Zähl Pixel
Insolvenz

TAus für Pflegedienst in Tarmstedt: Bürgermeister schickt Brandbrief an Lauterbach

Viele pflegebedürftige Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause bleiben. Sie werden betreut von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten, ohne die es nicht ginge. In Tarmstedt stellt die Diakonie Sozialstation ihren ambulanten Pflegedienst ein.

Viele pflegebedürftige Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause bleiben. Sie werden betreut von Angehörigen und ambulanten Pflegediensten, ohne die es nicht ginge. In Tarmstedt stellt die Diakonie Sozialstation ihren ambulanten Pflegedienst ein. Foto: Philipp von Ditfurth

Die Diakonie Sozialstation Tarmstedt stellt zum Monatsende ihren ambulanten Pflegedienst ein. Betroffen sind 240 Patienten und fast 60 Mitarbeiter. Jetzt wendet sich der Samtgemeindebürgermeister in einem Brandbrief an Karl Lauterbach.

Von Saskia Harscher Mittwoch, 05.06.2024, 13:00 Uhr

Tarmstedt. Der Pflegenotstand, er ist längst da. Das sagt die Noch-Geschäftsführerin der Diakonie Sozialstation Tarmstedt, Anja Ahlers. Zum Monatsende stellt der ambulante Pflegedienst im Kernort der Samtgemeinde seinen Betrieb ein.

Für die überwiegend älteren Menschen bricht mit dem Aus der ambulanten Pflege eine tragende Säule weg. Eine Stütze, die pflegebedürftigen Menschen im Alter ein möglichst langes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht.

Für Tarmstedts Samtgemeindebürgermeister Oliver Moje ist die Not der Diakonie Sozialstation, die seit ihren Anfängen als Gemeindekrankenpflege in Tarmstedt auf eine Geschichte von 150 Jahren blicken kann, Anlass für einen Brandbrief.

240 Patienten müssen sich einen neuen Pflegedienst suchen

Adressiert ist das Schreiben an den Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Moje macht deutlich, was die Insolvenz des Pflegedienstes bedeutet: „Die 240 ambulanten Patientinnen und Patienten wurden am Wochenende schriftlich aufgefordert, sich einen neuen Pflegedienst zu suchen.“

Die Chance, dass das bei allen klappt, schätzt der Rathauschef als eher gering ein, da auch die umliegenden anderen Pflegedienste neben der Frage der personellen Kapazitäten vor dem gleichen wirtschaftlichen Problem stünden wie die Diakonie. Tarmstedt, so Moje, könnte ein „erster Dominostein einer Welle sein, die insbesondere in ländlichen Gegenden dazu führen wird, dass immer mehr Menschen nicht mehr in ihren eigenen vier Wänden betreut werden können, sondern in die weitaus teurere Heimunterbringung müssen“.

Leistungsvergütungen und Pauschalen sind finanziell nicht auskömmlich

Das Problem der Pflegedienste sei, dass weder die pauschalen Leistungsvergütungen noch die Pauschalen für die Anfahrtswege finanziell auskömmlich seien, hält Moje fest. „Das gilt natürlich in verstärktem Maße für langjährig etablierte Arbeitgeber wie bei uns die Diakonie, die sowohl über einen äußerst erfahrenen (und damit teuren) Mitarbeiterstamm verfügen als auch Tarifgehälter zahlen, die gerade in der jüngsten Zeit – im Gegensatz zu den Erstattungen der Kranken- beziehungsweise Pflegekassen – sehr deutliche Steigerungen erfahren haben.“

Oliver Moje, Samtgemeindebürgermeister

Beides führe im Zusammenspiel jetzt dazu, dass in der Samtgemeinde über 200 Patientinnen und Patienten künftig ohne ambulante Hilfe dastehen.

Und auch in Sachen Tagespflege könnte zum 30. Juni Schluss sein, wenn sich bis spätestens Mitte Juni kein Übernahme-Interessent gefunden hat.

Rathauschef fordert Bundesgesundheitsminister auf, tätig zu werden

Moje macht deutlich: „Wir als 11.000-Einwohner-Samtgemeinde sind weder finanziell noch personell in der Lage, in diesem Bereich noch in die Bresche zu springen, da wir neben unseren Pflichtaufgaben ohnehin schon eine Vielzahl an eigentlichen Landes- beziehungsweise Bundesaufgaben übernommen haben, etwa im Bereich der Kinderbetreuung, der Flüchtlingsunterbringung oder der Schul-Sozialarbeit.“

Der Rathauschef sieht den Bundesgesundheitsminister in der Pflicht, tätig zu werden: „Ich appelliere daher dringend an Sie, dafür Sorge zu tragen, dass ambulante Krankenpflege auch auf dem Land auskömmlich finanziert wird, damit sich Träger finden, die bereit sind, unsere Patientinnen und Patienten aufzunehmen oder aber Maßnahmen zu treffen, die unsere Diakonie Sozialstation in die Lage versetzen, diese selbst weiter zu versorgen.“

Wir als 11.000-Einwohner-Samtgemeinde sind weder finanziell noch personell in der Lage, in diesem Bereich noch in die Bresche zu springen.

Oliver Moje, Samtgemeindebürgermeister

Weitere Artikel