Gefälschte Rezepte in Buxtehude: Betrüger aufgeflogen - Arzt schlägt Alarm

Betrüger scheinen mit gefälschten Rezepten in Apotheken unterwegs zu sein. Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Betrugsversuch in einer Apotheke in Buxtehude: Am Donnerstagvormittag haben Unbekannte versucht, ein gefälschtes Rezept einzulösen.
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Buxtehude/Bremervörde. Das Rezept war dem Anschein nach von einem Bremervörder Arzt mit Stempel und Unterschrift ausgestellt worden, teilt die Polizei Rotenburg mit. „Auch die Versichertennummer und die Angaben zum Kostenträger waren gefälscht und passten nicht zu der auf dem Rezept angegebenen Person“, sagt Polizeisprecher Heiner van der Werp.
Der betroffene und anzeigende Arzt habe in letzter Zeit mehrfach von ähnlichen Fällen gehört, heißt es. Er bittet sowohl Ärzte als auch Apotheker um erhöhte Aufmerksamkeit.
3,5 Millionen Euro Schaden
Krankenkassen dürften dies begrüßen. Sie werden um Millionen betrogen - auch in anderen Bereichen. Es seien einige wenige Betrüger, die skrupellos vorgingen und teils Menschenleben gefährdeten, um illegal hohe Summen einzustreichen, sagte die Chefermittlerin der KKH Kaufmännische Krankenkasse, Dina Michels.
Die Folge: Allein die KKH, die mit mehr als 1,6 Millionen Versicherten bundesweit zu den größten gesetzlichen Krankenkassen zählt, musste im vergangenen Jahr einen Schaden von rund 3,5 Millionen Euro hinnehmen - die bisher dritthöchste Jahressumme. 2022 lag der Schaden bei mehr als einer Million Euro, ein Jahr zuvor waren es 4,7 Millionen Euro.
Nie erbrachte Leistungen abgerechnet
Michels nannte Beispiele: „Bei einem ambulanten Pflegedienst besteht der Verdacht, dass Pflegebedürftige intensivmedizinisch von Personal versorgt wurden, das dafür nicht ausgebildet war. Lebensnotwendige Medikamente wurden fehlerhaft gegeben, eklatante Mängel in der Hygiene in Kauf genommen und zudem Leistungen abgerechnet, die nie erbracht wurden.“ Der Schaden lag in Millionenhöhe. „Doch was viel schwerer wiegt, sind die körperlichen und seelischen Folgen bei den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen“, betonte sie.
Ein anderer Fall: Ein Apotheker aus Sachsen, der Zytostatika, also Krebsmedikamente, unterdosiert abgegeben haben soll. Hier sei der Schaden noch unklar.
Große Schäden in Apotheken
Im vergangenen Jahr ganz vorn bei den Tatverdächtigen laut Krankenkasse: ambulante Pflegedienste mit einer Schadenssumme von rund 1,9 Millionen Euro. Dahinter folgten Apotheken mit gut einer Million Euro.
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Im Gegenzug holte die Kasse mit Regressforderungen rund 1,25 Millionen Euro zurück - so viel wie nie zuvor. Zum Jahresende seien insgesamt rund 1900 Verdachtsfälle in Bearbeitung gewesen, sagte Michels. In 21 Fällen habe die Krankenversicherung Strafanzeigen gestellt, vor allem wegen Betruges.
Ob Abrechnung nicht erbrachter Leistungen, Einsatz unqualifizierten Personals oder gefälschte Rezepte - allein 2023 gingen bundesweit 553 neue Hinweise auf möglichen Betrug ein, wie die Kasse mitteilte.
Meist ging es um ambulante (179 Hinweise) und stationäre Pflege (167), dahinter folgten Krankengymnastik- und Physiotherapiepraxen mit 74 Hinweisen. Bei der regionalen Verteilung lag Nordrhein-Westfalen mit 128 Hinweisen vorn - gefolgt von Bayern (76) und Baden-Württemberg (52). Am anderen Ende der Skala lag das Saarland mit vier Fällen.
Aber was zieht Betrüger am Gesundheitssystem an?
Es sind die für viele wohl unvorstellbar hohen Summen, die in das System fließen. Laut Kasse lagen die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen allein 2022 bei 274,2 Milliarden Euro.
„Das weckt bei manch einem Begehrlichkeiten, sich ein Stück vom Milliardenkuchen Gesundheitssystem abzuschneiden“, sagte Michels, die Ende Mai in den Ruhestand geht.
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Umfrage: System macht es Betrügern leicht
Tatsächlich halten 62 Prozent der Menschen zwischen 18 und 70 Jahren in Deutschland laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH das deutsche Gesundheitswesen für anfällig für Betrug und Korruption - 18 Prozent davon stufen es sogar als „sehr anfällig“ ein.
Für die Umfrage wurden vom 2. bis 5. April bundesweit 1004 Menschen der Altersgruppe befragt. Als bemerkenswert bewertete die Kasse, dass 58 Prozent der Befragten angaben, selbst schon einmal Erfahrungen mit Betrug im Gesundheitswesen gemacht zu haben oder Betroffene zu kennen.
Wieder besonders auffällig: der Pflegesektor. 41 Prozent der Befragten sagten, dass jemand aus ihrer Familie oder ihrem Bekanntenkreis trotz zuerkannten Pflegegrades nicht ausreichend versorgt wurde.
Immer mehr Betrugsfälle aufgedeckt
Jeder Vierte kennt demnach in seinem Umfeld mindestens einen Patienten, der vom Facharzt an ein bestimmtes Krankenhaus überwiesen wurde - also nicht in das Krankenhaus seiner Wahl gehen konnte.
Jeder Fünfte wiederum weiß laut Befragung von jemandem, der in der Arztpraxis Bandagen für Rücken oder Knie erhalten hat - oder hat dies selbst erlebt. Nach Angaben der Krankenkasse handelt es sich in all diesen Fällen um Spielarten von Betrug, der im Gesundheitswesen allein in den Jahren 2020 und 2021 einen Schaden von rund 132 Millionen Euro angerichtet habe.
Nach Angaben von Silke Kühlborn von der Staatsanwaltschaft Leipzig, Leiterin einer Abteilung für Wirtschaftsstrafrecht mit vier Dezernaten zur Bekämpfung von Betrug und Korruption im Gesundheitswesen, gelingt es, immer mehr Betrugsfälle durch akribische Ermittlungsarbeit aufzudecken.
Kriminelle Energie erschreckend
„Es ist erschreckend festzustellen, welche kriminelle Energie die Beschuldigten bei ihren Taten teilweise an den Tag legen.“ Ohne spezialisierte Ermittler bei den Strafverfolgungsbehörden dürften viele Betrugsfälle jedoch unentdeckt bleiben, warnte sie.
Auffallend sei, dass viele Betrugstaten nicht heimlich begangen würden. Mitarbeiter wüssten das in aller Regel - und „wundern sich, dass das hingenommen wird“. Sie forderte eine effiziente Strafverfolgung.
Ein möglicher Weg, um künftig Straftaten aufzudecken: der Einsatz künstlicher Intelligenz. Michels erklärte, anders seien die „wahnsinnigen Datenmengen“ überhaupt nicht zu bewältigen. (PM/dpa)