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Altländer beklagen die „Teilung“ bis heute

In einer Denkschrift von 1949 wird die Schaffung eines Landkreises Jork gefordert, inklusive der 1937 an Hamburg gegangenen Gemeinden.

In einer Denkschrift von 1949 wird die Schaffung eines Landkreises Jork gefordert, inklusive der 1937 an Hamburg gegangenen Gemeinden.

Es ist immer wieder Thema im Alten Land: das Groß-Hamburg-Gesetz. Dabei gibt es die Hoffnung und Möglichkeiten, das Gemeinschaftsgefühl der 1937/1938 durch das Groß-Hamburg-Gesetz getrennten Altländer in allen drei Meilen des Alten Landes wieder zu stärken.

Montag, 12.11.2018, 13:52 Uhr

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Bei der Vorstellung des Lexikons „Das Alte Land von A bis Z“ hatte Claus Ropers, Vorsitzender des Vereins zur Förderung und Erhaltung Altländer Kultur (Jork) wieder einmal die „Teilung“ des Alten Landes beklagt – und die Hoffnung ausgedrückt, dass landesübergreifende Projekte wie Buch dazu beitragen könnten, das Gemeinschaftsgefühl der 1937/1938 durch das Groß-Hamburg-Gesetz getrennten Altländer in allen drei Meilen des Alten Landes wieder zu stärken.

Auf Einladung des Kulturverein Steinkirchen und Umgebung blickt Professor Dr. Norbert Fischer (Universität Hamburg) am Donnerstag, 15. November, 19 Uhr, ins Restaurant Windmüller in Steinkirchen zurück. Er spricht zu dem Thema: „Groß-Hamburg-Gesetz (1937/38) und dessen Auswirkungen auch auf das Alte Land.“ Der Eintritt ist frei, eine Spende willkommen.

Unter dem Jubel Zehntausender Hamburger verkündete der Reichsminister und Stellvertreter des Führers Rudolf Heß am Donnerstag, 1. April 1937, auf dem „Adolf-Hitler-Platz“ vor dem Rathaus im Schein der Fackeln: „Unsere alte Hansestadt, Deutschlands großes Tor in die Welt, ist heute ein organischer Begriff geworden: Es ist zusammengeschlossen, was notwendigerweise längst zusammengehörte: Groß-Hamburg ist Wirklichkeit geworden.“

Was die Altländer über das Gesetz dachten, geht aus der Altländer Zeitung und dem Buxtehuder TAGEBLATT nicht hervor, denn diese waren längst gleichgeschaltet und ein Instrument der NS-Propaganda. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich geschichtsbewusste Altländer für eine Aufhebung ein und wollten das Alte Land 1949 unter dem Dach eines neuen Landkreises Jork vereinen. Dieser war bereits im Jahr 1932 aufgelöst worden und in den Kreis Stade übergegangen.

Mit dem Reichsgesetz von 1937 sicherte sich das Land Hamburg nördlich der Elbe Altona und Wandsbek. Südlich des Flusses schnappten sich die Hamburger Gemeinden wie Cranz, Neuenfelde, Francop, Finkenwerder, Altenwerder sowie den Stadtkreis Harburg-Wilhelmsburg. Bereits in der Weimarer Republik hatte die Wirtschaft der Hansestadt die Pläne verfolgt. Das Ziel war klar: „Für Deutschlands größten Hafen musste Raum geschaffen werden. Raum musste für Siedlungen der im Hafen und seiner Industrie beschäftigten Arbeiter bereitgestellt werden“, so Reichsinnenminister Wilhelm Frick beim Staatsakt im Rathaus.

Bewusst hatten die Nationalsozialisten ihre „Reichsreform“ mit dem 1. April auf den Geburtstag des Reichskanzlers und -gründers Otto von Bismarck gelegt. Letztlich handele es sich „nicht um Maßnahmen zugunsten Hamburgs“, so Frick mit Verweis auf den Vierjahresplan. Letztlich diente das Gesetz damit einem Ziel: Aufrüstung und Vorbereitung des seit Jahren von den Nazis geplanten Krieges.

Nach dem Weltkrieg gab es im Alten Land, aber auch in Harburg und in Altona Bestrebungen, das „Groß-Hamburg-Gesetz“, unterstützt von der britischen Militärregierung, wieder aufzuheben. Doch Nachkriegsbürgermeister Rudolf Hieronymus Petersen soll es den Briten mit Verweis auf den Wiederaufbau ausgeredet haben. Gemeindevorsteher der Dritten Meile hatten sich 1928 gegenüber dem Jorker Landrat gegen einen Anschluss an Groß-Hamburg oder den Landkreis Harburg ausgesprochen, weil sie die Belange von Obstbau sowie Deich- und Entwässerungswesen nicht ausreichend berücksichtigt sahen. Am 1. Oktober 1932 gab es mit der Auflösung des Kreises Jork an der Este die „erste“ Teilung: Estebrügge und Moorende, bislang beiderseits der Este gelegen, fielen an den Landkreis Stade, beziehungsweise an den Landkreis Harburg. 1937 musste auch der Landkreis Harburg Neuenfelde und Francop an Hamburg abtreten, der Kreis Stade verlor Cranz. Damit hatte sich Hamburg die Este-Mündung gesichert.

Die Kommunen verloren ihre Selbstständigkeit und gingen in der Einheitsgemeinde Hamburg auf; allein Hove, Moorende und Rübke verblieben beim Kreis Harburg. Nach Bekanntwerden des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ hatte der Stader Landrat Dr. Karl Schwering, von 1917 bis 1932 Landrat von Jork, noch versucht, im Zuge der Neuordnung Hove und Moorende an den Landkreis Stade zu binden. Auf Neuenfelde und Francop könne verzichtet werden, so Schwering. Schließlich dominiere in diesen beiden Gemeinden der Getreide- und Beerenobst-Anbau, während die Este-Gemeinden eindeutig zum „geschlossenen Obstbaugebiet“ (Baumobst) gehörten und über Obstbauschule, Sparkasse, Versuchsring sowie Schulverband und Kirche zur I. und II. Meile zu zählen seien.

Verkehrlich seien Francop und Neuenfelde ohnehin über die Postautoverbindung gen Harburg orientiert. Allein die Bauernführer unterstützten Dr. Schwering, die Bürgermeister von Moorende, Hove und Rübke teilten dem Regierungspräsidenten in Lüneburg sogar mit, dass sie „eher nach Hamburg als nach Stade gehen würden“, führte der heutige Staatsarchivar Robert Gahde im „Altländer Jahrbuch 1994“ aus.

Erst bei der Gebietsreform 1972 kamen Moorende und Hove zurück – nicht zum Kreis, sondern zur Gemeinde Jork. Denn bereits 1949 waren Jakob Rieper und Heimatforscher Hans Peter Siemens mit einem Antrag beim Land Niedersachsen gescheitert, den Altkreis Jork mit Buxtehude und den Gebieten im Kreis Harburg wieder zu errichten und diesem über Aufhebung des „Groß-Hamburg-Gesetzes“ auch Neuenfelde, Francop und Cranz anzugliedern.

Die Auflösung und die Abtrennung der Gemeinden sei durch autoritäre und nicht verfassungsgemäße Regierungen erfolgt – „im schroffen Widerspruch“ zu einer 700-jährigen Tradition (bereits im 13. Jahrhundert liegen die Wurzeln der Altländer Selbstverwaltung), „gegen alle wirtschaftliche Vernunft“ und „unter gröblicher Verletzung des Selbstbestimmungsrechtes“ der Altländer. „Man kann nicht die nationalsozialistische Herrschaft auf der einen Seite als verfassungswidrig verurteilen und andererseits Maßnahmen billigen, wo sie einer Seite Vorteile bringen“, schrieben Siemens und Rieper vom Arbeitsausschuss zur Wiedererrichtung des Landkreises Jork am 14. Dezember 1949 nach Hannover. Ohne Erfolg – wie Altländer bis heute beklagen.

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