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Prozess

T„Wir lassen nicht zu, dass kriminelle Clans unseren Rechtsstaat missachten“

Vor dem Landgericht Stade sammeln sich die Einsatzkräfte der Polizei.

Vor dem Landgericht Stade sammeln sich die Einsatzkräfte der Polizei. Foto: Vasel

Nach dem Gewaltexzess im Verhandlungssaal des Stader Landgerichts fordert die Politik ein hartes Durchgreifen bei der Clankriminalität. Für die Täter wird es Konsequenzen geben.

Von Susanne Helfferich und Björn Vasel Freitag, 29.08.2025, 17:50 Uhr

Stade. „Das Tötungsdelikt, das vor dem Stader Landgericht verhandelt wurde, und die Tumultlage im Gerichtssaal in Folge der Urteilsverkündung zeigen einmal mehr, dass wir im Kampf gegen Clankriminalität keinen Deut nachlassen dürfen“, sagt die niedersächsische Innenministerin Daniela Behrens (SPD).

„Erhebliches Gewaltpotenzial“

Clankriminelle respektierten weder den Rechtsstaat noch seine Organe. Es sei nur dem beherzten, konsequenten Einsatz der Polizeibeamten und der Justizwachtmeister im Saal zu verdanken, dass schwerere Verletzungen verhindert werden konnten. Die Clankriminalität berge ein erhebliches Gewaltpotenzial. „Wir lassen nicht zu, dass kriminelle Clans unseren Rechtsstaat missachten und verhöhnen.“ Die Polizei in Niedersachsen werde ihre konsequente Linie beibehalten.

Der Angeklagte Mustafa M. im Verhandlungssaal des Landgerichts Stade. Er wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig.

Der Angeklagte Mustafa M. im Verhandlungssaal des Landgerichts Stade. Er wurde wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Urteil ist aber noch nicht rechtskräftig. Foto: Sina Schuldt/dpa-Pool/dpa

Im Jahr 2024 wurden der Clankriminalität insgesamt 3145 Straftaten zugeordnet. Rohheitsdelikte und Straftaten gegen die persönliche Freiheit machen mit 1018 Taten gut ein Drittel aus. Drogen, Geldwäsche, illegales Glücksspiel, Prostitution - all das gehört zum Geschäft der Clans. 2024 sei ein Vermögen in Höhe von 4,9 Millionen Euro abgeschöpft worden.

Paralleljustiz verhindern

Auch der Stader Landrat Kai Seefried (CDU) ist entsetzt: „Deutschland ist ein Rechtsstaat, für alle Bürgerinnen und Bürger gelten die gleichen Rechte und auch die gleichen Pflichten.“ Parallelgesellschaften oder gar einer Paralleljustiz müsse entschieden „mit allen Mitteln des Staates“ entgegengetreten werden. Ereignisse wie vor einer Woche dürfe es in deutschen Gerichten nicht geben. Es müsse mehr getan werden, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Die Randale im Gerichtssaal nach dem Mordurteil zeige deutlich, „dass es Gruppen gibt, die unseren Rechtsstaat nicht akzeptieren“, so die Landtagsabgeordneten Melanie Reinecke und Birgit Butter (beide CDU) in einem gemeinsamen Statement. Das sei absolut nicht hinnehmbar.

„Brauchen eine Politik der 1000 Nadelstiche“

„Drei Tötungsdelikte in den letzten drei Jahren in Stade und weitere dem Clanmilieu zuzuordnende Straftaten zeigen, dass wir in Stade mehr Personal und Mittel zur Verfügung haben müssen, um Clankriminalität zu bekämpfen“, sagt Butter.

Zum Auftakt des Mordpozesses am 5. November war der Andrang der Zuschauer groß.

Zum Auftakt des Mordpozesses am 5. November war der Andrang der Zuschauer groß. Foto: Vasel

Kommunen, Justiz und Polizei, aber auch Zoll und Bundespolizei müssten noch intensiver einbezogen werden. „Wir brauchen endlich eine Politik der 1000 Nadelstiche wie in Nordrhein-Westfalen bereits praktiziert“, sind sich Reinecke und Butter einig.

Kriminelle Strukturen ließen sich nur schwächen, wenn man sie finanziell austrockne. Niedersachsen brauche eine Zentralstelle für Vermögensabschöpfung, die auch die Sicherstellung und Verwertung von Vermögenswerten im Ausland koordiniert.

Zudem sei eine gesetzliche Beweislastumkehr im Strafrecht fällig: Der Kriminelle müsse nachweisen, dass er sein Vermögen auf legalem Weg erworben hat. Staatsanwaltschaften und Gerichte müssten aufgestockt werden, da diese absolut überlastet seien. Reinecke: „Sonst bleibt die Justiz das Nadelöhr im Kampf gegen die Clankriminalität.“

„Explosion der Aggression mitten im Gerichtssaal“

„Die Ausschreitungen (...) verurteile ich aufs Schärfste“, sagt die SPD-Landtagsabgeordnete Corinna Lange. Was dort erlebt wurde, sei eine regelrechte Explosion der Aggression mitten im Gerichtssaal gewesen. Ihr Dank gelte den Justizwachtmeistern und Polizeikräften. „Sie haben sich der Eskalation mutig entgegengestellt und unter hohem persönlichen Einsatz für Sicherheit gesorgt.“

Gleichzeitig sei klar: „Wir müssen unsere Sicherheitskonzepte konsequent weiterentwickeln, damit sich solche Szenen nicht wiederholen. Unsere Gerichte müssen Orte der Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit bleiben – wer dort Gewalt ausübt, trifft auf die volle Entschlossenheit des Staates.“

Landgericht verhängt Hausverbot für Täter

„Ich verurteile diesen inakzeptablen Gewaltausbruch im Gerichtssaal auf das Schärfste“, sagt der Präsident des Stader Landgerichts, Oliver Sporré. Er dankte der Wachtmeisterei und der Polizei für ihr beherztes, unverzügliches Eingreifen.

„Als Reaktion darauf wird gegen die Täter Strafanzeige wegen aller in Betracht kommenden Taten gestellt und ihnen Hausverbot für das Gerichtsgebäude erteilt“, sagt Sporré. Zudem werde das Sicherheitskonzept überprüft, um einen noch besseren Schutz der Prozessbeteiligten sowie der friedlichen Zuschauer im Gerichtssaal zu erreichen.

„Stade bleibt bunt“

Lars Kolk, Erster Stadtrat und Vertreter des Stader Bürgermeisters, fordert, „dass sowohl die Familie des Opfers als auch die des Täters das Urteil des Gerichts respektieren“. Er hoffe, dass es nie wieder zu einer derartigen Eskalation kommen werde.

„Stade ist eine offene, bunte Stadt und wird das auch bleiben“, so der Stadtrat. „Voraussetzung ist aber, dass unser Rechtsstaat mit aller Entschiedenheit gegen diese Art von Verbrechen vorgeht.“ Die kriminellen Vergehen der Mitglieder zweier Großfamilien sowie die inakzeptablen Gewaltausbrüche im Anschluss an die Urteilsverkündung dürften nicht dazu führen, dass pauschale Vorbehalte gegenüber gesetzestreuen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte begründet oder aber verstärkt werden.

Nach den Verteidigern hat inzwischen auch die Staatsanwaltschaft Revision gegen das Urteil eingelegt.

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