Zähl Pixel
Richter in L.A.

TL.A. - das steht auch für Liebe und Arbeit in Grünendeich

Bei Nieselregen sammelt Gerd Ostmeier vom Bauhof Grünendeich auf dem Spielplatz beim L.A. den Müll ein.

Bei Nieselregen sammelt Gerd Ostmeier vom Bauhof Grünendeich auf dem Spielplatz beim L.A. den Müll ein. Foto: Richter

An ihrem sechsten und letzten Tag am Lühe-Anleger geht TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter Müll sammeln und darf bei Lorettas Fischbude hospitieren. Und sie nimmt Abschied - mit großem Respekt.

author
Von Anping Richter
Samstag, 27.07.2024, 07:50 Uhr

Grünendeich. Überall grüne Eimer. Gefühlt hat der Lühe-Anleger die größte Mülltonnendichte im ganzen Landkreis. „Je besser das Wetter, desto mehr Müll“, sagt Gerd Ostmeier vom Bauhof der Gemeinde Grünendeich. Jetzt, um kurz vor acht am Freitagmorgen, nieselt es. Aber gestern war ein schöner, sonniger Tag, und darum hat er heute viel zu tun.

Die Lehren aus fast einer Woche am L.A.

Das Wetter ist hier der bestimmende Faktor, habe ich in meiner L.A.-Woche begriffen. Wer hier arbeitet, hat gelernt, gelassen damit umzugehen: Von März bis Oktober wird in den Buden sieben Tage pro Woche gearbeitet, bei schlechtem Wetter ist Pause.

Außer es naht eine Sturmflut. Dann muss binnen weniger Stunden alles aus dem Außendeichgelände verschwinden: Tische, Bänke, Buden, Kühlcontainer und Zapfanlagen. Palmen, Abwassertonnen, Getränkekisten und Sonnenschirme. Alles, was das Wasser wegspülen könnte.

„Wenn das passiert, helfen uns die Männer“, sagt Loretta Schulz. Sie betreibt das Fischhus, das hier alle nur „Lorettas Fischbude“ nennen.

Die Männer - das sind ihr eigener und der ihrer Mitarbeiterin Marta Bach, aber auch die Männer aus den umliegenden Buden. „Alle helfen, keiner lässt die anderen im Wasser stehen.“ Der L.A. ist ein Ort des Miteinanders, und die Lage am Wasser hilft dabei.

Was den Müllsammler vom Bauhof am meisten ärgert

„Müll sammeln ist nicht toll, aber die Elbe und die großen Pötte morgens - das ist immer wieder schön, sogar jetzt“, sagt Ostmeier mit Blick auf ein Riesen-Containerschiff, das vorbeizieht.

Was ihn ärgert, ist, dass viele Besucher diesen Ort offenbar nicht so sehr zu schätzen wissen. Das zeigen heute zum Beispiel die leere Chardonnay-Flasche und die Verpackungen direkt neben einem der großen Mülleimer beim Parkplatz.

Gerd Ostmeier ärgert sich über die Chardonnay-Flasche und Verpackungsmüll neben der Tonne.

Gerd Ostmeier ärgert sich über die Chardonnay-Flasche und Verpackungsmüll neben der Tonne. Foto: Richter

Am Grillplatz hinter dem Spielplatz war es besonders schlimm. Verpackungen, Fleischreste, Einweggrills: „Es war oft richtig eklig.“ Jetzt hat die Gemeinde das Grillen untersagt.

Aber Hundehaufen muss Gerd Ostmeier immer wieder einsammeln. Dabei gibt es vom Yachthafen bis zum Lühe-Anleger mehrere Dog-Stations zum Entsorgen, mit kostenlosen Tüten für Hundekot.

Hinter dem entspannten L.A.-Gefühl steckt viel harte Arbeit

Um Müll aus der Böschung oder vom Parkplatz zu sammeln, benutzt Ostmeier eine lange Zange. Das schont den Rücken, der Probleme macht. Der 58-Jährige war deshalb längere Zeit arbeitsunfähig und ist noch in der Wiedereingliederungsphase. Harte Arbeit - das ist auch etwas, das hinter dem schönen Lebensgefühl steckt, das viele am Lühe-Anleger empfinden.

Die Mehrheit der Mitarbeiter an den Buden stammt übrigens nicht aus Deutschland. Loretta Schulz, in deren Fischgeschäft ich am Freitagmittag hineinschnuppern darf, klingt zwar, als wäre sie hier aufgewachsen; doch sie kam 1996 aus Litauen, wo ihr Vater, Cousins und Cousinen immer noch leben.

Ihre Mitarbeiterin Marta Bach stammt aus Polen - wie das Rezept für ihre selbst eingelegten, knackigen, würzigen Gurken, die sie zum Probieren mitgebracht hat.

Fischbrötchen und Backfisch mit Blick aufs Wasser kommen gut an: Loretta Schulz (links) und Marta Bach haben im Fischhus viel zu tun.

Fischbrötchen und Backfisch mit Blick aufs Wasser kommen gut an: Loretta Schulz (links) und Marta Bach haben im Fischhus viel zu tun. Foto: Richter

Ihre Liebe zu Fisch hat Loretta Glück gebracht

„Marta verwöhnt uns oft, auch mit Kuchen“, sagt Loretta. Manchmal stehen sie zu viert an der Theke, denn in ihrem Imbiss ist oft großer Andrang. „Fisch und der Blick auf die Elbe, das zieht“, sagt sie.

Fisch ist ihre Leidenschaft, seit sie vor 23 Jahren in Bienenbüttel in einer Forellenzucht anfing. Später, als sie ins Alte Land zog, arbeitete sie beim Forellenhof Wilke in Horneburg und nebenbei in einer Fischbude am L.A.

Vor zehn Jahren bekam Loretta die Chance, sie zu übernehmen. „Jetzt möchte ich nie wieder etwas anderes machen“, sagt sie. An ihrem Imbiss ist ein großes Bild zu sehen, das sie selbst zeigt - strahlend, mit einem großen Lachs in der Hand. Schleppangeln auf der Ostsee bei Rügen.

Im Winter arbeiten viele woanders

Und was machen die Menschen, die am L.A. arbeiten, im Winter? Der Vier-Jahreszeiten-Grill ist, wie der Name sagt, als Einziger das ganze Jahr über geöffnet. Loretta kann es sich inzwischen erlauben, Pause zu machen.

Sylke Oehr vom Wellenreiter packt, auch aus Spaß an der Sache, als Aushilfe beim Restaurant Bellmann in Nottensdorf mit an. Serdar Hasan vom Königlich & Köstlich, der für den Stader Gastronomen Amir Afschartabbar arbeitet, ist mit seinem Wagen einen Monat lang auf dem Weihnachtsmarkt in Stade anzutreffen und arbeitet den Rest der Wintersaison in der Bäckerei Pfeiffer in Steinkirchen.

Serdar ist auch bei der Gemeinde Grünendeich angestellt. Der Bauhof sammelt den Müll montags und freitags ein. Dazwischen leert Serdar, wenn nötig, die Tonnen und füllt Müllsäcke nach.

Wer mit Riesen-Wohnmobil samt Anhänger kommt, drei Plätze besetzt und nur einen bezahlt, dem macht er klar, dass es so nicht geht. Bei Widerworten zieht Serdar seine Trumpfkarte: einen Ausweis, der ihn als Ordnungsamtsmitarbeiter kennzeichnet.

Das letzte Wort bei der Klimadeich-Gestaltung hat der NLWKN

Und was wird aus dem Lühe-Anleger in Zukunft? Wenn der Klima-Deich kommt und ein Großteil des Geländes beansprucht, wie Oberdeichrichter Dierk König es uns geschildert hat?

Darüber ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das hat der NLWKN, der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, sagt die Gründendeicher Gemeindedirektorin Henrike Lüders. Noch sei nichts entschieden.

Sie hofft auf Geld aus dem EU-Leader-Programm für eine Planung, die den Lühe-Anleger für Bürger und Touristen erhält. Noch viel mehr Geld würde für die Umsetzung benötigt.

Doch das ist Zukunftsmusik, sagt Nikolai Müller, der 43-jährige Bürgermeister von Grünendeich. Bis der Deich erhöht wird, könnten noch Jahre vergehen. Ihm geht es noch viel mehr darum, wie der L.A. schon jetzt verschönert werden kann. Als er als Bürgermeister antrat, war das eines seiner drei Kernthemen: „Der Lühe-Anleger ist der Treffpunkt und das eigentliche Zentrum von Grünendeich.“

Nikolai Müller, Bürgermeister von Grünendeich.

Nikolai Müller, Bürgermeister von Grünendeich. Foto: Richter

Für den Bürgermeister beginnt die Zukunft des L.A. schon jetzt

Er wünscht sich einen Food-Court: Tische und Bänke in der Mitte, an denen jeder aus einer Familie oder Freundesgruppe sich an einer anderen Bude versorgen kann, ganz nach seinem Geschmack. Er möchte mobile Toiletten aufstellen und die „hässlichen Park-Kübel“ bemalen lassen, zum Beispiel von den Kitas.

Die Pächter hätten Interesse, etwas zu entwickeln, weil sie alle weitermachen wollen, und mit dem NLWKN und Deichverband seien sie in gutem Austausch. Nikolai Müller glaubt, dass es hinzukriegen ist: „Gemeinsam, immer auf einer smarten Welle.“

Das mit der smarten Welle habe ich am Lühe-Anleger irgendwie auch gespürt. Nach fast einer Woche kann ich ansonsten nur sagen: Danke an alle, die sich geöffnet und mir ihre Geschichten erzählt haben. I ♥ L.A.

Anping Richters Fazit nach sechs Tagen: I ♥ L.A.

Anping Richters Fazit nach sechs Tagen: I ♥ L.A. Foto: Richter

Serie: Richter in L.A.

2022 stand TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter im Kiosk hinter der Theke und im vergangenen Jahr heuerte sie auf der Elbfähre an. In diesem Sommer eroberte sie L.A. - aber nicht in den USA, sondern im Alten Land. L.A. nennen die Altländer den Lühe-Anleger in Grünendeich. Von Gastronomie bis Fähre, von Tourist bis Deichschäfer - was Anping Richter erlebte, konnten Sie eine Woche lang im TAGEBLATT lesen und weiterhin auf TAGEBLATT online.

Weitere Artikel