TBaggersee-Mordprozess: Wirbel um Bekennerschreiben

So berichtete das TAGEBLATT am 12. August 2002. Foto: Archiv
Wie kam es zu dem Bekennerschreiben, dass der mutmaßliche Todesschütze im Gefängnis verfasste? Mit dieser Frage befasste sich nun das Gericht im Baggersee-Mordprozess und befragte die damals zuständige Justizbeamtin. Die Verhandlung begann aber mit einer Überraschung.
Buxtehude. Vor der 2. Großen Strafkammer am Landgericht Stade ist der Baggersee-Mordprozess gegen vier Männer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt sind, fortgesetzt worden. Im Mittelpunkt stand das Zustandekommen des Bekennerschreibens, in dem der Angeklagte K. seine Schuld eingestanden hatte. Dieses Schreiben hatte den Gerichtsprozess zu der Tat, die sich vor 22 Jahren an einem Baggersee in Buxtehude-Ovelgönne ereignet hatte, erst ausgelöst.
Obwohl der mutmaßliche Todesschütze sein ursprüngliches Geständnis, vor 22 Jahren einen Mann erschossen zu haben, widerrufen hat, halten der Vorsitzende Richter Dr. Julien Zazoff und die Staatsanwaltschaft das Bekennerschreiben für gerichtlich verwertbar. Er werde das an einem späteren Verhandlungstag in seiner Würdigung begründen, sagte der Richter.
Rechtsanwalt hätte dabei sein müssen
Die Rechtsanwälte der Angeklagten sind völlig anderer Auffassung. Zwar führt im deutschen Strafrecht ein Widerruf nicht dazu, dass sich der Inhalt eines Geständnisses in Luft auflöst; die Verteidiger sind aber der Meinung, dass das Bekennerschreiben unrechtmäßig zustande gekommen sei. Der Angeklagte hätte von einem Rechtsanwalt belehrt werden müssen - das sei versäumt worden.
Landgericht Stade
T Nach fast 22 Jahren: Auftakt im Buxtehuder Baggersee-Mordprozess
„Die Angaben sind nicht verwertbar“, sagte deshalb Rechtsanwalt Dr. Benjamin Tachau und stellte einen entsprechenden Antrag. Seiner Ansicht nach habe zudem eine Mitarbeiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Billwerder unzulässigerweise auf die Aussage hingewirkt.
So kam es zu dem Bekennerschreiben
Der 43 Jahre alte K. befand sich im vergangenen Jahr in Billwerder in Haft, als er das Bekennerschreiben verfasste. Dort sitzt er auch heute noch ein. Die 29 Jahre alte Abteilungsleitern der JVA berichtete nun als Zeugin, wie es damals zu dem Bekennerschreiben gekommen war.
K. habe das Notlicht betätigt. Er habe gezittert, sei völlig aufgelöst gewesen. Der Haftinsasse habe erzählen wollen, was ihn seit Jahren belastet. „Er sagte, er habe eine Person getötet“, berichtete die Justizangestellte. Sie informierte daraufhin die Polizei.

Der TAGEBLATT-Bericht vom 13. August 2002. Foto: Archiv
Beamte der Mordkommission meldeten sich am Telefon zurück. Sie könnten nicht sofort kommen. Wegen der Schwere der Schuld müsse ein Rechtsanwalt dabei sein. K. habe aber nicht abwarten wollen. Er müsse sich etwas von der Seele reden. Die Polizei ließ die Justizbeamtin wissen, dass K. aufschreiben dürfe, was er mitteilen möchte.
Angeklagte hatten Angst vor einem aggressiven Mann
„Ich habe ihn reden lassen, um einzuschätzen, wie instabil er ist und wie wir in der Haftanstalt darauf reagieren müssen“, schilderte die Justizbeamtin. Sie hatte sich damals Notizen gemacht, eine Art Erinnerungsprotokoll. Demnach habe K. erzählt, dass er und seine Kumpel, Namen nannte er nicht, Angst vor einem aggressiven Mann gehabt hätten, der damals am Baggersee Stress gemacht und sie bedroht habe. Zu dem möglichen Grund soll K. laut den Notizen gesagt haben: Er selbst und seine Kumpel seien damals „mafiamäßig unterwegs gewesen“.

TAGEBLATT-Bericht vom 14. August 2002. Foto: Archiv
Die vier Männer hätten beschlossen, sich vor dem fünften Mann zu schützen. K. habe ein Gewehr geholt, die anderen hätten am Baggersee gewartet. K. habe den Mann, von dem sie sich bedroht fühlten, erschossen. Das Bild, wie das Leben aus dem Menschen gewichen sei, habe er nie vergessen können.
Etwa drei Monate nach dem Verfassen des Bekennerschreibens seien drei Polizeibeamte in der Haftanstalt erschienen, um die Aussagen von K. und der Justizbeamtin aufzunehmen. Die Abteilungsleiterin habe dabei ihre Notizen vorgelesen.
Nicht das Klischee des knallharten Kriminellen
Der mutmaßliche Todesschütze entspricht offenbar nicht dem Klischee eines knallharten Kriminellen. Die Justizbeamtin schilderte ihre Eindrücke von dem Menschen und wie er sich in der Haft verhält. K. wirke niedergeschlagen und eingeschüchtert, sei stets freundlich und respektvoll. Er nehme nicht an Freizeitaktivitäten wie Tischtennis oder Tischfußball teil, vermeide den Kontakt zu anderen Insassen. In seiner Zelle sei es dunkel, er starre meist an die Wand.
K. habe sogar freiwillig länger in der Beobachtungshaftzelle bleiben wollen. Unter Kameras fühle er sich sicherer, berichtete die Justizbeamtin. Den Grund dafür habe er nicht genannt. Dass er Stimmen von Außerirdischen gehört haben will, habe er zumindest ihr gegenüber nie erwähnt.
Der Prozess wird am Montag, 13. Mai, 9.15 Uhr, fortgesetzt. Am Montag, 27. Mai, wird sich der Psychiater Dr. Harald Schmidt vor Gericht äußern.

So berichtete das TAGEBLATT am 12. August 2002. Foto: Archiv