TAus den USA nach Fredenbeck: Der Kampf einer Familie gegen Kinderkrebs

Juli 2022, ein tapferes Lächeln: Mit einem Selfie hält Kathrin Isaacs mit Ehemann Brandon, Emilia und Lynnea die Erinnerung nach acht Monaten Behandlung im Krankenhaus fest. Foto: privat
Ein Schock: Vor zweieinhalb Jahren erfahren die Isaacs, dass ihre Emilia an Leukämie erkrankt ist. Die Geschichte einer Familie, in der auch Fredenbeck eine Rolle spielt.
Fredenbeck. Wenn Kathrin Isaacs von dem schweren Schicksalsschlag spricht, der ihre Familie vor zweieinhalb Jahren getroffen hat, ist alles wieder da: der Unglauben über die schreckliche Diagnose, die Bilder ihres schwer kranken Kindes, die sie immer noch im Kopf hat, sein gesundheitlicher Zustand. Ihre Tochter ist damals 27 Monate alt. Das Erlebte ist auch nach zweieinhalb Jahren noch sehr präsent.
Kathrin Isaacs, geborene Dankers, stammt aus der Samtgemeinde Fredenbeck, aus Helmste. Seit zwölf Jahren lebt sie in den USA, in Havertown, Bundesstaat Pennsylvania, nahe Philadelphia. Die bewegende Geschichte ihrer kleinen Tochter Emilia möchte sie teilen.
„Der Krebs dominiert unser Leben“
Das Thema, so komme es ihr vor, stehe in Deutschland lange nicht so stark in der Öffentlichkeit wie in den USA. Es sei zu wenig bekannt - das Leid der Kinder, die Schwere der Behandlungen, wie viel Kraft es die Angehörigen, die Familie kostet. Das Bangen und das Hangeln von Tag zu Tag, die Verzweiflung. „Der Krebs dominiert unser Leben“, sagt sie.
In einem Telefongespräch mit dem TAGEBLATT berichtet die 35-Jährige über diese Zeit, sie spricht mit klarer Stimme - zwischendurch belegt. Dann muss sie kurz unterbrechen, die Tränen zurückdrängen. Zu schmerzhaft sind die Erinnerungen an einzelne Situationen - beispielsweise an die Kraft, die Kathrin Isaacs für sich selbst hätte brauchen müssen: Als die Krankheit die Familie trifft, ist sie mit dem zweiten Kind in der 37. Woche, hochschwanger.
Allein in Deutschland erkranken jährlich circa 2200 Kinder und Jugendliche an Krebs, informiert die Hamburger Fördergemeinschaft Kinderkrebs-Zentrum Knack den Krebs auf ihrer Webseite. Die häufigsten Formen sind Blutkrebs (Leukämien), Tumore des Lymphgewebes sowie Hirntumore. Seltener kommen dagegen Karzinome vor, bei Erwachsenen machen sie mehr als 90 Prozent der Neuerkrankungen aus.
Bei Emilia kam die Krankheit mehr zufällig ans Licht. Sie habe in Abständen immer mal wieder Fieber gehabt, erzählt die zweifache Mutter. Bei Kleinkindern nichts Ungewöhnliches. „Ich habe mir gar nicht solche Gedanken gemacht.“
Nach dem Ergebnis des Bluttests sofort in die Notaufnahme
Doch Emilia ist immer müder. An einem Montag folgt der Besuch bei der Kinderärztin, sie testet Emilias Blut. Auf dem Weg vom Kinderarzt zu einer Schwangerschaftsuntersuchung der Anruf der Praxis: Die Eltern sollten mit dem Kind sofort in die Notaufnahme eines Kinderkrankenhauses fahren.

Eine plakatierte Säule machte am 28. September bei Edeka Euhus in Fredenbeck auf den Limonadenverkauf für die Kinderkrebsforschung aufmerksam. Foto: privat
Die Fahrt sei schlimm gewesen. „Was heißt das, was kommt auf uns zu?“, hätten ihr Mann Brandon und sie sich gefragt. Nach Tests im Kinderkrankenhaus und innerhalb von ein paar Stunden die Diagnose: Blutkrebs, Leukämie. Keine Familie solle so etwas durchmachen müssen, sagt die Mutter. Noch am gleichen Tag bekommt Emilia eine Bluttransfusion, am nächsten Tag - ein Tag vor dem Thanksgiving Day - eine Rückenmarkspunktion.
„Sie wurde im Krankenhaus von uns weggenommen“, erzählt die Helmsterin. „Ich saß nur da und konnte nicht aufhören zu weinen.“ Es folgen zweieinhalb Jahre intensive Behandlung, Chemotherapie, künstliche Ernährung. „Das eigene Leben steht still“, sagt Kathrin Isaacs.
Jeden Tag bangen, was der nächste Tag bringt
Manchmal habe sie sich gefühlt, als würde sie ihr eigenes Kind foltern, sie muss sie festhalten, als ihr der Schlauch für die künstliche Ernährung in die Nase gesteckt wird. Natürlich für etwas Gutes, doch es sei schrecklich gewesen. Die Kleine habe sich gewehrt.
„Es ist ein schwerer Weg, den ein kleiner Mensch gehen und was er dabei ertragen muss.“ Irgendwann macht das kleine Kind mit, setzt sich ruhig zum Blutabnehmen hin, freiwillig.
„Wir haben irgendwie funktioniert“, stellt ihre Mutter fest. Und jeden Tag die bangen Fragen: Was kommt morgen? Wird sie Fieber haben? „Wir waren mit der Familie wie in einem Tunnel.“ Doch auch Hoffnung ist da. Gleich zu Anfang hätten die Ärzte eine 94-prozentige Heilungschance in Aussicht gestellt.
Emilia ist von der Therapie geschwächt. Sie hatte sich so auf die kleine Schwester gefreut, erinnert sich Kathrin Isaacs. Als sie dann nach der Entbindung mit dem Baby zu ihr kommt, reagiert Emilia kaum.
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Eine schwere und traurige Zeit sei es gewesen. „Man will beiden Kindern gerecht werden - war ich bei meinem Baby, hatte ich ein schlechtes Gewissen, nicht bei meinem kranken Kind zu sein.“ Dabei sei Emilia im Krankenhaus nie alleine gewesen, habe immer jemanden gehabt.
„Meine Familie war toll“, so die Helmsterin. Ihre Mutter sei für fast ein Jahr in die USA gekommen, eine Tante für einen Monat. In der Zeit folgen weitere Schreckmomente: Emilias allergische Reaktion auf die Chemo, eine Lungenentzündung.
Emilias Energie kommt langsam zurück
Im Alter von drei Jahren kommt Emilia in die Pre-School, eine Art Kindergarten. Sie hat keine Haare und einen Nasenschlauch, muss wieder laufen lernen. „Die Pre-School war ein großer Schritt, aber ihr hat es sehr gut gefallen.“ Sie sei ein schlaues Mädchen, sagt Kathrin Isaacs stolz. Ins Krankenhaus geht Emilia gerne, sie will später Krankenschwester werden.
Seit einem Jahr tanzt Emilia, hat kürzlich mit Gymnastik angefangen. „Da sehen wir, dass sie stärker wird und ihre Energie zurückkommt.“ Durch die Chemo hat sie in Füßen und Händen Neuropathie bekommen, eine Erkrankung der peripheren Nerven. Emilia trägt zur Stabilisierung Prothesen, geht zur Physiotherapie.
Finanziell kommen die Isaacs über die Runden - durch eine glückliche Fügung gebe es neben der normalen Krankenversicherung noch eine besondere zweite in Pennsylvania, die bei Emilias Krankheit greift.
Kathrin Isaacs sagt, in den USA werde nach ihrer Erfahrung sehr viel mehr Spendengeld gesammelt. Das Thema sei in der breiten Öffentlichkeit sichtbarer, zum Beispiel bei Charity- und Sport-Veranstaltungen. Es gebe viele Organisationen, die betroffene Familien unterstützen. So wie Dancers against Cancer. Die Isaacs melden sich dort an - und erleben eine tolle Überraschung: Sie erhalten einen Scheck über 10.000 Dollar.

Familie Isaacs in diesem Sommer in den USA bei der Veranstaltung „Live like a unicorn“. Foto: privat
Ganz bekannt sei Alex’s Lemonade Stand Foundation for Childhood Cancer. Die Stände werden an der Straße oder an belebten Orten aufgebaut und mit dem Verkauf von selbst gemachter Limonade Spenden für die Kinderkrebsforschung gesammelt. Kathrin Isaacs setzt sich dort für Kinderkrebsforschung ein. „Wir haben auch schon drei Stände gemacht“, sagt sie.
Einen Stand für die Hamburger Kinderkrebsforschung Knack den Krebs - zum Spendensammeln und Aufklären - hat sie bei einem Besuch in ihre alte Heimat geplant. Antreten kann sie die Reise von den USA nach Deutschland im Sommer nicht - sie bricht sich kurz davor den Fuß.
Limonadenstand in Fredenbeck bringt beachtliche Spenden
Stattdessen stellen ihre Mutter und eine Freundin den Verkauf von selbst gemachter Limonade auf die Beine, bei Edeka Euhus in Fredenbeck. „Ich fand die Aktion super“, sagt Betreiber Jörn Euhus auf Nachfrage. Er habe das Projekt an einem Samstag Ende September unterstützt.
Als er von der aktuellen Spendensumme erfährt, die Kathrin Isaacs dem TAGEBLATT mitteilt - mehr als 1300 Euro sind durch die Aktion in Fredenbeck bis Anfang Oktober für Knack den Krebs zusammengekommen - freut sich Jörn Euhus. „Das würde ich jederzeit wieder machen“, sagt er.
Schweres Schicksal
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Auch Kathrin Isaacs freut sich, vor allem über die Unterstützung in Fredenbeck. Sie findet aber, dass zum Thema Kinderkrebs noch sehr viel mehr geforscht und aufgeklärt werden muss. Besonders auch im Bereich Neben- und Nachwirkungen durch die Therapien. Und damit Gelder zusammenkommen.
Über Weihnachten will sie mit ihrer Familie in die alte Heimat reisen. Dort würde sie sich gerne mit einer betroffenen Mutter austauschen, um zu erfahren: Wie ist es in Deutschland, wenn das Kind an Krebs erkrankt ist?
Wie geht es mit der kleinen Emilia weiter? Fünf Jahre lang werde das Blut in Abständen kontrolliert, denn leider, sagt Kathrin Isaacs, bleibe ein kleines Risiko, dass die Krankheit zurückkommt. „Es wird immer präsent sein, wir wissen nicht, was noch kommt.“