TWie eine Schule in Nordkehdingen dem Lehrermangel begegnet

Das Leitungsteam der Grund- und Oberschule (GOBS) Nordkehdingen besteht aus (von rechts) Schulleiter Torben Zimpel, seinem kommissarischen Stellvertreter Dennis Schönbeck und dem Ehepaar Andreas und Manuela Thorbahn mit ihren Zwillingen, die morgens mit zur Schule fahren. Foto: Helfferich
Die Grund- und Oberschule Nordkehdingen leidet besonders stark unter dem Lehrermangel. Dennoch geht sie neue Wege und macht anerkannt gute Arbeit. Wie ihr das trotz schlechter Unterrichtsversorgung gelingt.
Freiburg. Anfang März traf der TAGEBLATT-Bericht über die Top 10 der schlechtesten Unterrichtsversorgung im Landkreis Stade die Grund- und Oberschule (GOBS) Nordkehdingen empfindlich. Kurz zuvor hatte das Regionale Landesamt für Schule und Bildung die Zahlen herausgegeben, die sich aber auf den Schuljahresbeginn zum 1. September 2023 bezogen.
Zum Zeitpunkt der Berichterstattung sah die Versorgung schon wesentlich besser aus. Nun fürchtete die Schulleitung Abwanderungen von Kindern, die im Sommer zur weiterführenden Schule wechseln. Dabei hat die GOBS einiges zu bieten - vor allem ein engagiertes Kollegium.
Die Schule im Nordwesten des Landkreises arbeitet seit Jahrzehnten an einem Profil, das sich von anderen Bildungseinrichtungen deutlich unterscheidet.
Schon Anfang der 2000er Jahre wurden an der damaligen Haupt- und Realschule Schüler beider Schulformen gemeinsam unterrichtet, um den integrativen Ansatz der abgeschafften Orientierungsstufe fortzusetzen.
Möglich war dies nur, weil damals die Lehrerschaft das Konzept mittrug, Eltern und Schulträger sich überzeugen ließen und das Ministerium nicht so genau hinschaute.
Schüler gestalten Lernprozess selbstständig
Auch heute arbeitet die Schule konzeptionell. Der integrative Ansatz von damals wurde wiederbelebt und für die inzwischen neue Schulform der Grund- und Oberschule weiterentwickelt:
- Jahrgangsbezogener Unterricht statt schulzweigbezogener fördert den sozialen Zusammenhalt
- Selbstgesteuertes Lernen befähigt Schüler und Schülerinnen, ihren Lernprozess selbstständig zu gestalten
- Fächerübergreifendes Arbeiten schult das Verständnis komplexer Zusammenhänge
„Unser Ziel ist es, die Schülerinnen und Schüler zu verantwortungsbewussten, empathischen und demokratischen Menschen zu erziehen“, sagt Torben Zimpel, der seit anderthalb Jahren die Schule leitet und von der konzeptionellen Arbeit seines Kollegiums profitiert.
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Vorbild ist der Unterricht an der IGS Stade
Was das konkret heißt, erklären Zimpel, das Lehrerehepaar Manuela und Andreas Thorbahn sowie Dennis Schönbeck im Gespräch.
„Wir wollen uns abgrenzen zu anderen Schulen“, sagt Manuela Thorbahn, die inzwischen seit zwölf Jahren an der GOBS unterrichtet und an der Neuausrichtung wesentlich mitgearbeitet hat. Die Lehrerin für Deutsch, Englisch und Kunst berichtet, dass mehrere Kollegen an der Integrierten Gesamtschule (IGS) in Stade hospitiert hätten. Die dort erfahrene Durchlässigkeit passe gut zur GOBS in Nordkehdingen. „Wir haben eine superbunte Schülerschaft, da ist Flexibilität enorm wichtig“, so ihre Erfahrung.

Egal ob Haupt- oder Realschüler: Die Schüler der GOBS Nordkehdingen werden bis zur 10. Klasse gemeinsam unterrichtet. Foto: Lana-Mariesa Schütt
Wie in der IGS werden die Nordkehdinger Schüler künftig bis zur 10. Klasse gemeinsam unterrichtet. Es gibt keine Trennung mehr nach Schulzweigen. Bisher endete der gemeinsame Unterricht nach der 8. Klasse. Danach wurde in Hauptschule und Realschule getrennt. Dies geschehe in diesem Jahr letztmalig, erklärt Zimpel.
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Trennung nach Schulzweigen ist aufgehoben
Die Entscheidung wirkt wie eine Erlösung: „Was für ein Drama das immer war, wenn wir die Klassen trennen mussten“, sagt Dennis Schönbeck, „daran sind Freundschaften zerbrochen.“ Die Idee hinter der Entscheidung: „Schwächere Schüler lernen von den stärkeren und umgekehrt“, sagt Zimpel, der selbst als Schüler eine Gesamtschule besucht hat. Jahrgangsbezogener Unterricht sortiere Schüler nicht mehr aus, sondern ermögliche individuelle Förderung und Flexibilität.
Die Schülerinnen und Schüler bleiben grundsätzlich in ihrem gewohnten Klassenverbund, differenziert wird nur in den Hauptfächern. Schüler, die mehr Zeit benötigen, können ihren Hauptschulabschluss nach der 10. Klasse machen. Wer nach der 9. Klasse soweit ist und weiß, wohin es beruflich gehen soll, macht den Abschluss ein Jahr eher. Und die starken Schüler beenden die Schule nach der 10. Klasse mit dem Realschulabschluss.
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Freie Lernzeiten stärken Eigenverantwortung
Unterrichtet wird in drei 80-Minuten-Blöcken. Drei Fächer pro Tag, weniger Material im Ranzen. Am Anfang des Schultages steht die SegeL-Zeit: 40 Minuten selbst gesteuerte Lernzeit. So wird Eigenverantwortung geübt. Jeder Schüler führt zu diesen Lernzeiten ein Logbuch. „Unsere Aufgabe ist es, Kinder zu befähigen, sich zu organisieren und erlernte Inhalte gezielt einzusetzen“, so Manuela Thorbahn.
Andreas Thorbahn, der seit zehn Jahren an der GOBS Naturwissenschaften unterrichtet, schätzt den fächerübergreifenden Unterricht für seine naturwissenschaftlichen Fächer. Viele Phänomene seien nicht mit dem Blick aus einer Fachrichtung zu erklären. So betreffe zum Beisiel der Vogelzug die Biologie und die Physik, weil vom Erdmagneten gesteuert. „Durch ganzheitliches Lernen ist die Welt besser zu verstehen“, sagt Manuela Thorbahn. Das sei auch bei den Fächern Politik und Geschichte so, bestätigt Zimpel.
Motivation war die eigene Schulgeschichte
Dennis Schönbeck, derzeit kommissarischer Stellvertreter von Zimpel, kam vor drei Jahren an die Schule. „Meine Motivation, an dieser Schule zu arbeiten, war meine eigene Schulgeschichte“, erzählt er. Er wechselte nach Grundschule und Orientierungsstufe an eine Hauptschule. Erst danach ging es über den erweiterten Realschulabschluss und Fachoberschule zum Abitur und zum Lehramtsstudium. Er habe während seiner Hauptschulzeit Stigmatisierung erlebt. „Ich wollte es als Lehrer anders machen, als ich es als Schüler erlebt habe. Jedes Kind entwickelt sich weiter, aber das weiß man als Kind nicht.“

Die Schule hält für jede Klasse einen Satz iPads vor, so dass alle zeitgleich damit arbeiten können. Foto: Lana-Mariesa Schütt
Andreas Thorbahn sieht die Berufsorientierung als besondere Stärke: Neben der Berufsmesse Kebit gemeinsam mit der Elbmarschenschule in Drochtersen machen sich beide 8. Klassen jeden Dienstag um 6.30 Uhr mit dem Bus auf den Weg zur BBS Stade. Dort probieren sie sich in vier Werkstätten aus 16 Abteilungen aus. „Wir haben auch eine tolle Werkstatt“, sagt Schönbeck, „aber in der BBS sitzen die Profis. Das unterstützt uns in der Berufsorientierung.“
Großes Lob für den Schulträger Nordkehdingen
Gut unterstützt fühlt sich das Kollegium vom Schulträger. „Egal, was wir uns wünschen, wenn es gut begründet ist, wird es ermöglicht“, sagt Dennis Schönbeck, „daher können wir vieles umsetzen.“ Gezeigt habe sich das insbesondere während der Corona-Pandemie. Deutlich früher als in den meisten anderen Schulen stand die digitale Ausstattung bereit. Klassensätze mit iPads sind immer verfügbar und in allen Räumen stehen digitale Tafeln.

Gegenseitiger Respekt wird an der GOBS groß geschrieben und schlägt sich auch in einem Raum für die Schülervertreter nieder. Foto: Lana-Mariesa Schütt
Die Schule profitiere von ihrer überschaubaren Größe, die ein familiäres Umfeld schaffe, so Zimpel. Es wird in kleinen Klassen mit 15 bis 18 Schülerinnen und Schülern unterrichtet. Die Schule - ehemals Grund-, Haupt- und Realschule plus Förderschule - verfügt über viel Platz, eine große Mensa und gut ausgestattete Fachräume.
Der Schulleiter bezieht in seine Schulfamilie ausdrücklich die Elternschaft, die Reinigungskräfte und die drei Mitarbeiterinnen der Mensa ein, die täglich zwei Speisen zur Auswahl frisch zubereiten. Der Verein Hoppetosse gehört ebenso dazu wie die Tagespflegestelle, in der auch Kinder von Lehrkräften betreut werden.
Was bleibt, ist der Lehrermangel, auch wenn der fächerübergreifende Unterricht inhaltlich manche Lücke füllt. Die Lage werde sich zum neuen Schuljahr deutlich verbessern, sagt Zimpel. Seine Stellvertreterin Annika Böttcher komme aus einem Sabbatjahr zurück. Das Regionale Landesamt für Schule und Bildung unterstütze mit Abordnungen. Außerdem kommen zum neuen Schuljahr zwei Referendarinnen. So hofft der Schulleiter, dass zum neuen Schuljahr die Nachmittagsangebote wieder ausgebaut werden können.