TRestaurator rettet mittelalterliches 3D-Kino in St. Johannis in Neuenkirchen

Bewahrt den mittelalterlichen Altar von St. Johannis in Neuenkirchen: Restaurator Markus Tillwick begutachtet vor dem geöffneten Tabernakel die Figur von Simon Zelotes, in der Hand hält der Apostel sein Attribut: die Säge. Foto: Vasel
Zwei Meister ihres Faches arbeiten in St. Johannis, um Kunstschätze für kommende Generationen zu bewahren. Restaurator Markus Tillwick ist im Altar auf das Zelt Gottes gestoßen, Orgelbauer Bartelt Immer hat in der Orgel himmlische Winde entfacht.
Neuenkirchen. In dieser Woche hat der Restaurator Markus Tillwick aus Adendorf bei Lüneburg den spätgotischen Flügelaltar der St.-Johannis-Kirche in Neuenkirchen gereinigt - und Teile der Figuren und der Bilder im Auftrag der Landeskirche restauriert. „Die Farbe blätterte ab“, erklärt der Restaurator. Mit der Hilfe von Hausenblasenleim - gewonnen aus Schwimmblasenhäuten von Zucht-Stören - und einem Netzmittel gelang es Tillwick, die abgeplatzte Farbschicht mit einem kleinen Pinsel wieder auf dem Holz zu fixieren.

Die Farbschichten der Plastik lösen sich, Tillwick fixiert diese mit Störleim. Foto: Vasel
Für den Lüneburger handelt es sich um ein ganz besonderes Kunstwerk: Teile des Altars stammen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Im Zentrum steht Jesus Christus als Salvator mundi („Heiland der Welt“), die rechte Hand zum Segen vor himmlischem Goldgrund erhoben. In der linken Hand hält Christus einen mit einem Kreuz bekrönten Reichsapfel - flankiert von sechs Apostelfiguren. In den Seitenflügeln jeweils drei.
Neuenkirchen: Zelt Gottes in St. Johannis entdeckt
Der Altar wurde mehrfach umgebaut. Im Jahr 1613 fand das Glaubensbekenntnis auf Plattdeutsch seinen Platz unter den Figuren. „Ick gelove ann Godt den Vadder allmeghtige Schepper Hemmells vnd der Erden“, steht dort unter anderem. Das heißt: Der Flügelaltar von St. Johannis vereint Elemente aus der Zeit vor und nach der Reformation, so Pastor Prigge. Neuenkirchen war die letzte Gemeinde in der Region, in der die Reformation einzog. Zeitweise gab es hier ein Kloster, doch 1286 zogen Nonnen nach Bredenbeck (Neukloster) um. Die Altländer Jungfrauen werden also nicht mehr verzückt auf den Salvator mundi von Neuenkirchen geschaut haben.
Flügelaltar war das 3D-Kino des Mittelalters
Markus Tillwick hat für seine Arbeit auch das Altarbild abgenommen. Zum Vorschein kam ein Relikt der römisch-katholischen Zeit: der Tabernakel. Tabernaculum heißt auf Lateinisch „Zelt“ und erinnert an das Zelt der Bundeslade. In diesem Schrank bewahrten die Priester einst die geweihten Hostien auf.

Blick auf den gemauerten Blockaltar mit gotischem Flügelretabel (zweite Hälfte 14. Jahrhundert). Foto: Vasel
Heute sind die Flügel des Altars immer geöffnet. Das war im Mittelalter anders. „Lediglich zu hohen kirchlichen Festen wurde der Altar geöffnet“, sagt Tillwick. Im Schein der Kerzen wurde den Gläubigen großes Kino geboten: Bibel in 3D.
Sanierung der St.-Johannis-Orgel kostet 14.000 Euro
Auf den Flügeltüren sind Johannes der Täufer und Johannes der Evangelist zu sehen, unterhalb der spätgotischen Figuren sind auf der Predella drei Gemälde aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts zu bewundern: Fußwaschung, letztes Abendmahl und Garten Gethsemane. Der Altar war 1958/1959 restauriert worden.

Linke Außenseite des Flügelaltars: Johannes der Täufer. Foto: Vasel

Rechte Seite des Flügelaltars: Johannes der Evangelist. Foto: Vasel

Auch das Altarbild aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wird gereinigt. Es zeigt: Fußwaschung, letztes Abendmahl, Garten Gethsemane. Foto: Vasel
Doch die Gottesdienstbesucher werden sich in St. Johannis nicht nur am restaurierten und gereinigten Altar erfreuen können, sondern auch am Klang der überarbeiteten Ott-Orgel.
Rund 14.000 Euro haben Landeskirche und die Lühekirchen-Gemeinde in das Kleinod investiert. In der kleinen Kirche - der Ursprungsbau wurde 1270 von Ritter Johannes Schulte von der Lühe errichtet, 1845 und 1925/1931 wurde die Kirche im alten Stil neu erbaut - gab es keine Orgel. Lediglich ein Harmonium ist nachgewiesen. 1936/37 leisteten sich die Altländer eine Orgel von Paul Ott (Göttingen).
Ott-Orgel pfeift nicht mehr aus dem letzten Loch
Der Stader Orgelsachverständige Martin Böcker nahm die Orgel ab. Orgelbauer Bartelt Immer aus Norden hat sie vor Ort und in seiner Werkstatt überarbeitet. Das Instrument wurde vom Holzwurm befreit, rund 450 Pfeifen aus Zinn, Zink und Holz baute Immer aus, um diese zu reinigen und zu reparieren. „Lebendiger, klarer und deutlicher“ sei der Klang der Orgel nach der Überarbeitung, lobt Böcker.
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Die mechanische Orgel pfiff aus dem letzten Loch, die Windladen waren undicht. Die Folge: Die Orgel klang „grob“ verstimmt. Der Meister aus Ostfriesland veränderte die Technik so, dass der „Wind jetzt an jeder Pfeife richtig ankommt“. Pastor Olaf Prigge und Organist Wolfgang Wissemann zeigten sich begeistert.
Ostern erklingt die erneuerte Orgel in St. Johannis
Orgelbauer Ott wollte mit seiner Orgel an die barocken Instrumente anknüpfen. In den 1920er-Jahren gab es - im Zuge der Orgelbewegung - einen „neue Wertschätzung“ für die Orgeln aus dem 16./17. Jahrhundert, so Prigge. Die Neuenkirchener Orgel ist ein „Zeugnis der Rückbesinnung“, sagt Organist Wissemann.

Abnahme der Ott-Orgel von 1937 in St. Johannis in Neuenkirchen: Orgelsachverständiger Martin Böcker, Orgelbauer Bartelt Immer, Pastor Olaf Prigge und Organist Wolfgang Wissemann. Foto: Vasel
Das Instrument - eingeweiht am Reformationstag 1937 - stand ursprünglich in der Nordwestecke der Kirche. Im Jahr 1989 wurde es auf die neue Westempore umgesetzt, Orgelbauer Alfred Führer aus Wilhelmshaven überarbeitete die Orgel. Diese wird am Ostersonntag, 31. März, um 10 Uhr eingeweiht. Prigge: „Sie ist - wie der Altar - ein Schatz dieser Kirche.“