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Zeitgeschichte

TPolizeiarbeit in der Nachkriegszeit: 1952 greifen Beamte in Notfällen zur Trillerpfeife

Paul Bayer als Polizist in Zeven. Statt Dienstfahrrad ein Dienstwagen. Statt Trillerpfeife ein Funkgerät.

Paul Bayer als Polizist in Zeven. Statt Dienstfahrrad ein Dienstwagen. Statt Trillerpfeife ein Funkgerät. Foto: Paul Bayer

Wer umzieht, dem fallen beim Packen meist vergessene Schätze in die Hände. So auch den Zevener Polizisten, die die Station an der Lindenstraße zum Jahreswechsel verließen. Der Schatz: Eine Akte aus den Jahren 1945 bis 1952.

Von Thorsten Kratzmann Sonntag, 14.04.2024, 15:00 Uhr

Zeven. Ein Jahr, nachdem die Westalliierten die Passhoheit an die Bundesrepublik Deutschland abgetreten hatten, besteht für die Bundesregierung unter Kanzler Konrad Adenauer Anlass zur Sorge. Die ab Anfang 1951 an Bundesbürger ausgegebenen Reisepässe öffneten den Deutschen Türen in die Länder ihrer Träume. Auch etliche, denen es am nötigen Kleingeld mangelte, verfielen der Reiselust.

Darauf nimmt Polizei-Oberrat Stegenwalner in seinem Schreiben an die Dienststellen Bezug, das er Mitte März 1952 versenden lässt. Er verweist auf eine Mitteilung des Auswärtigen Amtes, derzufolge deutsche Staatsangehörige, „überwiegend Jugendliche, die zwar ordnungsgemäß ausgestellte Reisepässe mit einem Sichtvermerk besitzen, ohne jede Barmittel ins Ausland - insbesondere nach Italien - reisen, in der offenbaren Absicht, das Land als sogenannte Weltenbummler zu durchziehen.“

Während am anderen Ende der Welt auf der koreanischen Halbinsel wieder Krieg herrscht, beschließt der Stader Polizei-Kommandeur das Jahr 1952 mit dem Wunsch, der Bundesrepublik mögen 1953 Frieden und Freiheit erhalten bleiben.

Während am anderen Ende der Welt auf der koreanischen Halbinsel wieder Krieg herrscht, beschließt der Stader Polizei-Kommandeur das Jahr 1952 mit dem Wunsch, der Bundesrepublik mögen 1953 Frieden und Freiheit erhalten bleiben. Foto: dpa

Dieses „Trampen“ schade dem deutschen Ansehen, beklagt das Auswärtige Amt in Bonn. Zumal die italienische Polizei wiederholt jugendliche Deutsche abgeschoben und das Auswärtige Amt die Kosten für die „Heimschaffung“ dieser Jugendlichen zu tragen habe.

Angesichts dessen gibt das Innenministerium in Hannover einen Erlass an die Polizei heraus. Darin heißt es: „Bei Passbewerbern, die ohne hinreichende materielle Grundlage lediglich aus Abenteuerlust oder einem allgemeinen Wandertrieb folgend, fremde Länder ohne festes Reiseziel und ohne bestimmten Reisezweck besuchen wollen, ist in eine besonders sorgfältige Nachprüfung darüber einzutreten, ob ihnen der Pass nicht zu versagen ist. Eventuell kommt eine Entziehung des Passes nach der Rückkehr derartiger vom Ausland abgeschobener Personen infrage.“

Ehemalige Gendarmen werden zu Polizisten auf Widerruf

Im Laufe des Jahres dreht sich das Personalkarussell im Stader Polizeibezirk ohne Unterlass. Die Landesregierung stellt Polizisten ein und neue Einheiten auf. Anfang Mai gibt Kommandeur Stegenwalner die Versetzung von Wachtmeister Karl Ebel vom Gruppenposten Zeven zur motorisierten Verkehrsbereitschaft nach Bremervörde bekannt. Aus Bremervörde zur Kripo nach Stade wechselt derweil Obermeister Erdmann.

Dorthin werden gleichfalls die Wachtmeister Schmied aus Bremervörde und Schwarz aus Zeven versetzt. Polizeimeister Willi Menzel zieht vom Posten Tarmstedt zum Posten Wilstedt um. Auch Wachtmeister Willy Hoffmann packt seine Siebensachen. Er verlässt den Posten Elsdorf und versieht seinen Dienst ab 1. September 1952 in Sittensen.

Den Kindern im Lager Seedorf wird Schulunterricht erteilt. Das Foto zeigt estnische Kinder. Für Sicherheit und Ordnung im Lager sorgt ab Ende 1952 Oberwachtmeister Richard Wagner.

Den Kindern im Lager Seedorf wird Schulunterricht erteilt. Das Foto zeigt estnische Kinder. Für Sicherheit und Ordnung im Lager sorgt ab Ende 1952 Oberwachtmeister Richard Wagner. Foto: Samtgemeindearchiv

Überdies treten Änderungen bei der telefonischen Erreichbarkeit der Polizei in Kraft. So sind die Sittenser Ordnungshüter fortan an unter dem Anschluss 400 zu erreichen. Der Wohnungsdienstanschluss von Polizeimeister Stiller in Wilstedt ist hingegen ebenso aus dem polizeilichen Fernsprechverzeichnis zu streichen wie der von Hauptwachtmeister Hoffmann in Gyhum.

Die fortlaufende Schaffung zusätzlicher Planstellen bei der Polizei im Land Niedersachsen trifft auf einen Mangel an Fachkräften. In dieser Phase ergeben sich Chancen für ehemalige Gendarmen, die nach dem Zusammenbruch des III. Reiches aus dem Dienst ausgeschieden waren.

Ihnen eröffnet Landesinnenminister Richard Borowski im Herbst 1952 die Tür zur Wiedereinstellung. Die ehemaligen Meister und Hauptwachtmeister der Gendarmerie Mönke, Pervelz und Schwenk werden mit Wirkung zum 1. November des Jahres als Polizei-Hauptwachtmeister beziehungsweise -Oberwachtmeister auf Widerruf - also auf Probe - eingestellt, um den Polizeiabschnitt Wesermünde zu verstärken.

Dutzende Versetzungen zum Ende des Jahres

Im Dezember bekommt Oberrat Stegenwalner fünf Wiedereinsteller zugewiesen. Die Oberwachtmeister Korzetz und Kasten werden dem Polizeiabschnitt Wesermünde zugeteilt, Oberwachtmeister Riesner verstärkt den Stab des Polizei-Kommandeurs in Stade, Oberwachtmeister Kleinert bekommt eine Anstellung im Land Hadeln und Oberwachtmeister Richard Wagner versieht seinen Dienst bei Posten im Lager Seedorf.

Zwei weitere Wiedereinsteller folgen im Laufe des Dezember. So wird der ehemalige Revierleutnant der Gendarmerie Otto Keske als Polizeimeister dem Abschnitt Stade „zur Dienstleistung“ überstellt. Den Polizeiabschnitt Wesermünde verstärkt der ehemalige Meister der Gendarmerie Fritz Stenke als Hauptwachtmeister auf Widerruf.

Aus dienstlichen Gründen versetzt werden mit Wirkung zum 1. Dezember des Jahres 27 Polizeibeamte. Neben anderen der Polizeimeister Willi Pohlmann vom Polizeiposten Scheeßel. Er wechselt auf den Posten des Leiters des zweiten Verkehrszuges der Polizei in Cuxhaven. Die Leitung des Postens Scheeßel übernimmt Willi Steinbring, der aus Rotenburg kommt.

Den Stab des Polizeiabschnitts Bremervörde verlässt Polizeimeister Edmund Graf von Brühl. Er tritt den Dienst beim Posten Bevern an. Aus dem Polizeirevier Bremervörde in den Stab des Abschnittsleiters zieht Oberwachtmeister Christian Oehr um. Das Polizeirevier Rotenburg verlassen gemeinsam in Richtung Posten Ahausen die Hauptwachtmeister Louis Baete und Fritz Epperlein. Oberwachtmeister Werner Prielipp wird vom Gruppenposten Zeven zum Posten Sittensen versetzt. Ebenfalls aus Zeven verlegt Hauptwachtmeister Ernst Breitbeck seinen Dienstsitz. Er verstärkt den Posten Elsdorf. Vom Posten Iselersheim zum Revier nach Bremervörde wechselt Hauptwachtmeister Erich Neubauer.

Praktische Übungen im Pfeifen des Notsignals

Zeitgleich mit diesen Versetzungen verfügt Oberrat Stegenwalner die Verlegung von Polizeiposten: Die Beamten des Postens Bevern räumen die Dienststelle aus, um mit Sack und Pack nach Hesedorf umzuziehen. Der Posten Ahausen wird aufgegeben und nach Unterstedt verlegt. Auch aus Helvesiek zieht sich die Polizei zurück, um fortan in Hetzwege Präsenz zu zeigen.

Zu einigen Stunden „Musikunterricht“ verdonnert der Polizei-Kommandeur am Jahresende Beamte, die im Streifen- und Postendienst eingesetzt sind. Anlass ist ihm die bundeseinheitliche Einführung des Notsignals für Polizisten. Die Alarmierung von Kollegen per Trillerpfeife hat unverzüglich, so schreibt Stegenwalner Mitte Dezember, mit der Tonfolge „kurz - kurz - lang“ zu erfolgen. Das Antwortsignal lautet „kurz - kurz - kurz“. Der Oberrat befiehlt: „Die Polizeibeamten sind über die Anwendung des Notsignals eingehend zu belehren und durch praktische Übungen an die neue Tonfolge des Notsignals zu gewöhnen.“

Zudem hat sich der Kommandeur nochmals mit der Dienstkleidung zu befassen. Kaum dass sämtliche Polizisten im Land in blaues Tuch gehüllt sind, da ordnet Innenminister Borowski eine Farbänderung an. Zur Begründung heißt es, „die dunkelblaue Uniform hat sich infolge ihrer Staubempfindlichkeit für den Polizeidienst als nicht zweckmäßig erwiesen“. Daher werde die Tuchbekleidung der Schutzpolizei künftig blaugrau gefärbt sein. Allein die Stiefelhosen werden weiterhin in schwarzer Farbe ausgegeben.

Doch in Zeiten knapper Haushaltsmittel verbietet es sich, Ressourcen zu verschwenden. Folglich sind die in den Polizei-Kleiderkammern lagernden dunkelblauen Stoffe „aufzubrauchen“ - auch wenn die Einheitlichkeit der Dienstkleidung darunter leidet, dass Polizisten für eine Übergangszeit von mehreren Jahren Dunkelblau zu Blaugrau tragen, wie Stegenwalner anmerkt. Zugleich besteht der Kommandeur darauf, dass ausschließlich der ausgegebene blaue Wollschal zur Dienstkleidung zu tragen ist. Ende.

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