TWarum weniger Plastik? Der Stoff kann schon beim Ungeborenen nachgewiesen werden
Dr. Melanie Bergmann erforscht im Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven unter anderen die Belastung der Nordseeküste und Weser durch Meso- und Mikroplastik. Foto: Ana Rodríguez Heinlein
Verpackung, Spielzeug, Kleidung: Plastik ist überall. Aktuell wird über ein Abkommen zur Beendigung der Plastikvermüllung von Meer und Umwelt verhandelt. Warum das so wichtig ist, erklärt eine Wissenschaftlerin des AWI.
Butjadingen. Plastik, egal ob groß oder mikroskopisch klein, wird von Tieren aufgenommen. Es dringt in die Nahrungskette ein. Beim Menschen wurde Plastik in der Plazenta und im Mekonium (fötaler Stuhl), in der Brustmilch und in fast allen untersuchten Organen nachgewiesen. Laut einer Studie könnte es sogar die Blut-Hirn-Schranke überschreiten.
Die Auswirkung auf die menschliche Gesundheit ist bislang nicht ausreichend untersucht. Es laufen mehrere Studien, die zeigen, dass es einen Zusammenhang mit entzündlichen Darmerkrankungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden, sowie mit Alzheimer-Markern, gibt. „Noch ist die Forschung am Anfang, aber es klingt plausibel“, sagt Dr. Melanie Bergmann. Die Biologin forscht am Alfred-Wegener-Institut zu Mikroplastik und Müll im Meer.
Kein Mikroplastik am Strand von Brake und Kleinensiel
Von September 2021 bis April 2023 wurde an 71 Probestandorten an der deutschen Ost- und Nordseeküste das Vorkommen von Plastik in der Größe von ein bis fünf Millimeter Mikroplastik untersucht. Auch in Brake und Kleinensiel wurden an jeweils einer Stelle entlang der Weser Proben entnommen. Dort wurde kein Mikroplastik gefunden. Trotzdem sieht die Bilanz alles andere als rosig aus.
„Durch unseren Fokus auf die Messung von größeren Teilchen kommen wir auf geringere Mengen als bei früheren Studien in der Küstenregion, die auch kleinere Teilchen Mikroplastik in der Größe von 11 bis 22 Mikrometern erfassten. Mikroplastik macht beispielsweise fast 90 Prozent der Teilchen in arktischen Proben aus“, sagt Melanie Bergmann. Und es gelangt überall hin.
Diese Plastikteilchen lassen sich nicht einfach aus dem Meer filtern. Selbst, wenn es eine Vorrichtung gäbe, die riesige Wassermengen säubern könnte, wäre der Vorgang nicht sinnvoll. „Durch so ein Gerät würden auch Algen und Zooplankton aus dem Meer entfernt werden. Das wäre ein riesiger Schaden am Ökosystem. Der Ozean ist nicht dafür da, schön auszusehen, sondern um das Ökosystem am Leben zu halten, zum Beispiel Kohlendioxid abzupuffern und Sauerstoff herzustellen“, sagt die Biologin.
1800 neue Plastikfabriken in den nächsten fünf Jahren
Verhandlungen um ein Plastikabkommen, das eine Bekämpfung der Meeresverschmutzung mit Plastik auf UN-Ebene umfasst, laufen. Die Staaten wollen bis Ende des Jahres einen Entwurf auf den Weg bringen. Unter anderen Russland, Iran und Saudi-Arabien arbeiten gegen strenge Produktionsgrenzen. „Würden sich China und die USA zu weitergehenden Maßnahmen bekennen, wäre das allerdings ein Gamechanger“, sagt Melanie Bergmann. Diese Länder liegen bei der Produktion von Plastik weltweit mit anderen an der Spitze.
Gastronomie
T Neue Pläne: „Der Grieche“ gibt seinen Imbisswagen auf
Kunststoffe werden aus fossilem Gas und Öl hergestellt. Bereits die Produktion verursacht CO₂ und trägt derzeit mit über 5 Prozent zum weltweiten CO₂-Ausstoß bei. Für einige Staaten ist die Plastikproduktion wirtschaftlich wichtig. Aufgrund der Klimakrise werden wir in Zukunft weniger Gas und Öl verbrennen. Doch die fossile Industrie hat bereits neue Pläne für die Rohstoffe.
In den nächsten fünf Jahren sollen rund 1800 neue Plastikfabriken gebaut werden. Doch Plastik verschwindet nicht von allein. Einmal produziert, ist die einzige Möglichkeit es loszuwerden, die Verbrennung. Dabei entstehen hochgiftige Stoffe, die endgelagert werden müssen. Oder sie gelangen bei der in vielen Ländern praktizierten offenen Verbrennung sogar in die Umwelt.
Der Druck der Verbraucher
In Deutschland werden stündlich 320.000 Einweg Trinkbecher verbraucht. Eine Studie des Umweltbundesamtes entdeckte in dem kunststoffbeschichteten Geschirr gesundheitsschädliche per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS). In Babyflaschen und Schnullern wurde Bisphenol-A nachgewiesen und die Verwendung in der Produktion 2020 verboten. Die Hersteller ersetzten den chemischen Stoff durch einen anderen, der genauso schädlich war.
Mit der Produktion von Plastik sind 16.000 verschiedene Chemikalien verbunden. Ein Viertel davon wird als gefährlich eingestuft, für zwei Drittel fehlen noch Daten. Wir benutzen diese Produkte täglich. Ist der Verbraucher ohnmächtig? Um ein Umdenken zu bewirken, muss es für die Unternehmen interessant sein, weniger Plastik herzustellen.
„Da wir in einem kapitalistischen System leben, müssen wir mit den Marktmechanismen arbeiten, wenn sich etwas ändern soll“, sagt die Wissenschaftlerin. „Begrenzen wir die Plastikproduktion, steigt der Preis. Dann macht die Herstellung von Plastik durch Recycling oder Pfandsysteme ökonomisch Sinn.“
Supermärkte bieten vermehrt Produkte im Glas an. Die Entscheidung beim Einkauf das billigste Produkt zu wählen, übersieht die langfristigen Folgen. Denn, was wir kaufen, setzt Maßstäbe für den Handel. Es ist zudem Aufgabe der Politik, die umweltfreundliche und gesündere Ware im Preis attraktiver zu machen als den Kunststoff.