TVon Nazi-Wahn und Handel im Wandel: Altländer Jahrbuch ist eine Zeitreise
Zweiter Weltkrieg: Die Aufnahme zeigt die Bergung eines Flugzeugwracks und eines toten Flugzeuginsassen vom Boot aus. Foto: Archiv Hoffmann
Gigantische Pläne der Nazis, die Geschichte eines Gemischtwarenladens und das Geheimnis der Alten Seefahrtschule: Das Altländer Jahrbuch 2026 erzählt viele Geschichten. Ein Auszug.
Jork. Jürgen Hoffmann nimmt die Leser mit auf eine ganz persönliche Reise durch das Alte Land. Bereits als Schüler sammelte der Altländer fleißig Material zur Geschichte, insbesondere über die Cranzer. Obstbau, Feuerwehr, Polizei, Schiffbau, Deichsicherheit, Nazi-Zeit und Wiederaufbau: Hoffmann beleuchtet die Zeit von 1937 bis zur Währungsreform 1948.
Mit dem Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 hatte sich Hamburg die Gemeinden Cranz, Neuenfelde, Francop, Finkenwerder, Altenwerder sowie den Stadtkreis Harburg-Wilhelmsburg unter den Nagel gerissen. Hoffmann war fünf Jahre alt, als die Nazis einen Riesen-Hafen planten.
Unter dem Jubel Zehntausender Hamburger verkündete der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, am 1. April 1937 auf dem Adolf-Hitler-Platz vor dem Rathaus im Schein der Fackeln: „Unsere alte Hansestadt, Deutschlands großes Tor in die Welt, ist heute ein organischer Begriff geworden: Groß-Hamburg ist Wirklichkeit geworden.“
Gigantisch: Nazis planten Hafen und Werft im Alten Land
In Borstel und in Francop sollten Hafenbecken entstehen, am Elbdeich sollte eine Autobahn gebaut werden. Der Hansa-Kanal sollte das Ruhrgebiet und den Mittellandkanal bei Bramsche mit der Elbe und dem Hafen in Hamburg verbinden.
„Für Deutschlands größten Hafen musste Raum geschaffen werden“, so Reichsinnenminister Wilhelm Frick. Das Gesetz diente der Aufrüstung und der Vorbereitung des seit Jahren von den Nazis geplanten Krieges. Im Bereich der Este sollten große Werftanlagen entstehen, so Hoffmann.

Bei den Neudrucken der Cranzer Ansichtskarten wurden die Flaggenmasten mit Hakenkreuzfahnen versehen. Außerdem sieht man deutlich den alten Deichverlauf bis zur Sturmflut 1962 beim Gasthaus „Zur schönen Aussicht“. Foto: Archiv Hoffmann
Das Ende ist bekannt: Kriegsbedingt blieben die Pläne in der Schublade. Frick wurde im Nürnberger Prozess als Hauptkriegsverbrecher im Oktober 1946 zum Tode verurteilt. Als Perspektive 2000 holte Wirtschaftssenator Helmuth Kern (SPD) die Nazi-Pläne im Jahr 1969 wieder aus dem Schrank. Cranz, Neuenfelde, Francop und Rübke drohten - wie später Altenwerder - der Hafen-Erweiterung geopfert zu werden.
„Gespenstisch roter Himmel“ in den Bombennächten
Eindrucksvoll schildert Hoffmann den Schrecken der Operation Gomorrha im Sommer 1943: „In einer dieser schrecklichen Bombennächte nahm mich mein Großvater mit zu der auf dem Deich stehenden Windmühle. Dann fielen die Bomben. Nach einiger Zeit war der Himmel gespenstisch rot, ich sah Bilder, die ich nie vergessen werde.“
Auf dem Elbdeich stand eine Flakstellung, zwei Bomber stürzten in Leeswig und in der Elbe, direkt vor einer schwimmenden Flakstellung auf einer Schute mit Fesselballon, vor Cranz ab. „Die Elbe war durch den auslaufenden Treibstoff zu einem Flammenmeer geworden“, erinnert sich Hoffmann.
Geschichte eines Gemischtwarenladens
Mit viel Herzblut und wunderbaren Anekdoten erzählt Uwe Boisch die Geschichte seiner Familie. Sein Vater, der Kaufmann Diedrich Boisch, war bekannt wie ein bunter Hund. „Erkennungszeichen waren Moped und Kiepe, er wurde deswegen auch der Osterhase von Jork genannt“, sagt Boisch.

Diedrich Boisch, der „Osterhase von Jork“, auch genannt „Cheffo“, auf seinem Moped in voller Fahrt. Foto: Archiv Familie Boisch
In „Darf’s ein bißchen mehr sein? Erinnerungen an unser Lebensmittelgeschäft in Osterjork“ geht er auf die Gründung des Geschäftes um 1890 durch den Tischler Johann Diedrich Boisch und seine Frau Metta ein - seine Urgroßeltern. Es war ein Stubenladen.

Hochbetrieb: Kaufmann Diedrich Boisch sitzt an der Kasse. Foto: Familienarchiv Boisch
Sein Großvater Jacob Tewes Boisch ging in einem Hamburger Kolonialwarenladen in die Lehre. Ab 1913 verkaufte er Kaffee, Tee, Zucker, Tabak und Gewürze, die Familie hatte einen kleinen Hof. Nur 1915/1916 war er im Krieg, als „Obstzüchter“ kehrte er nach Jork zurück.
Wenn die Zeitung im Fenster hängt, wird bestellt
„Während der Erntezeiten wurde das Ladengeschäft tagsüber geschlossen, da zum einen das eigene Obst gepflückt wurde und zum anderen die Kundschaft selbst in die Bäume stieg oder Heu einfuhr“, so Boisch. Sein Opa führte in der Zeit der Weimarer Republik einen Lieferdienst ein.
Sonderausstellung
T Wie Indiana Jones: Sie sind Jägerinnen der verlorenen Schätze im Alten Land
Maritimes Erbe
T Jork hat spektakuläre Zukunftspläne für den Borsteler Hafen
Zeitgeschichte
T Ein großer Altländer Ingenieur erbaute das Blaue Wunder in Dresden
Er vereinbarte ein Zeichen mit den Kunden. Wenn die Altländer Zeitung im Küchenfenster hing, wusste er: Es wird bestellt. Von ihm erlernte Uwe Boisch das Blindschreiben. „Du müsst de Kunnen in de Ogen kieken, wenn Du de Bestellung oppschrieven deist“, belehrte er seinen Enkel. Das würde die Kunden zwingen, sich allein auf das Bestellen zu konzentrieren.
Keine Chance gegen die Discounter
Um sich über Wasser zu halten, führte er das Kommissariat der Landschaftlichen Brandkasse Hannover - heute VGH. Mit Fahrrad und Aktentasche besuchte er seine Kunden.
1952 übernahm sein Vater Diedrich den Gemischtwarenladen in Osterjork 52. Es war kein reiner Lebensmittelladen mehr, auch Haushalts- und Hygieneartikel, Glückwunschkarten, Zeitungen und Zeitschriften gehörten zum Sortiment. 1976 war Schluss. Discounter und Supermärkte gruben ihm das Wasser ab.
Ein Kaleidoskop der Geschichte(n)
Weitere Themen des Buches: Dr. Sebastian Ipach widmet sich der Alten Seefahrtschule in Grünendeich. Er ist dem Erbauer auf der Spur. Dr. Kai Janofsky und Barbara Wetegrove berichten aus der Museumsarbeit, TAGEBLATT-Redakteurin Anping Richter von den Lessing-Gesprächen. Erhältlich ist das 141 Seiten starke, illustrierte Jahrbuch des Altländer Archivs und des Museums Altes Land für zehn Euro im Museum in Westerjork, in der Tourist-Info in Osterjork und in der Drogerie Hubert in der Bürgerei in Jork.

Dr. Kai Janofsky, Uwe Boisch, Dr. Sebastian Ipach, Jürgen Hoffmann und Grafiker Volker Groneberg überreichen Bürgermeister Matthias Riel das druckfrische Altländer Jahrbuch (von links). Foto: Vasel
Copyright © 2025 TAGEBLATT | Weiterverwendung und -verbreitung nur mit Genehmigung.

Generalbebauungsplan von 1941 mit Autobahn, Hansa-Kanal und Nazi-Hafen. Foto: Altländer Archiv