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Odyssee

TStaderin irrtümlich für tot erklärt – Monatelanger Kampf mit Nachwirkungen

Ein Frau berührt einen Grabstein auf dem Friedhof am Hohenwedel.

Zwischen tot und totgesagt gibt es einen großen Unterschied, stellt eine Staderin fest: die Ruhe. Foto: Anping Richter

Ihr Hausarzt stellt einer Staderin ein ungewöhnliches Attest aus: Er bescheinigt ihr, dass sie lebt. Denn die Bank und die Schufa halten sie für tot. Sie will offiziell zurück ins Reich der Lebenden. Doch damit beginnt eine Odyssee.

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Von Anping Richter
Donnerstag, 26.10.2023, 05:50 Uhr

Stade. Der Brief des Grauens landet am 5. August 2023 im Briefkasten: Ihre ehemalige Bank, die ING-Diba, teilt einer 65-jährigen Staderin darin mit, dass die Schufa sie tot gemeldet hat. Gerichtet ist das Schreiben an sie beziehungsweise ihre Erben. Die Rentnerin ist entsetzt. Sie recherchiert im Internet. Was sie liest, macht ihr Angst: gesperrte Konten, abgestellter Strom, ausbleibende Rentenzahlungen.

Es ist Sonnabend, die Schufa nicht erreichbar. Sicher ist sicher, denkt die Staderin. Sie geht zur Kreissparkasse und hebt 1000 Euro ab: „Ich habe am Automaten sogar in die Kamera gewunken, um zu bezeugen, dass ich am Leben bin.“ Noch am gleichen Nachmittag wendet sie sich ans TAGEBLATT. Die Betreffzeile zeigt, dass sie den Humor trotz allem nicht verloren hat: „Hallo aus dem Jenseits“. Sie unterzeichnet mit Namen, Adresse und Telefonnummer. Dass sie nun doch unter verändertem Namen auftreten möchte, hat Gründe, die sich später herausstellen werden.

Hausarzt attestiert: Seine Patientin lebt

Sybille Doren, wie sie hier genannt werden soll, versucht, mit der ING-Diba Kontakt aufzunehmen. Das klappt nicht, weil sie keine Kontonummer hat. Ihr Konto dort ist längst aufgelöst. Ab 8 Uhr am Montag versucht sie, bei der Schufa anzurufen - vergeblich. Da sie ohnehin einen Arzttermin hat, erzählt sie ihrem Hausarzt, was passiert ist, und bittet ihn, ihr ein Attest auszustellen. Der Arzt schmunzelt: Einen Lebenden-Schein hat er noch nie ausgestellt. Doch er tut ihr den Gefallen.

Endlich schafft Sibylle Doren es, mit der Schufa zu sprechen. Die Mitarbeiterin bedauert das Missverständnis, hat aber keine Erklärung. Sie rät, bei der Hausbank nachzufragen. Doch bei der Kreissparkasse weiß niemand von einer Todesmeldung, auch nicht der Computer. Sibylle Doren will aber sicher gehen, dass es keine Missverständnisse gibt.

Die Kreissparkassen-Mitarbeiter nehmen ihre Lebendigkeit zur Kenntnis und das Attest des Arztes zu den Akten. Sie ist erleichtert: „Meine größte Sorge war, dass mir das Gas abgestellt wird.“ Nun will sie die Sache bei der ING-Diba geklärt wissen. Per Mail erläutert sie das Problem und bittet um Rückruf. Antwort darauf bekommt sie nicht, aber einen Brief mit der Bitte um Aktualisierung ihrer Kundendaten. Sie antwortet nicht. Warum auch: „Ich bin doch gar nicht mehr Kundin.“

Mit dem TAGEBLATT ist vereinbart, abzuwarten, ob die Sache sich klärt und beruhigt. Danach sieht es aus - bis Anfang Oktober wieder ein Brief von der ING-Diba kommt. Sibylle Doren erlebt ein Déjà-vu: Das gleiche Schreiben wie Anfang August, nur mit aktuellem Datum. Die Reporterin nimmt die Recherche auf.

Laut ING-Diba hat die Schufa die Frau tot gemeldet. Um Falschmeldungen zu vermeiden, schreibe sie als verstorben gemeldete Kunden beziehungsweise deren Erben an. In diesem Fall zwei Mal, weil am 25. September von der Schufa erneut eine Todesmeldung kam. Die Schufa bittet um eine unterschriebene Einverständniserklärung der Betroffenen samt Fotografie ihres Ausweises. Sonst dürfe sie aus Datenschutzgründen keine Auskunft geben. Sibylle Doren erteilt Einverständnis - nicht ohne süffisant anzumerken: „Wenn Sie Hosenträger verkaufen würden, hätten Sie jede Auskunft ohne Vollmacht bekommen.“

Schwere Folgen eines kleinen Fehlers beim Amtsgericht

Wie eine Schufa-Sprecherin erklärt, arbeitet die Wirtschaftsauskunftei nach dem Gegenseitigkeitsprinzip. Vertragspartner melden Informationen wie Umzüge, Namenswechsel oder Todesfälle und beziehen Auskünfte von der Schufa. In diesem Fall kam die Information aber aus einem öffentlichen Verzeichnis: vom Stader Amtsgericht. Das Amtsgericht melde keine Daten an die Schufa, erklärt dessen Sprecherin.

Doch Sibylle Doren hat als Selbstständige gearbeitet. Ihre kleine Firma hat die Corona-Krise nicht überlebt und ging insolvent, weshalb das Amtsgericht die Personendaten veröffentlichte - mit einem kleinen Fehler: Statt Vermögensklärung wurde Nachlassklärung angegeben. Dabei werden solche Meldungen laut Amtsgericht Stade vor der Veröffentlichung nach dem Sechs-Augen-Prinzip geprüft.

Die Schufa, inzwischen von Sibylle Doren aufgeklärt, hatte dem Amtsgericht den Irrtum am 17. August mitgeteilt. Es veröffentlichte die Korrektur sofort. Weshalb die Schufa im September trotzdem erneut eine Todesmeldung an die ING-Diba schickte, konnte sie erst gestern klären: Es kam zu einem Informations-Ping-Pong. Ein anderer Vertragspartner meldete Sibylle Doren tot, worauf die Schufa dies erneut weitergab. Mittlerweile sei ein Vermerk in den Daten, damit irrtümliche Todesmeldungen nicht mehr aufgenommen werden. Sibylle Doren hofft, dass sie nun nie wieder Briefe über ihren eigenen Tod lesen muss.

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