ihr Ticket. Zeit für einen Plausch gibt sie ihm nicht – so schnell, wie sie wieder weg ist. „Nicht mit dem Busfahrer sprechen“. Vielleicht hat sie dies auf dem Schild gelesen, das über Ortmanns Fahrerplatz hängt? Nachvollziehen lässt sich das nicht mehr, zumal der Bremerhavener mit dem „Regelbruch“ wohl auch locker umgehen würde.

„Ich unterhalte mich viel mit den Fahrgästen, das gehört einfach dazu. Es ist nicht meine Art, die Leute links liegenzulassen. Wenn sie mir einen ‚guten Morgen‘ wünschen, dann grüße ich zurück. So bin ich einfach erzogen.“ In Schiffdorf und Imsum begegne ihm oft der ein oder andere, der aus seinem Leben erzählt. Von der Rente oder Erkrankungen. Häufig steige in Surheide ein Mann dazu, der vor der Busfahrt seine Zeitung geholt hat. „Den kennt man natürlich“, so Ortmann, der den Menschen nach eigener Aussage auch „einfach mal nur zuhört“

Weinkrampf, Notfall und ein Durchgeknallter

Es ist ruhig auf der dreistündigen Fahrt, die Fahrgäste beschäftigen sich mit ihren Handys, haben kabellose Hörer im Ohr, hören Musik. Manche sprechen miteinander, plauschen mit der über denkwürdige Erlebnisse. Für Reinhild Kufner waren es die Schüler einer 10. Klasse, die ihr im Gedächtnis blieben. Und ihr eine überraschende Frage stellten. „Einmal bin ich mit meiner Schwester in den Bus gestiegen, und die Schüler wollten doch glatt wissen, ob wir Zwillinge sind“, sagt die Bremerhavenerin und lacht.

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Yvonne Krete erlebte dramatische Momente, als es im Bus einen Notfall gab. „Es wurde gesagt, dass die Person klinisch tot ist, bevor Passanten und der Busfahrer Erste Hilfe leisteten. Der Mann wurde letztlich gerettet.“ Sie selbst sei weinend nach Hause gelaufen.

Und Rolf Thierfelder berichtet von einem „durchgeknallten“ Mann. „Er war laut und hantierte mit seiner Decke“, so der Bremerhavener, der es auch kurz vor der Bundestagswahl mit einem renitenten Fahrgast zu tun bekam. „Er hat lautstark über die Wahl geredet. Der Busfahrer musste ihn ermahnen.“

Gleichgewichtsverlust und Scheibendruck

Das fast 19 Meter lange Fahrzeug gleitet derweil durch den Mittagsverkehr. Ab und an ruckelt es, wo die Straßen ein wenig uneben sind. Den Reporter drückt es da gegen eine große Scheibe. Ein kurzes Taumeln neben dem Fahrerplatz, dann ist das Gleichgewicht wieder hergestellt. „Bei engen Kurven passiert das. Deshalb benötigt jeder seine volle Aufmerksamkeit“, gibt Ortmann einen sehr nützlichen Tipp. Aufmerksamkeit. Die hat er vor vier Jahren auf das Busfahren gelenkt.

Nachdem der Leherheider im Hafen seinen Job im Autoumschlag aufgegeben hatte, kam er 2021 zum Unternehmen Bremerhaven Bus. Mit 48. „Da musste ich erst einmal den Busführerschein machen. Natürlich war man da nervös, denn es ging ja darum, selbstständig einen Bus zu fahren.“ Gemeistert hat er die Prüfungsphase aber ohne große Probleme, sitzt heute gar als Lehrfahrer im 27-Tonner (Leergewicht). „Ich bringe Berufseinsteigern bei, worauf sie achten müssen.“

Mit dem Auge auf den Verkehrsteilnehmern

Dazu gehören fraglos Fußgänger und Radfahrer. Sie sind auch auf dem Weg nach Surheide allgegenwärtig. Ihretwegen guckt Ortmann oft in den Spiegel, wandert immer wieder mit seinem Blick von links nach rechts und von rechts nach links. „Busfahrer sind geübt darin, vorausschauend zu fahren.“ Ein Mann mit Disziplin. Und einem wachsamen Auge.

In Surheide angekommen, läuft Ortmann durch den Bus und schaut, was Fahrgäste vergessen haben. Er findet nichts. „Manchmal sind Handys dabei. Oder Portemonnaies. Darin EC-Karten oder auch schon mal 200 Euro. Ich melde das dann der Leitstelle, die später überprüft, ob jemand den Verlust gemeldet hat. Anschließend wird Kontakt zu den Bürgern hergestellt.“

Derartige Schwierigkeiten lassen sich auf diese Weise womöglich einfach lösen. Manche hingegen weniger. Etwa die vielen Autofahrer, die auf den Haltestellen parken und so den Bus blockieren. Ortmann hat kein Verständnis dafür: „Gehbehinderte Menschen kommen dann nicht gut in den Bus. Oft passiert das an der Rickmers- und Hafenstraße.“ Es ist eines der Probleme, die ihn regelmäßig begleiten. Ähnlich wie die Schwarzfahrer. „Am Tag werden wohl 10 bis 20 entdeckt“, ist sich Ortmann aber bewusst, dass nicht jeder von ihnen auffällt.

Die Fahrt ist fast vorbei. Ob ein Zechpreller während der drei vorangegangenen Stunden unter den Reisenden war? Zumindest wurde niemand ermahnt. Ortmann blickt derweil in die Zukunft: In zwei bis drei Monaten sollen in Bremerhaven Wasserstoffbusse fahren, wobei sich die Fahrzeuge auch elektrisch fortbewegen können. Doch damit ist er noch nicht ganz vertraut: „Ich habe einen solchen Bus noch nie gelenkt.“

Vielleicht wird ihm da ein Kollege zuvorkommen. Etwa ein neuer. Die Suche nach ihm oder ihr ist in der Branche nämlich so etwas wie ein Dauerauftrag. Auswirkungen auf den Fahrplan hat dies laut Ortmann aber nicht: „Dafür fahren Kollegen auch mal Überstunden, um dies zu sichern.“ Davon profitieren alle Fahrgäste. Auch der Mann, der auf dem Platz hinter Ortmann sitzt. Er blickt aus dem Fenster und summt vor sich hin. Versonnen. Zurückhaltend. Weit weg von jedwedem Ärger.

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