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Glückstadt-Wischhafen

TAbschied von Wolfgang Kilian: Das Gesicht der Elbfähre geht von Bord

Wolfgang Kilian ist Chef auf der Brücke.

Wolfgang Kilian ist Chef auf der Brücke. Foto: Helfferich

Der Kapitän verlässt das Schiff: Nach 36 Jahren ist für Wolfgang Kilian bei der Elbfähre Schluss. Er wollte immer zur See fahren - doch sein erster Anlauf endete auf der Davidwache.

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Von Susanne Helfferich
Dienstag, 17.06.2025, 05:50 Uhr

Wischhafen. Wolfgang Kilian wollte schon mit zwölf Jahren zur See fahren. „Ich bin damals mit einem Kumpel von zu Hause abgehauen, ohne Papiere, die Schulranzen hatten wir Klassenkameraden mitgegeben“, erzählt er, „so machten wir uns auf den Weg zum Hamburger Hafen.“ Doch auf St. Pauli wurden sie gleich von Polizeibeamten eingesammelt und auf die Davidwache gebracht, wo sie von den Eltern abgeholt wurden. „Das war keine lustige Autofahrt“, erinnert er sich, „aber in der Klasse waren wir nach der Aktion gut angesehen.“

Zwei Jahre musste Kilian noch durchhalten, mit dem Hauptschulabschluss durfte er los. Er heuerte als Deckshelfer an, bekam aber bald darauf einen Lehrvertrag zum Decksjungen. Nach drei Jahren Ausbildung hatte er seinen Matrosenbrief in der Tasche und durfte zur See fahren.

Der Junge hatte Glück: „Wir hatten einen guten Steuermann, etwa 15 Jahre älter als ich, der hatte gesehen, was in mir steckt und schickte mich zum Studium.“ Allerdings musste Kilian zunächst den qualifizierten Hauptschulabschluss an der Abendschule nachholen. Mit Matrosenbrief und Schulabschluss begann er das Studium an der Seefahrtschule in Grünendeich. „Das hat wesentlich mehr Spaß gemacht als die reguläre Schule“, erzählt er. 1986 verließ er die Seefahrtschule mit seinem Kapitänspatent in der Tasche.

Fähre als schnellster Weg über die Elbe erkannt

14 Jahre fuhr Wolfgang Kilian zur See. Ost- und Nordsee sowie das Mittelmeer. Dann lernte er seine Frau kennen und entschied sich für Hausbau und Familie. Beide arbeiteten bei Meyer Umweltdienste. „Dass ich bei der Elbfähre anfing, war Zufall“, erzählt er. Er habe die MS Björn M von Meyer nach Wewelsfleth in die Werft gebracht und sei abends über die Fähre nach Hause gefahren. „Da habe ich das erste Mal realisiert, dass das der kürzeste und schnellste Weg ist, über die Elbe zu kommen.“

Schiffsführer und Nautischer Direktor: Wolfgang Kilian auf der Brücke der FRS-Elbfähre.

Schiffsführer und Nautischer Direktor: Wolfgang Kilian auf der Brücke der FRS-Elbfähre. Foto: Helfferich

Mit 29 Jahren heuerte Wolfgang Kilian bei der Elbfähre an. „Damals war ich der Jüngste und musste warten, bis eine Stelle als Schiffsführer frei wurde.“ Sechs Jahre dauerte es. Lange bevor er Fahrdienstleiter oder Nautischer Inspektor wurde, übernahm er die Einteilung der Dienste. „Unsere damalige Chefin meinte nur ,machen Sie mal‘ und ließ mich auch machen. Von da an ging es nur noch bergauf.“

Sechs Jahre wartete der Kapitän auf seine erste Fahrt

Zweifel, ob er den richtigen Weg gegangen ist, hatte der 66-Jährige nur kurz: Während der Pandemie, als die Menschen sich ins Homeoffice verkrochen und die Pendlerzahlen einknickten. Am 19. August 2020 kam der große Einschnitt: Die Flensburger FRS übernahm die Elbfähre.

„Über Nacht war eine Betriebsversammlung angesetzt worden und ich konnte nicht dabei sein, weil ich auf der Fähre im Einsatz war. Als ich dann hinterherfuhr, kamen mir schon die ersten Kollegen entgegen. Auf der Versammlung war mitgeteilt worden, dass der Betrieb verkauft wird“, erinnert sich Kilian. Im ersten Moment sei die Nachricht ein Schock gewesen, „ich hatte schon die Rente vor Augen“.

Doch die Aufregung war unnötig, im Gegenteil: Die Digitalisierung zog auf der Fähre ein, mit digitaler Personalplanung und neuem Kassiersystem, das vereinfachte vieles. Und Geschäftsführer Tim Kunstmann wollte investieren: Um die Fähre schneller und unabhängiger von der Tide zu machen, wollte er den Anleger auf der Wischhafener Seite weiter zur Fahrrinne verlegen und neue, mit Solarstrom betriebene Fähren bauen.

„Das Schöne ist, solange ein Unternehmen Visionen hat, denkt man nicht an einen Verkauf“, sagt Kilian. Doch es fehlt die Planungssicherheit, weil Land und Bund weiter den A20-Tunnel favorisieren.

Auch das gab es: Im Februar 2010 legte Eis die Fähre lahm. Wolfgang Kilian (Zweiter von rechts) und seine Crew sägten Eisblöcke aus der Elbe und nutzten sie als Außenmobiliar.

Auch das gab es: Im Februar 2010 legte Eis die Fähre lahm. Wolfgang Kilian (Zweiter von rechts) und seine Crew sägten Eisblöcke aus der Elbe und nutzten sie als Außenmobiliar. Foto: Helfferich

Er sorgte dafür, dass kein Schiff liegen blieb

Wolfgang Kilian ist das Gesicht der Elbfähre. Mal sitzt er auf der Brücke am Steuer, dann koordiniert er die Personal- und Einsatzplanung oder hilft auch beim Be- und Entladen der Fähre. „Wenn ich morgens aus dem Haus gehe, weiß ich nie, was auf mich zukommt.“ Seine Grundregel ist, Ruhe zu bewahren.

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Mehr als 60 Mitarbeiter hat die FRS Elbfähre. Bis zu vier Schiffe sind täglich im Einsatz, auf denen jeweils drei - Schiffsführer, Maschinist und Kassierer - im Einsatz sind. „Die Kollegen einzuteilen, ist nicht immer einfach, immer muss ich einen Ersatzplan in der Tasche haben - und auf die Kooperationsbereitschaft der Kollegen setzen, wenn es mal wieder eng wird.“ Oft übernahm er dann eine Schicht, „aber ich habe es immer geschafft, dass kein Schiff wegen fehlenden Personals liegen bleiben musste“.

Am 30. Juni übergibt Wolfgang Kilian, Schiffsführer und Nautischer Direktor, die FRS-Elbfähren an seinen Nachfolger Nils Hammann (links).

Am 30. Juni übergibt Wolfgang Kilian, Schiffsführer und Nautischer Direktor, die FRS-Elbfähren an seinen Nachfolger Nils Hammann (links). Foto: Helfferich

Eng wird es seit der letzten Elbvertiefung auch immer wieder für die Fähre. Der Schlick macht sich in der Fahrrinne breit, immer wieder läuft eine der Fähren auf Grund, wie Ende vergangener Woche.

„Einmal hatten wir ein Fernsehteam auf dem Schiff und hatten uns festgefahren. Die wurden immer nervöser, weil Folgetermine anstanden“, erzählt Kilian. „Als wir nach drei Stunden wieder frei gekommen sind, es war die letzte Fahrt nach Glückstadt, bezeichneten sie mich als Held des Tages.“

Bis zum 30. Juni wird Wolfgang Kilian weiterhin 100 Prozent Arbeitseinsatz geben. Dann übergibt er an den neuen Nautischen Inspektor, Nils Hammann. Aber er bleibt der Reederei als Ansprechpartner erhalten - und damit auch seinem Traumberuf.

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