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Cold Case

TAuf dem Parkplatz erstochen: Die schwierige Suche nach dem Auftragskiller

Ein Parkplatz als Tatort: Lothar Leßmann stand an seinem Auto, als er auf seinen Mörder traf. Zeugen gab es kaum. Foto: Archiv

Ein Parkplatz als Tatort: Lothar Leßmann stand an seinem Auto, als er auf seinen Mörder traf. Zeugen gab es kaum. Foto: Archiv Foto: Archiv

Getötet durch einen einzigen Stich in den Oberschenkel. Ein kräftiger Hieb des Messers reicht, um Lothar Leßmann zu ermorden. Er verblutet innerhalb Minuten. Alle Spuren deuten darauf, dass der Täter ein Auftragskiller ist - angereist für einen Mord.

Von Thorsten Brockmann Freitag, 03.05.2024, 07:00 Uhr

Bremerhaven. Es gibt Tage, die brennen sich ein in das Gedächtnis. Für Jan Leßmann ist der 22. November 1994 solch ein Tag und präsent, als hätte er erst gestern auf dem Kalender gestanden und nicht vor bald 30 Jahren. Beinahe über jede Minute von jenem Tag kann er Protokoll ablegen. Es ist der Tag, an dem sein Vater ihn morgens zur Arbeit fährt und sich mit den Worten verabschiedet: „Ich hol Dich ab.“ Es ist der Tag, an dem sein Vater ermordet wird.

Lothar Leßmann wird auf einem Parkplatz zwischen Rickmers- und Lessingstraße mit einem einzigen Stich in die Beinarterie erstochen. Der 43-Jährige ist gerade aus seinem VW Golf gestiegen, der Zündschlüssel steckt noch, die Fahrertür ist geöffnet. Da biegt ein dunkelblauer Mercedes aus Richtung der Lessingstraße auf den Parkplatz ein, ein Luxusfahrzeug. Alles geht sekundenschnell: Der Wagen kommt, hält hinter dem VW, der Fahrer steigt aus und kurz darauf wieder ein, dazwischen ertönt ein Schrei um Hilfe. Dann rast der dunkle Mercedes mit quietschenden Reifen davon.

Das berichten die Zeugen

Eine Frau, die auf dem Balkon ihrer Wohnung steht, und ein Mann, der gerade im Supermarkt an der Hafenstraße eingekauft hat, können noch erkennen, dass eine blonde Frau neben dem Fahrer sitzt und hinten im Wagen ein weiterer Mann. Dass der 43 Jahre alte Familienvater schon im Sterben liegt, ahnen die Zeugen nicht. Sie rufen Polizei und Rettungsdienst, halten eine Streife an, dass er die Limousine verfolgen soll.

Der Feuerwehr wird „eine blutende Person“ gemeldet. Als die Rettungssanitäter eintreffen, hat Lothar Leßmann das Bewusstsein verloren, Augenblicke später stirbt er. Er liegt in einer Blutlache neben seinem Auto.

Jan Leßmann ist gegen 13.30 Uhr damit beschäftigt, die Weihnachtsbeleuchtung in Speckenbüttel zu installieren, als ihn „ein komisches Gefühl“ beschleicht und er auf die Uhr schaut. Eine Stunde später steht sein Chef vor ihm und sagt: „Ich fahr Dich nach Hause.“ Dort in Surheide ist bereits die ganze Familie versammelt.
Jan Leßmann: Keine Vorstellung, warum der Vater ermordet wurde. Foto: Brockmann

Jan Leßmann: Keine Vorstellung, warum der Vater ermordet wurde. Foto: Brockmann Foto: Brockmann

Was passiert ist, sei ihnen nicht gänzlich klar gewesen, sagt Leßmann heute. „Ermordet? Warum?“ Leßmanns Frage kann die Kripo seit drei Jahrzehnten nicht beantworten. „Es macht Dich fertig, wenn Du nicht weißt, was passiert ist.“

„Als wäre mein Vater der Täter gewesen“

Die Polizei habe das Leben der ganzen Familie in seine Einzelteile zerlegt. „Computer, Fax, Telefonlisten, alte Bahnfahrkarten - alles haben sie mitgenommen“, erinnert sich Leßmann. „Als wäre mein Vater der Täter gewesen.“ Ihm sei der blutverschmierte Ehering des Vaters übergeben worden. Sein Vater habe Pech gehabt, der Täter wohl Glück, erinnert sich der 49-Jährige an eine Begegnung mit einem Beamten. „Da konnte ich nur schwer an mich halten...“

Der Kripo fehlen am Ende ihrer Arbeit nur die letzten 50 Minuten im Leben des Lothar Leßmann. Er war als Telefontechniker bei der US Army beschäftigt, bis die abzog. Eine Umschulung sollte den Weg aus der Arbeitslosigkeit bahnen. Aber dass er den Kurs gar nicht besuchte, ahnte die Familie nicht. „Er hatte schon Bewerbungen geschrieben und eine Zusage aus Hamburg“, erinnert sich sein Sohn. An seinem Todestag wird Lothar Leßmann zuletzt eine Stunde vor der Tat bei der Stadtkasse gesehen, es gab Streit um zu viel gezahlte Gebühren, er erhält 60 Mark zurück. „Er hat sich leicht bei Fehlern anderer aufgeregt“, sagt der Sohn.

Die Nordsee-Zeitung berichtete 1994 über den Mord.

Die Nordsee-Zeitung berichtete 1994 über den Mord. Foto: Archiv

In der Tasche des Toten steckt noch sein Portemonnaie, aber 50 Mark fehlen.

Was Polizei und Staatsanwaltschaft über die Tat herausgefunden haben, behalten sie bis heute weitgehend für sich. Die Ermittler unterstützen die Berichterstattung dieser Serie nicht, auch „aus Respekt vor den Angehörigen“, teilt die Ortspolizeibehörde schriftlich mit. Jan Leßmann versteht das nicht. Aber er mache niemandem einen Vorwurf, sagt er. „Ich muss die Tat akzeptieren.“

Immer wieder neue Gedanken

49 Jahre alt ist Leßmann heute, sechs Jahre älter, als sein Vater wurde. Dessen Tod wird nicht aufgeklärt. Vermutungen stehen im Raum, dass der Mörder aus dem Rotlichtmilieu kommt. Die Polizei überprüft dunkle Mercedes-Limousinen bis nach Hamburg. Der Auftragskiller soll angeheuert worden sein, weil Leßmann „genervt“ habe. „War es ein Denkzettel...?“, fragt sich sein Sohn. „Wegen einer Frau...?“ „Er scheint seinen Mörder gekannt zu haben...“

Die Polizei hat nie klären können, warum er erstochen wurde: Lothar Lessmann wurde nur 43 Jahre alt.

Die Polizei hat nie klären können, warum er erstochen wurde: Lothar Lessmann wurde nur 43 Jahre alt. Foto: Polizei

Sämtliche Ermittlungen laufen ins Leere. „Wir haben gewartet, dass was kommt... - ein Verhältnis, irgendwas aus dem Rotlichtmilieu.“ Es kam nichts. „Wenn ich mich festlegen müsste, dann wurde mein Vater eher verwechselt, als dass er Schuld auf sich genommen hätte“, sagt Jan Leßmann.

Die Polizei hat lange nach dunklen Mercedes-Limousinen gesucht - unklar war zuletzt, ob eine S-Klasse - wie hier abgebildet - das Fahrzeug gewesen sein könnte.

Die Polizei hat lange nach dunklen Mercedes-Limousinen gesucht - unklar war zuletzt, ob eine S-Klasse - wie hier abgebildet - das Fahrzeug gewesen sein könnte. Foto: Archiv

Irgendwann haben sie die Sachen des Vaters eingepackt, verstaut, „selbst da haben wir jeden Zettel angeguckt, ob er uns noch einen Hinweis liefern könnte“. „Für meine Mutter war das alles jenseits der Belastungsgrenze“, sagt Jan Leßmann. Zehn Jahre nach der Tat zerbricht die Familie daran. „Es war für alle zu viel.“

Ohne den Stich in die Beinschlagader des Vaters „wäre mein Leben ganz anders verlaufen“, ist sich sein Sohn sicher. „Ich weiß nur nicht wie.“ Aber bei einem Gedanken ist er sich gewiss: „Wir hätten eine coole Zeit gehabt.“

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