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Interview

TWas Unternehmer von Top-Schiedsrichter Aytekin lernen können

Schiedsrichter Deniz Aytekin (rechts) wird von den Bundesliga-Profis für seine kommunikative Art gelobt.

Schiedsrichter Deniz Aytekin (rechts) wird von den Bundesliga-Profis für seine kommunikative Art gelobt. Foto: Bernd Thissen/dpa

Er gehört zu den bekanntesten Unparteiischen des Landes - und zu den besten. Im Interview spricht Deniz Aytekin (45) über Entscheidungen in Sekundenschnelle, Druck und Körpersprache.

Von Lutz Hilken Samstag, 02.03.2024, 08:00 Uhr

TAGEBLATT: Was können Unternehmer von Bundesliga-Schiedsrichtern lernen?

Deniz Aytekin: Über die vielen Jahre, die ich als Schiedsrichter und im Hauptberuf als Online-Unternehmer agiere, habe ich festgestellt, dass es viele Parallelen gibt. Der Profi-Sport bietet schöne Analogien. Mit Professor Engelen von der Universität Düsseldorf habe ich ein Buch darüber geschrieben: „Souverän entscheiden und führen – was Führungskräfte von Top-Schiedsrichtern lernen können“. Im Buch werden Leadership-Inhalte mit Analogien aus dem Fußball erklärt. Wissenschaftlich fundiert, aber mit Beispielen aus dem Profi-Sport.

Was ist die Grundlage guter Entscheidungen?

Sie ist relativ banal: die Vorbereitung. Je besser ich mich auf die Mannschaften und ein Spiel vorbereite, desto ausgeglichener und innerlich ruhiger bin ich, weil ich antizipieren kann und weiß, wie bestimmte Situationen stattfinden werden. So ist es auch in Unternehmen. Man verlässt sich häufig auf Erfahrung, was wichtig ist. Aber manchmal ist es erforderlich, zu den Grundlagen zurückzukehren: ein Kunden- oder Mitarbeitergespräch gut vorzubereiten, auch wenn ich sehr viel Erfahrung habe – um in Balance zu bleiben und nicht in eine Stresssituation zu verfallen, vielleicht einen Leichtsinnsfehler zu begehen. Es gibt natürlich zahlreiche andere Entscheidungsstrategien, die wir als Schiedsrichter anwenden.

Zum Beispiel?

Die Körpersprache. Wir erfassen Reaktionen von Spielern und deren Körpersprache, bewerten sie mit. Bezogen auf Unternehmen: Wir leben im Zeitalter des Medienkonsums und der Informationsflut, verpassen dadurch vielleicht die körpersprachlichen Signale von unserem Gegenüber. Man sitzt in Meetings, aber achtet nicht auf sein Gegenüber, weil man eher mit dem Handy beschäftigt ist. Oder wir hören nicht mehr zu, weil wir daran denken, was wir selbst sagen werden. Dieses Thema der Körpersprache, sich bewusst seinem Gegenüber zu widmen, bietet in vielen Entscheidungs- und Drucksituationen zusätzliche Informationen, um am Ende gute und richtige Entscheidungen zu treffen.

Deniz Aytekin ist nicht nur einer der bekanntesten Bundesliga-Schiedsrichter, sondern auch Redner und Unternehmer.

Deniz Aytekin ist nicht nur einer der bekanntesten Bundesliga-Schiedsrichter, sondern auch Redner und Unternehmer. Foto: Privat

Entscheidungsprozesse in Betrieben sind oft komplizierter als solche mit klaren Regeln auf dem Fußballplatz. Wie lassen sich Strategien vom Sportplatz auf Unternehmen übertragen?

Entscheidungsprozesse in Unternehmen sind vielfältig. Für das Fußballfeld gibt es Studien, die besagen, dass ein Schiedsrichter als zögerlich und zaghaft wahrgenommen wird, wenn er länger als 0,8 Sekunden für seine Entscheidung benötigt. Innerhalb von 0,8 Sekunden muss in Unternehmen hoffentlich niemand eine Entscheidung treffen. Die normale Situation ist, dass man Fakten einsammelt und im Optimalfall alle Informationen vorliegen hat, um dann im Unternehmen zu entscheiden. Die Realität sieht aber so aus, dass wir nie alle Fakten und Informationen vorliegen haben. Wir werden mit Dingen konfrontiert, von denen wir nicht alles wissen oder etwa die Marktentwicklung nicht genau einschätzen können. Diese mangelnde Faktenlage haben wir auch auf dem Fußballfeld: Ich kann nicht alles wahrnehmen und bediene mich daher Zusatzinformationen.

Inwiefern?

Wir achten beispielsweise in Elfmetersituationen stark darauf, ob der Ball seine Richtung verändert. Das heißt, auch in Unternehmen gilt es, den Fokus auf die wesentlichen Dinge zu richten. Das sind Themen, die man vom Fußballfeld mit ins Unternehmen tragen kann. In bestimmten Projektphasen ist es eben wichtig, gewisse Themen zu fokussieren. So wie auf dem Fußballfeld: Wenn der Ball in den Strafraum fliegt, ist mein Fokus auf den Ball gerichtet, um zu erkennen, ob er seine Richtung verändert. Spielt der Verteidiger den Ball oder trifft er den Gegenspieler? Den Fokus richtig zu setzen, hilft in vielerlei Hinsicht.

Um welche Art von Entscheidungen geht es Ihnen dabei in Unternehmen?

Es gibt alle möglichen Entscheidungen, die gut vorbereitet werden müssen. In Entscheidungssituationen ist es wichtig, dass man den Menschen einbezieht, also auf die Reaktionen des Gegenübers achtet. Es gibt einen Leitspruch für mich: „Wer leidet unter meiner Entscheidung?“ Auch als Manager kann man sich diese Frage stellen, um diese Menschen kommunikativ abzuholen. Sie im Optimalfall proaktiv im Vorfeld abzuholen, damit eine Akzeptanz für die Entscheidung gelingt. Eine richtige Entscheidung alleine hilft nicht, wenn die Akzeptanz fehlt.

Wie schafft man es, dass schwierige Entscheidungen akzeptiert werden?

Es gibt zahlreiche schwerwiegende Entscheidungen im Unternehmenskontext und tolle Studien dazu, dass Menschen bestimmte Entscheidungen nur akzeptieren, wenn ein paar Parameter gegeben sind. Eines der wichtigsten Themen ist, dass die Menschen sich ernst genommen fühlen. Das ist ein großes Thema, mit dem ich mich auch im sehr emotionalisierten Fußballkontext beschäftige. Dass man Spieler ernst nimmt, auf sie eingeht, mit ihnen kommuniziert, um Entscheidungen zu erklären. Sich kommunikativ gut vorzubereiten funktioniert auf dem Platz, aber auch 1:1 in Unternehmen, wenn alles durchdacht und transparent kommuniziert wird. Und in anderen Unternehmen wird die Kaffeemaschine abgebaut und es entsteht ein Chaos, weil die transparente Kommunikation nicht funktioniert.

Die Kommunikation ist entscheidend?

Mit entscheidend, um eine Akzeptanz zu bekommen.

Wie wichtig ist Empathie der Entscheidungsträger?

Sich in die Lage des anderen zu versetzen ist für jeden Manager oder Schiedsrichter neben der fachlichen Kompetenz eines der wichtigsten Themen. Die fachliche Kompetenz macht uns vielleicht eines Tages zu einem Bundesliga-Schiedsrichter oder zu einer Führungskraft. Aber zu einem richtigen Leader wird man, wenn man die soziale und emotionale Intelligenz, und eben Empathie als Baustein der emotionalen Intelligenz beherrscht.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Für mich ist es wichtig, in welchem emotionalen Zustand sich ein Spieler gerade befindet. Warum handelt er, wie er handelt? Ist er verstimmt, weil er eine besondere Drucksituation hat? Geht es um den Abstieg? Kämpft er gerade um einen neuen Vertrag? Diese Dinge haben einen Einfluss auf das Verhalten der Spieler. Das zu berücksichtigen, in die Kommunikation mit dem Spieler zu gehen, ist exakt das Gleiche wie in Unternehmen. Mitarbeiter sind vielleicht privat belastet oder stehen massiv unter Druck. Diese Situation aus der Perspektive des Betroffenen zu sehen hilft zu zeigen: „Ich sehe dich, sehe deine Themen.“ Hier Rücksicht zu nehmen, führt zu einer wahnsinnigen Akzeptanz der Führungskraft, weil sie dem Gegenüber Wertschätzung zeigt. Das eine schließt das andere nicht aus: klar in der Sache zu entscheiden, aber trotzdem emphatisch zu sein.

Wie halten Sie sich mental fit?

Von Yoga über Aufmerksamkeitsübungen und Atemtechniken bis zum Eisbad: Das sind Dinge, die ich regelmäßig mache, die mich in eine Balance bringen und die mentale Stärke trainieren. Aber es gibt nicht den einen goldenen Weg. Den muss jeder für sich selbst finden. Und sei es ein Spaziergang im Wald. Ich bin überzeugt, in der schnelllebigen Zeit ist es wichtig, bewusst die Seele und das Mindset zu trainieren, auch für Unternehmer.

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