TWie die Windkraftriesen verschifft werden

Langsame Fahrt voraus: Ein Maschinenhaus für eine Offshore-Windkraftanlage von Siemens Gamesa bei der Verladung auf die „Rotra Vente“ in Cuxhaven. Foto: Steiner
Von Cuxhaven aus werden Maschinenhäuser für Offshore-Windparks verschifft. Die Verladung der Anlagen von der Größe eines Hauses ist Zentimeterarbeit.
Cuxhaven. In Cuxhaven liegt eine große Fabrik, in der an der Energiewende gearbeitet wird. Siemens Gamesa baut in dem Werk, das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im September besucht hat, Windkraftanlagen. Sie sollen auf dem Meer sauberen Strom produzieren. Aber erst mal gehen sie von der Elbmündung aus auf Reisen. Die Verschiffung der Windkraftriesen ist Zentimeterarbeit.
Maschinenhäuser warten auf die Verschiffung
An einem schönen Morgen warten fünf Anlagen vom Typ SG 14-222 DD auf die Verschiffung. SG steht für Siemens Gamesa, 14 für 14 Megawatt Leistung und 222 für den Durchmesser des Rotors in Metern. Es handelt sich um die Maschinenhäuser der späteren Windräder, die oben auf den Türmen im Meer thronen und an denen die Rotorblätter befestigt werden. Fachleute nennen die Maschinenhäuser „Nacelles“.
Die Nacelles stehen auf einer asphaltierten Fläche direkt an der Elbe. Schon vorher sind sie vom einige Steinwürfe entfernten Werk hergebracht worden und sollen nun auf die „Rotra Vente“ verladen werden. Dieses Spezialschiff, blau-weiß-orange lackiert, über 140 Meter lang und mit einer Tragfähigkeit von 8.000 Tonnen, wartet am Kai. Es besitzt einen aufklappbaren Bug, der jetzt weit nach oben in den Himmel ragt. Auf andere Schiffe müssen Windkraftanlagen aufwändig per Kran über die Bordwand gehievt werden – auf die „Rotra Vente“ können sie durch den offenen Bug einfach an Bord fahren.
Geduld und Fingerspitzengefühl
Wobei, so einfach ist es doch nicht. Für einige Dutzend Meter Fahrt muss man Geduld und Fingerspitzengefühl haben. Beides hat offenbar Jakob Lauridsen, ein Däne mit rotem Vollbart, Helm und Sonnenbrille. Lauridsen steuert die sogenannten Modulfahrzeuge, abgekürzt SPMT (Self-Propelled Modular Transporter). Sie sehen aus wie Tausendfüßler, nur mit unzähligen Rädern statt Füßen. Räder in 16 Reihen hintereinander sind heute pro SPMT nötig und je zwei SPMT pro Maschinenhaus. Die Modulfahrzeuge werden nebeneinander an vorher berechneten Stellen unter den Rahmen einer Anlage gefahren und miteinander gekoppelt, erklärt Lauridsen in einer Verschnaufpause. Dann hebt er sie an. Die Dieselmaschinen dröhnen, los geht die Fahrt aufs Schiff.
Zwei Kollegen geben Kommandos
Lauridsen steuert die Tausendfüßler-Fahrzeuge über eine Fernbedienung, die ihm an einem Gestell auf der Brust hängt. Er läuft hinter der Anlage her, nein eigentlich schleicht er, bewegt sich mal nach links, mal nach rechts, schaut, bleibt stehen, geht langsam weiter. Zwei Kollegen halten vorne und an der Seite Ausschau und geben ihm Kommandos, wie der 34-Jährige erklärt, nachdem er die zweite Anlage sicher an Bord gebracht hat.

Jakob Lauridsen steuert Modulfahrzeuge. Foto: Steiner
Zugleich mit der Beladung müsse die Schiffsmannschaft Ballast ablassen, um das Gewicht der neuen Ladung auszugleichen. Je zwei Anlagen sollen heute an Backbord und Steuerbord versetzt platziert werden, die fünfte mittig im Bug der „Rotra Vente“.
Der Werksleiter von Siemens Gamesa in Cuxhaven, Kristoffer Mordhorst, bezeichnet das Schiff als „unser Wassertaxi“, weil es für den Windanlagenbauer im Nordseeraum ständig hin und her fahre. Es transportiert die Nacelles ab Werk zu verschiedenen Häfen, wie Mordhorst in einem Interview noch vor der Verladung erklärt. Dieses Mal ist Nigg in Schottland das Ziel der „Rotra Vente“. Von Nigg aus wird der Offshore-Windpark Moray West gebaut.
Die „Rotra Vente“ habe in der Vergangenheit unter anderem auch das britische Hull, Eemshaven und Rotterdam in den Niederlanden sowie das dänische Esbjerg bedient, so Mordhorst. Die „Rotra Vente“ transportiert also Offshore-Windkraftanlagen. Aber sie bringt sie nicht direkt zum jeweils entstehenden Windpark im Meer, sondern zunächst zum Umschlag in einen Errichterhafen. Erst dort werden sie auf die noch größeren Errichterschiffe verladen und dann zur Baustelle auf See gebracht.
Drei neue Liegeplätze sollen entstehen
Bevor die Komponenten in einem Windpark installiert werden, seien sie viel unterwegs, macht Mordhorst klar. Die aktuellen Projekte von Siemens Gamesa in der deutschen Nordsee, nämlich Borkum Riffgrund 3 und Gode Wind 3, würden vom Errichterhafen Esbjerg in Dänemark aus angefahren. Sehe man sich die Transportwege auf einer Karte an, sei das auf den ersten Blick unlogisch: Erst fahre man von Cuxhaven nach Esbjerg nordwärts und anschließend quer durch die Deutsche Bucht. „Wäre die Distanz zwischen Errichterhafen und Projektstandort geringer, könnten wir schneller und günstiger installieren. Aber wir haben keine andere Möglichkeit.“
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Doch eine Möglichkeit ist jetzt in Aussicht. Denn unweit des Windkraftanlagen-Werkes sollen drei neue Liegeplätze entstehen. Damit könnten auch in Cuxhaven wieder Errichterschiffe anlegen, wie sie es schon in der Vergangenheit taten, denn aktuell fehlt der Platz. 38 Hektar zusätzliche schwerlastfähige Logistikfläche für On- und Offshore-Windkraftanlagen würden in den kommenden Jahren an der Elbe in Cuxhaven gebaut, teilte der Hafenbetreiber Niedersachsen Ports im September mit. Laut Siemens-Gamesa-Werksleiter Mordhorst würde damit für „einen großen Errichterhafen genügend Platz entstehen“.
Der Hafenausbau soll 300 Millionen Euro kosten. Je ein Drittel werden von Bund, Land und den künftigen Terminalbetreibern erwartet. „Die Maßnahme soll einen wichtigen Beitrag dazu leisten, den Seehafen Cuxhaven als Deutsches Offshore-Industrie-Zentrum (DOIZ) zu stärken und die infrastrukturellen Bedingungen weiter verbessern, um Windkraftanlagen und deren Elemente umschlagen zu können“, erklärte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz unter Robert Habeck (Grüne) im Sommer.
0,1 Kilometer pro Stunde
Hafenausbau für 300 Millionen Euro – das ist ein großer Schritt für die Energiewende. Die kleinen Schritte, mit denen sie konkret umgesetzt wird, machen Leute wie Jakob Lauridsen, der Fahrer der Modulfahrzeuge. Manchmal sind die Schritte so klein, dass man sie kaum erkennt. Wenn Lauridsen die Maschinenhäuser auf die „Rotra Vente“ steuert, drossele er auf der Rampe zum Schiff noch einmal die Geschwindigkeit, erzählt er. Auf etwa 0,1 Kilometer pro Stunde oder gar so sehr, dass seine Fernbedienung die Geschwindigkeit nicht mehr weiß: Die meiste Zeit auf der Rampe zeige sie null km/h an.
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Offshore-Windkraftanlagen: Maschinenhäuser aus Cuxhavener Werk
Offshore-Windkraftanlagen bestehen aus verschiedenen Teilen. Im Cuxhavener Werk von Siemens Gamesa werden die Maschinenhäuser gefertigt, die Fachleute auch „Nacelles“ nennen. Eine Nacelle besteht aus dem sogenannten Backend sowie dem Generator und der Nabe.
Im Backend ist nach Unternehmensangaben die Steuerungstechnik und Elektronik für die Stromverteilung, zum Beispiel Schaltanlage, Transformator oder Kühler, untergebracht. An der Nabe werden die Rotorblätter befestigt und der Generator erzeugt den Strom.
Für eine komplette Offshore-Windkraftanlage braucht es neben dem Maschinenhaus noch die Rotorblätter, den Turm, ein Fundament und ein spezielles Verbindungsteil („transition piece“) zwischen Turm und Fundament. Siemens Gamesa stellt neben den Nacelles auch Rotorblätter her, allerdings nicht in Cuxhaven. (yvo)