TRichter in L. A.: Kühle Drinks und heißes Fett am Lühe-Anleger

Am L.A. im Alten Land gibt es inzwischen sogar Palmen. Foto: Anping Richter
In L.A., wie die Altländer ihren Lühe-Anleger liebevoll nennen, herrschen heute kalifornische Temperaturen: 31 Grad im Schatten. Beim Falafel-Frittieren sind es gefühlt sogar noch mehr, findet TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter.
Altes Land. „Keine Angst. Schön nah ran gehen“, sagt George und meint die Fritteuse mit dem heißen Öl. Die Kichererbsenmasse sollte man nicht aus zu großer Entfernung aus dem Portionierer ins Fett fallen lassen. Sonst spritzt es.
Leichter gesagt als getan - und das ist nur eine von vielen lehrreichen Einsichten an diesem ersten von sechs geplanten Praxistagen am Lühe-Anleger.

Zwei Mal Pommes Frites, zwei Mal Falafel-Bowl: George Nassar im Elbfrisch bei der Arbeit. Foto: Anping Richter
George Nassar beherrscht alle Handgriffe im Schlaf. Der 44-jährige ist seit 22 Jahren Koch und hat 13 Jahre lang in hochkarätigen Restaurants in Dubai gekocht. Nun ist eine Imbissbude am Lühe-Anleger sein Reich. Sie heißt Elbfrisch, und um dem Namen alle Ehre zu machen, wird dort praktisch alles frisch vor Ort zubereitet.
Die Imbissbude ist gut durchdacht - jeder Griff sitzt
Die Imbissbude ist nicht groß, aber gut durchdacht: Neben der Doppelfritteuse gibt es eine Edelstahl-Grillplatte, die Zutaten für Salate und Bowls liegen fertig geschnitten im Tresen, die Dressings stehen in Flaschen bereit. Die Antipasti sind das Einzige, was George nicht selbst macht: Oliven, eingelegte, getrocknete Tomaten & Co liefert Jens Sudau.

50 Prozent der Gerichte auf der Karte bei Elbfrisch sind vegan, bei vielen Kunden kommt das gut an. Foto: Anping Richter
Schon morgens um 8.30 Uhr ist George zum Lühe-Anleger gekommen, um alles vorzubereiten. Er hat vierzehn Salate gewaschen und geschnitten, Couscous-Salat zubereitet, Falafelmasse abgeschmeckt. Alle paar Tage macht er einige Kilo und weicht die Kichererbsen 24 Stunden ein, bevor er sie mit viel frischer, feingehackter Petersilie durch den Wolf drückt.
Nach der Arbeit bei Airbus ein Abstecher nach L.A.
George portioniert die Masse in Tüten à 1,5 Kilo - eine normale Tagesration. Sonntags bei gutem Wetter geht doppelt so viel über den Tresen. „Meine Frau ernährt sich vegan, wir kommen häufig hierher“, sagt Thomas Tremmel aus Harsefeld. Er selbst nimmt ein Steak dazu.
Tremmel ist Stammgast. Er arbeitet bei Airbus, fährt mit dem Rad zur Arbeit und kommt auf dem Rückweg öfter mal vorbei, um einen Happen zu essen und auf die Elbe zu gucken. Heute gönnt er sich dazu ein selbst gezapftes Bier.

Thomas Tremmel mit einem selbst gezapften Bier. Foto: Anping Richter
Bier zum selbst zapfen: Das ist ein Selfie wert
„Das ist ein tolles Patent“, sagt Amir Afschartabbar, der das Elbfrisch betreibt. Der Stader Gastronom hat die Selbstzapf-Anlage auf Reisen in einem Hotel gesehen und war begeistert: „Das spart Zeit, aber es macht den Leuten auch Spaß“, sagt er und zeigt auf ein anderes Paar: Er zapft sich ein Bier, sie fotografiert ihn dabei mit dem Handy.

Der Stader Systemgastronom Amir Afschartabbar betreibt drei der acht Buden am Lühe-Anleger. Foto: Anping Richter
Afschartabbar ist Systemgastronom. Sich Konzepte auszudenken, ist seine Spezialität. Er betreibt drei der insgesamt acht Buden am Lühe-Anleger, auch das Eiscafé „Zeit für Glück“ und das „Königlich und Köstlich“ gehören dazu. An ihm liegt es, dass es am Lühe-Anleger inzwischen tatsächlich Palmen wie in L.A. gibt und die Gäste unter den bunten Schirmen sitzend zu Latino-Popklängen speisen.
Die wehen auch zu den Fischbrötchen-Ständen hinüber. Dazwischen ist immer wieder das Knattern von Motorrädern zu hören: Der Lühe-Anleger ist ein beliebter Biker-Treff. Eine Gruppe mit besonders großen, chromglänzenden Maschinen und dem charakteristischen Harley-Davidson Potpotpot-Geräusch, ist gerade angekommen.
Vielleicht sehen die harten Jungs nicht nur so aus
Schwarze Kutten, schwarze Bärte, kräftige Statur: Die Jungs würden den Hells Angels, die übrigens 1948 in L.A., Kalifornien, gegründet wurden, alle Ehre machen. Diese hier sagen, dass sie keinen Club haben, geben sich ansonsten aber sehr zugeknöpft. Fotografieren lassen wollen sie sich auf keinen Fall, Namen nennen erst recht nicht. Vielleicht sehen sie ja nicht nur wie harte Jungs aus.
Offener zeigen sich Manuela und Hartmut. Sie sind mit ihrem BMW XR S1000 aus Magdeburg angereist. Ein Familienbesuch: Hartmut kommt aus Stade, gemeinsam hat das Paar dort 31 Jahre gelebt. Jetzt besuchen sie ihre beiden Söhne regelmäßig in Stade. Was sie nach Magdeburg geführt hat? „Schlechte Straßen, überall Schlaglöcher, zu viel Tempo 50 hier in der Gegend“, sagt Hartmut. Im Osten sei das Biker-Leben einfach besser.
15.30 Uhr: Die ersten Aperol-Bestellungen
Im Elbfrisch ebbt die Mittagessen-Welle inzwischen ab. Dafür gehen gegen 15.30 Uhr die ersten Aperol- und Limoncello-Spritz Bestellungen ein. Inzwischen ist mit dem 31-jährigen Idris Verstärkung eingetroffen.
George gönnt sich eine Pause und genießt hinter der Bude einen Espresso und die frische Brise von der Elbe. Wie die Gäste auf dem Ponton direkt am Anleger, die jetzt bei Kaffee und Kuchen im Café „Wellenreiter“ sitzen.
Sie betrachten nicht nur die Gäste beim Besteigen der Lühe-Schulau-Fähre. Stolz und strahlend weiß zieht dahinter in Richtung Hamburg die Cap San Diego vorbei, das größte betriebsfähige Museumsfrachtschiff der Welt. Ein weißes Segelboot im Vordergrund komplettiert das Bild.
Der Koch ist auch ein Dichter
Ein Hauch von großer, weiter Welt, den hier viele genießen. Auch George Nassar, der erzählt, dass er nicht nur Gastronom ist, sondern auch dichtet: „Ich koche mit Gefühl und ich schreibe mit Gefühl.“ Zwei Gedichtbände hat der gebürtige Syrer schon verfasst, allerdings in seiner arabischen Muttersprache. Er überlegt, sie ins Deutsche übersetzen zu lassen.
Wovon die Gedichte handeln? „Von der Liebe, vom Hass, vom Krieg. Vom Leben“, sagt er. Ihm, der als Christ aus Syrien nach Deutschland kam und der mit einer Muslima verheiratet ist, gehe es darum, zu zeigen, was alle Menschen verbindet, nicht, was sie trennt.
Abwassertonne muss weggebracht werden
Ein Gurgeln in einer schwarzen Plastiktonne unterbricht das philosophische Gespräch. Es ist die Abwassertonne, erklärt er. Die Buden sind an die Trinkwasserleitung angeschlossen, doch das Abwasser muss gesammelt und anderswo korrekt entsorgt werden. Das macht George täglich nach der Arbeit - bevor der Tank voll und viel zu schwer wird.
Zusammen mit Idris und George wird es in der Bude ziemlich eng. „Heute ist es heißer als gestern“, sagt George. Idris erinnert ihn an die gemeinsame alte Heimat: „In Syrien sind es jetzt 45 Grad.“ In L.A. in Kalifornien ist es heute genauso heiß wie am Lühe-Anleger. Doch im Alten Land ist die Abkühlung schon im Anmarsch: Gewitter.
Blitz und Donner beenden den L.A.-Sommertag
Um 17.30 Uhr schließen George und Idris die Sonnenschirme und bringen die Blumentöpfe in Sicherheit. Es geht glimpflich vorüber: Blitze, Donner, Regen, aber kein Sturm.
Gäste sind aber auch nicht mehr zu erwarten. Am Montag geht es wieder weiter - mit einer Verabredung am Deich. Mehr wird noch nicht verraten.

Die Cap San Diego nähert sich dem Anleger. Foto: Anping Richter
Die Serie: Richter in L.A.
2022 stand TAGEBLATT-Reporterin Anping Richter im Kiosk hinter der Theke und im vergangenen Jahr heuerte sie auf der Elbfähre an. In diesem Sommer erobert sie L.A. - aber nicht in den USA, sondern im Alten Land. L.A. nennen die Altländer den Lühe-Anleger in Grünendeich. Von Gastronomie bis Fähre, von Tourist bis Deichschäfer - was Anping Richter täglich erlebt, lesen Sie im TAGEBLATT und auf TAGEBLATT online.