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Asylverfahren

TVon Kolumbien nach Sauensiek: Familie flieht nach Morddrohungen

Von der kolumbianischen Großstadt Pereira nach Deutschland in die ländliche Idylle: Yeison, Carolina und Tochter Valentina möchten in Sauensiek bleiben.

Von der kolumbianischen Großstadt Pereira nach Deutschland in die ländliche Idylle: Yeison, Carolina und Tochter Valentina möchten in Sauensiek bleiben. Foto: Laudien

In Kolumbien hatten sie ein gutes Leben. Weil Yeison Ramirez und seine Familie aber massiv von Guerillas bedroht wurden, flohen sie nach Deutschland. Das ist ihre Geschichte.

Von Susanne Laudien Dienstag, 30.09.2025, 11:50 Uhr

Sauensiek. Mit knapp 2,9 Millionen Flüchtlingen ist Kolumbien hinter dem Iran und der Türkei derzeit das Land mit den drittmeisten Flüchtlingen weltweit, teilt die UNO-Flüchtlingshilfe mit. Diese berichtet auch, dass die humanitäre Lage in Kolumbien zu den weltweiten Krisen zählt - mit besorgniserregender Entwicklung: Die Zahl der Menschen, die im ersten Quartal dieses Jahres von bewaffneten Konflikten und Gewalt in Kolumbien betroffen waren, hat sich zum Vorjahreszeitraum vervierfacht.

Diese Gewalt bekam auch Familie Ramirez zu spüren. „Wir haben in ständiger Angst gelebt. Unser Leben war in Gefahr und wir suchten nach einem Ausweg“, erzählt Yeison Ramirez. Mit Ehefrau Carolina und Tochter Valentina ist der 40-Jährige daher Ende 2022 aus Kolumbien geflohen.

Carolina, Valentina und Yeison Ramirez fühlen sich in ihrer Wohnung in Sauensiek sehr wohl - und vor allem sicher.

Carolina, Valentina und Yeison Ramirez fühlen sich in ihrer Wohnung in Sauensiek sehr wohl - und vor allem sicher. Foto: Laudien

In ihrer Heimatstadt Pereira war er nach dem Studium und mehrjähriger Erfahrung im Bau- und Minensektor für ein großes Bauunternehmen tätig. „Wir führten ein glückliches Leben mit gutem Gehalt, eigenem Haus und Auto. Und Valentina besuchte eine Privatschule“, erzählt Yeison Ramirez.

Sein letztes Projekt war der Bau einer Autobahn im Departement Caquetà, einer Region mit hoher Gewalt durch die Guerillas der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). Die Gruppe kämpft gegen die kolumbianische Armee, arbeitet meistens im Untergrund, verübt Anschläge und Überfälle.

Morddrohungen von Guerilla-Kämpfern

„Ich wurde von den Guerillas bedroht, sollte Ersatzteile und Benzin beschaffen. Als ich auf die Forderungen nicht einging, wurde die Situation immer schwieriger“, schildert Ramirez. Schließlich kündigte der Angestellte seine Arbeit und kehrte in seine etwa 700 Kilometer entfernte Heimatstadt zurück. Doch auch dort gingen Erpressungen und Morddrohungen gegen ihn und seine Familie weiter. „Wir hatten schreckliche Angst, trauten uns nicht mehr aus dem Haus“, schildert Ehefrau Carolina.

Das Ehepaar erstattete Anzeige bei der Polizei, doch die wollte ihnen keinen Schutz gewähren. Daraufhin beschlossen sie kurzerhand, das Land zu verlassen. Innerhalb von zwei Monaten verkauften sie ihr Eigentum und verließen die Heimat. Warum war ihr Ziel ausgerechnet Deutschland? „Ich kann es nicht genau sagen. Wir wollten einfach nur an einen sicheren Ort“, erklärt Ramirez.

Im November 2022 kam die Familie in einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in Niedersachsen in der Nähe der Stadt Bramsche an. Nach drei Tagen ging es weiter nach Fürstenau und im Februar 2023 wurden sie nach Apensen geschickt.

„Im Rathaus wies man uns eine Unterkunft in Beckdorf zu, wo wir mit anderen kolumbianischen Familien wohnten. Wir schliefen zu dritt in einem Zimmer und teilten uns mit den Bewohnern Küche, Bad und Wohnzimmer.“

Sprachkurse, eigene Wohnung und Arbeit

Yeison und Carolina Ramirez wollten nicht auf staatliche Hilfen angewiesen sein und suchten sich sofort Arbeit. In Klindworths Gasthof in Sauensiek fing Carolina im Restaurantbetrieb an und Yeison in der hauseigenen Brauerei. „Nikolaus Klindworth brachte mir die Handwerkskunst des deutschen Bierbrauens bei. Inzwischen sind Niko und Partnerin Christina für uns wie eine Familie.“

In Sauensiek fand Familie Ramirez eine schöne Wohnung mit Garten. „Doch es war frustrierend, nicht die deutsche Sprache zu sprechen. Und es war ein schwieriger Prozess, das alte Leben hinter sich zu lassen und bei Null anzufangen. Aber wir waren fest entschlossen, voranzukommen.“

Yeison Ramirez absolvierte Sprachkurse für Zugewanderte an der Volkshochschule. Die 39-jährige Carolina ließ ihre Unversitäts-Abschlüsse in Industrie-Technologie anerkennen, machte ihren Führerschein und arbeitet inzwischen in einem Logistikzentrum in Wenzendorf.

Tochter Valentina geht in die dritte Klasse der Grundschule in Wiegersen. „Ich habe dort eine Freundin, die auch aus Kolumbien kommt“, erzählt die Neunjährige in gutem Deutsch.

Valentina ist durch eine sogenannte Hemiparese körperlich mit einer Lähmung ihrer linken Körperhälfte beeinträchtigt. Die Neunjährige erhält aktuell Therapien in Stade, Buxtehude sowie im Kinderkrankenhaus in Hamburg-Altona.

„Valentina erhält hier die dringend notwendigen Behandlungen - und wir hoffen auf eine gesicherte Aufenthaltserlaubnis“, sagt Yeison Ramirez. Der erste Asylantrag wurde jedoch abgelehnt, aber das Asylverfahren ist noch nicht abgeschlossen. „Wir wollen in Sauensiek bleiben und unserer Tochter eine Zukunft bieten. Daher hoffen wir jeden Tag auf eine positive Nachricht.“

Geringe Anerkennungsquote bei Asylanträgen

Im Landkreis Stade kamen die meisten neuen Asylsuchenden 2024 aus den Hauptherkunftsländern der vergangenen Jahre: 107 jeweils aus Kolumbien und Syrien, 58 aus der Türkei, 33 aus Afghanistan und 18 aus dem Sudan.

Deutschlandweit registrierte Asylsuchende 2024 laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:

  • Syrien: 76.765
  • Afghanistan: 34.139
  • Türkei: 29.177
  • Irak: 9.046
  • Somalia: 7.354
  • Iran: 5.817
  • Ungeklärt: 4.887
  • Russische Föderation: 5.625
  • Kolumbien: 3.909
  • Eritrea: 3.235

Derzeit gibt es insgesamt im Landkreis Stade 367 kolumbiansiche Staatsangehörige (auch Personen mit Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis, Duldung etc.). Davon noch im laufenden Asylverfahren (Gestattung) sind 198.

Laut Bundesministerium des Innern liegt die Anerkennungsquote kolumbianischer Staatsbürger bei rund 0,3 Prozent. In einer Absichtserklärung haben Kolumbien und Deutschland im April vereinbart, die Einwanderung zu Ausbildungs-, Studien- und Erwerbszwecken, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel in Deutschland, zu fördern und irreguläre Migration einzudämmen.

Von Nikolaus Klindworth (rechts) von Klindworths Gasthof hat Yeison Ramirez in der hauseigenen Brauerei das Bierbrauen erlernt.

Von Nikolaus Klindworth (rechts) von Klindworths Gasthof hat Yeison Ramirez in der hauseigenen Brauerei das Bierbrauen erlernt. Foto: Laudien

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