TAfD und Abschiebefantasien: Was Menschen mit Migrationshintergrund dazu sagen

Dem Stader Amir Afschartabbar ist es wichtig, gegen Rechtsextremismus Zivilcourage zu zeigen. Foto: Anping Richter
Die Massendeportationspläne von AfD-Politikern und Rechtsextremisten erschüttern viele. Erst recht diejenigen, die damit gemeint sind: Menschen mit Migrationsgeschichte. Drei von ihnen, die im Kreis Stade leben, schildern ihre Gedanken und Gefühle.
Landkreis. „Deutschland ist meine Heimat. Viel mehr als das Land, in dem ich geboren wurde“, sagt Amir Afschartabbar. Der 47-jährige Stader Gastronom und ehrenamtliche Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Stade aktuell kam 2002 aus dem Iran nach Deutschland. „Zwanzig Jahre später, wo ich hier mein Nest gebaut habe, muss ich mir Sorgen um Frieden, Freiheit und Demokratie machen. Das hätte ich mir nie vorstellen können“, sagt er mit Blick auf das konspirative Treffen von AfD-Politikern und Rechtsextremisten in Potsdam, bei dem über Massendeportationen gesprochen wurde - von Menschen mit Migrationshintergrund. Einen solchen haben mehr als 20 Millionen Menschen in Deutschland. Nach aktueller Definition gehören dazu alle, die selbst zugewandert sind oder bei denen ein Elternteil oder beide Eltern nach 1950 zugewandert sind.
„Ich bin aus dem Iran geflohen“, sagt Amir Afschartabbar. Um das Land der Mullahs zu verlassen und in Freiheit leben zu können, habe er 2002 sein Studium der Elektrotechnik und alles andere zurückgelassen. Ein hoher Preis, aber: „In Gedanken war ich schon immer frei.“ Er kam erst nach Chemnitz, dann nach Plauen ins Flüchtlingsheim. Deutsch lernte er ohne Kursus auf eigene Faust. Er erinnert sich, dass er bei Deichmann Schuhe kaufen wollte und eine Verkäuferin ihm auf Schritt und Tritt folgte. „In meinem gebrochenen Deutsch habe ich gesagt: Wenn Sie mich gefragt hätten, was ich suche, hätten wir beide viel Zeit gespart.“ Sachsen zu verlassen, war ihm ein Jahr später nach einem langen Asylverfahren gestattet. Bedingung: eine Vollzeitarbeitsstelle.
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Amir Afschartabbar: Vom Tellerwäscher zum erfolgreichen Gastronomen
Er fand einen Job als Tellerwäscher bei der Restaurantkette „Die Scheune“ in Hamburg. Als in Stade eine Filiale eröffnet wurde, wurde er dort erst Küchenhilfe und Pizzabäcker, später Restaurantleiter. „Ich habe mich in diese Stadt verliebt“, sagt er. Sein Traum blieb eine akademische Ausbildung. Bei der Hochschule21 in Buxtehude hatte er die Aufnahmeprüfung schon geschafft, als ihm noch abgesagt wurde: Sein iranischer Schulabschluss sei doch nicht anerkannt.
Mit Unterstützung eines Stader Reeders mit persischer Herkunft, der ihm einen Praktikumsplatz zusicherte, konnte er an der Seefahrtsschule Cuxhaven eine Ausbildung als Nautik-Offiziersassistent abschließen. Er fuhr zur See, begann später ein Nautikstudium und machte sich nebenbei als Gastronom selbstständig. Der Laden lief gut, ein zweiter kam dazu. Nach drei Semestern brach er das Studium ab. Heute betreibt Amir Afschartabbar das „Königlich und Köstlich“ und das „Elbfrisch“ am Lühe-Anleger. In Stade wird er die Gastronomie für die Alsterschute am Fischmarkt übernehmen und im Sommer will er am Lühe-Anleger auch noch das Eiscafé „Zeit für Glück“ eröffnen.
Inzwischen ist Afschartabbar seit 14 Jahren deutscher Staatsbürger, verheiratet und hat einen siebenjährigen Sohn. „Für ihn wünsche ich mir, dass er bei Bildung und Jobsuche die gleichen Chancen bekommt wie alle anderen.“ Er habe selbst Ablehnung, Missachtung, Beleidigung, Gewalt und Ausgrenzung erlebt. „Verstehen kann ich so etwas nicht. Aber als Erwachsener kann ich die Hintergründe nachvollziehen.“ Doch in der Haut eines Migrantenkindes möchte er nicht stecken: „Wie soll die Welt harmonisch, vielfältig und tolerant werden, wenn man mit solchen Erfahrungen aufwächst?“
Faschisten, sagt Afschartabbar, leben davon, zu sagen: Entweder bist du mit uns oder gegen uns. Das funktioniere nur über Ausgrenzung. Er wünsche sich für alle Kinder, dass sie ihre Zukunft anders gestalten und in einer Welt leben können, in der es vielleicht politische oder geografische Grenzen gibt, aber keine rassistischen. Gesicht zu zeigen und laut zu werden gegen Rechtsextremismus gehört für ihn zur Zivilcourage, sagt Afschartabbar: „Die schweigende Masse entscheidet mit, auch, wenn es ihr gar nicht bewusst ist.“
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Inthumathy Uthayakumar, zweite Vorsitzende des Frauenvereins Himmelblau für interkulturelle Bildung und Begegnung in Buxtehude. Foto: Anping Richter
Deutsche aus Sri Lanka erinnert an die NS-Geschichte
„Ich liebe Deutschland und denke, dass Rechtsextremismus unser Land kaputt macht. Das ist vor 90 Jahren schon einmal passiert“, sagt die Buxtehuderin Inthumathy Uthayakumar. Sie war Lehrerin an einer Blinden- und Gehörlosenschule in Sri Lanka und frisch verheiratet mit einem angehenden Elektroingenieur, als der Bürgerkrieg eskalierte. Das war vor 38 Jahren. Sie flüchteten nach Deutschland. Vor 26 Jahren, kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes, wurden sie deutsche Staatsbürger. Ihr Sohn, Geschäftsführer einer Immobilienfirma, und ihre Tochter, die gerade an der Halepaghen-Schule ihr Abitur macht, kamen als Deutsche zur Welt.
Deutschland sei ein wunderbares Land, sagt Inthumathy Uthayakumar: „Die Achtung der Menschenwürde, Demokratie, Rechtsstaat und noch dazu Wohlstand - wir haben alles.“ Deutschland habe ihr ein neues Leben geschenkt, ein Dach über dem Kopf und einen Ort, wo sie ruhig schlafen kann. Sie und ihre Familie versuchten alles, um das zurückzugeben. Heute ist die 60-Jährige Notrufmitarbeiterin bei den Maltesern in Buxtehude. Sie engagiert sich als stellvertretende Vorsitzende des Frauenvereins Himmelblau für interkulturelle Bildung und Begegnung. An den Wochenenden erteilt sie Kindern, deren Familien aus Sri Lanka stammen, ehrenamtlich Tamilisch-Unterricht, damit sie auch die Sprache ihrer Eltern erlernen.
„Ich finde, wer hier Zuflucht sucht, um dann Straftaten zu begehen, hat das nicht verdient und darf auch wieder weggeschickt werden“, sagt Inthumathy Uthayakumar. Doch Biodeutsche gebe es für sie nicht. Nur Deutsche. Denn wenn man lange genug zurückgehe, finde man bei jedem irgendwann Wurzeln, die woanders liegen. Und: „Ohne Migranten wäre Deutschland doch leer - vom ungelernten Arbeiter bis zum Facharzt am Krankenhaus.“

Studiert gerade in Thüringen: Der 26-jährige Mahdieu Wermes aus Stade. Foto: Wermes
Mahdieu Wermes: Schockiert von CDU-Mitgliedern bei Potsdam-Treffen
„Du sprichst aber gut Deutsch.“ Diesen Satz bekommt Mahdieu Wermes, der vor 26 Jahren als Deutscher in Stade geboren wurde, häufig zu hören. Seine Mutter ist Deutsch-Britin mit indisch-nigerianischem Hintergrund. Oft fragen Leute, wenn sie ihn kennenlernen, gleich, wo er herkommt. „Das ist nicht böse gemeint. Aber man kommt sich eben oft als ‚der Andere‘ vor.“ Wermes, der am Athenaeum in Stade Abitur gemacht hat, arbeitet zurzeit an seinem Masterabschluss in Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität Ilmenau in Thüringen. Die Enthüllungen des Recherchenetzwerks „Correctiv“ über das Potsdam-Treffen schockieren ihn.
AfD-Politiker hätten solche Ansichten seit Jahren immer wieder durchblicken lassen, das überrasche ihn wenig. Erschreckend findet Wermes, dass auch zwei CDU-Mitglieder und ein Vorstandsmitglied des Vereins Deutsche Sprache teilnahmen, weil diese im öffentlichen Auge oft als Mitte der Gesellschaft wahrgenommen werden. Er denkt, dass es eine Strategie der Rechtsextremen und auch Rechtskonservativen sei, immer krassere, diskriminierende, ausländerfeindliche und rassistische Dinge zu sagen und dann zurückzurudern, wenn der öffentliche Aufschrei zu groß sei. „Das verschiebt den Diskurs und soll zur Normalisierung solcher Gedanken beitragen. Die Hemmschwelle, so etwas zu sagen, sinkt, so dass es immer weniger als empörend angesehen wird“, sagt Wermes.
„Mich persönlich als nichtweißen Deutschen betrifft das auch“, sagt er. In der Universität sei er zwar auch in Thüringen in einem toleranten Umfeld. Doch in der Kleinstadt Ilmenau sei ihm im Kontext einer prorussischen Friedensdemonstration in der Nähe jemand entgegengekommen, der einen Teleskop-Schlagstock dabei hatte und ihn ausfuhr, als er ihm näher kam. Es sei gut, dass es jetzt einen Aufschrei gebe: „Die großen Demos geben einem das Gefühl, dass es auch einen Rückhalt in der Bevölkerung gibt.“ Leider werde die Bedrohung von Rechts von vielen oft sehr schnell wieder ausgeblendet. Es sei wichtig, klar zu machen, dass demokratische Parteien durch leicht abgeschwächte Wiederholung rechter Rhethorik nicht zu Steigbügelhaltern der AfD werden dürfen. „Ich bin froh, dass ich bald aus Thüringen weg bin. Ich mache mir große Sorgen, was bei der nächsten Landtagswahl passieren wird.“