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Vor Feuer gewarnt

T23-Jähriger wird zum Retter – privat hat er es nicht leicht

Marvin Luthardt abends auf dem Kaemmererplatz. Wenige Tage zuvor kam es wenige Hundert Meter entfernt zu einem Feuer, bei dem der 23-Jährige geistesgegenwärtig reagierte.

Marvin Luthardt abends auf dem Kaemmererplatz. Wenige Tage zuvor kam es wenige Hundert Meter entfernt zu einem Feuer, bei dem der 23-Jährige geistesgegenwärtig reagierte. Foto: Kuczorra

Marvin Luthardt wird zum kleinen Helden, als er im Lotsenviertel in Cuxhaven Rauch entdeckt und blitzschnell reagiert. Seine bewegte Vergangenheit verleiht seiner Geschichte Tiefe.

Von Joscha Kuczorra Samstag, 07.12.2024, 18:05 Uhr

Cuxhaven. Marvin Luthardt befindet sich gerade auf dem Heimweg von der Arbeit, als über einem Gebäude im Alten Deichweg im Lotsenviertel in Cuxhaven Rauch aufsteigt. Sofort springt er von seinem Rad, ruft die Feuerwehr, klopft und klingelt an den Türen, um die Bewohner aus dem Haus zu holen.

Die Rettungskräfte verhindern Schlimmeres, Menschen werden nicht verletzt.

Erinnerung an tödliches Feuer in Cuxhaven

Für den vor wenigen Tagen 23 Jahre alt gewordenen Cuxhavener war es auch eine traurige Erinnerung. Bei einem verheerenden Feuer in der Schillerstraße war vor knapp drei Jahren ein Nachbar, den er flüchtig kannte, ums Leben gekommen. Nicht nur deshalb war für Marvin Luthardt sofort klar, was zu tun ist - „aus Angst um Menschenleben“, wie er betont. „Ich hatte Sorge, dass einer verbrennt oder eine Rauchergasvergiftung erleidet.“

Verletzt wird bei dem Brand im Alten Deichweg niemand.

Verletzt wird bei dem Brand im Alten Deichweg niemand. Foto: Lütt

Der junge Mann sagt über sich selbst, er sei „nicht wichtig in einer Situation, in der andere in Gefahr sind“. Und er habe „immer Interesse, Menschen zu helfen“. Freunde sagten über ihn, er mache sich „mehr Sorgen um andere als um mich selbst“. Für sein privates Umfeld sei er „immer auf Abruf“.

Als Jugendlicher war er beim Technischen Hilfswerk (THW) - bis er herausflog. „Ich habe mich nicht gut benommen“, gibt er unumwunden zu. Der junge Mann war nicht immer pflegeleicht. Daraus macht er keinen Hehl. Denn das gehört zu ihm.

Bei dem Feuer in der Schillerstraße kam im Januar 2022 ein Mann ums Leben. (Archivbild)

Bei dem Feuer in der Schillerstraße kam im Januar 2022 ein Mann ums Leben. (Archivbild) Foto: Larschow

Von der Bleickenschule Cuxhaven geflogen

Als Jugendlicher fliegt er von der Bleickenschule, verpasst damit den Hauptschulabschluss. „Ich habe beschissene Aktionen gedreht“, sieht er heute ein. „Bei vielen habe ich mich entschuldigt.“ Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass er selbst gemobbt worden sei. Marvin Luthardt hat ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), leidet an einem Sprachfehler und durchlebt in seiner Schulzeit depressive Phasen. Auch vom Internat fliegt er, schafft zudem den Abschluss im Bereich Hauswirtschaft und Gartenbau an den Berufsbildenden Schulen (BBS) nicht.

Dennoch sucht er immer wieder den Weg zurück zu den Bildungseinrichtungen. „Ich wollte in die Schule, weil ich Bildung wollte.“ 2020 holt er schließlich den Hauptschulabschluss an der Deutschen Angestellten-Akademie (DAA) in Cuxhaven nach, 2023 schafft er über die Jugendberufsagentur den Realschulabschluss an der Volkshochschule (VHS) mit der Note 1,6.

„Ich habe was im Kopf und ich habe was in den Händen“, ist der 23-Jährige überzeugt. Er gibt bei der Jugendhilfe Workshops für Graffiti und das Färben von Kleidung. Er selbst ist künstlerisch aktiv. In der Corona-Zeit jobbt er im Corona-Testzentrum. Die Arbeit mit den Proben begeistert ihn. Luthardt findet eine Ausbildung als Chemielaborant. Doch das Defizit im Chemieunterricht im Vergleich zu anderen Auszubildenden, das aufgrund seiner lückenhaften Schulbildung entstanden war, sei zu groß gewesen. „Ein Viererschnitt ist keine erstrebenswerte Ausbildung“, ist er überzeugt - und bricht ab: „Ich hatte im Leben nie eine Perspektive, keine Stabilität. Routine fällt mir immer noch schwer.“

Job als Laborhilfe in der Mikrobiologie in Bremerhaven

Jetzt arbeitet Marvin Luthardt im Bremerhavener Hafen als Laborhilfe in der Mikrobiologie. Zellkulturen, Genomik und Genetik interessieren ihn. Privat begeistert er sich für seine Pflanzenzucht. Neben Buntnesseln und Kakteen stehen bei ihm zu Hause Chili-Pflanzen: Der 23-Jährige experimentiert gerne herum, sorgt für Mutationen mit bunten Blättern. Das äußere Erscheinungsbild sei irgendwann total abgeändert. „Aber es ist genetisch immer noch der gleiche Typ Pflanze“, schwärmt der 23-Jährige von seinem Hobby.

„Das ganze Leben läuft immer schneller. Der einzige Moment, in dem ich herunterfahre, ist in der Pflanzenwelt. Ich brauche dafür nur das Blatt zu berühren.“

Wie es für den Cuxhavener Marvin Luthardt weitergeht

Er hat afrikanischen Mais und chinesischen Bambus in Saatgutdosen: „Ich finde das interessant. Es ist wie Briefmarkensammeln - nur mit größerer Perspektive.“ Apropos: Seine berufliche Zukunft sieht er im Bereich der Naturwissenschaften. „Weitere Perspektiven habe ich nicht“, bedauert der 23-Jährige. „Ich würde gerne studieren. Aber dafür fehlt mir das Fachabitur.“ Ein Akademiker wird seiner Ansicht nach aus ihm nicht mehr. Dafür bleibt Marvin Luthardt für immer ein Retter.

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