TBaggersee-Mordprozess: Zeuge mit Erinnerungslücken macht Richter misstrauisch

Das Bild zeigt einen der Angeklagten (43) zum Prozessauftakt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, vor 22 Jahren einen Mann in Buxtehude erschossen zu haben. Foto: Thomas Sulzyc
Die brutale Tat am Baggersee bei Buxtehude liegt 22 Jahre zurück - und die Zeugen müssen versuchen, sich an den damaligen Tag zu erinnern. Das gelingt vielen im Mordprozess kaum. Bei einem Befragten hat das Gericht aber Zweifel an seiner Unwissenheit.
Buxtehude. Vor dem Landgericht Stade ist der Prozess gegen vier Männer, die wegen gemeinschaftlichen Mordes angeklagt sind, fortgesetzt worden. Der 27 Jahre alte Mann, den einer von ihnen erschossen haben soll, wurde in der Nacht zum 11. August 2002 tot aufgefunden. Das Gericht hörte am fünften Verhandlungstag Zeugen, die sich damals nahe dem Fundort an einem Baggersee in Buxtehude-Ovelgönne aufgehalten haben.
Nach beinahe 22 Jahren sind die Erinnerungslücken groß. Zeugen erinnern sich kaum oder gar nicht an das, was sie damals der Polizei gegenüber aussagten. Der Vorsitzende Richter Julien Zazoff darf das Protokoll nicht verlesen mit der Wirkung, dass die Verlesung die Aussage ersetzt. Vielmehr hält er den Zeugen immer wieder einzelne Passagen vor, um Erinnerungen zu wecken.
Zeugin erinnert einen Streit zwischen Männern
Eine heute 40 Jahre alte selbstständige Unternehmerin aus Hamburg-Harburg hatte an dem Tag, an dem sich die Tat ereignete, zusammen mit ihrer Schwester und Freunden an dem Baggersee gesessen. Sie erinnere sich, dass weiter entfernt zwei Männer miteinander gestritten hätten. Diese hätten laut gesprochen.
Laut Polizeiprotokoll soll bei dem Streit ein Mann den 27-Jährigen, der später getötet wurde, einen Angeber genannt haben. Der Mann soll anschließend bei einer Auseinandersetzung geschlagen worden und schnell zu Boden gegangen sein. An ihre damalige Aussage erinnert sich die Zeugin aber nicht mehr. „Es tut mir leid, es ist so lange her“, sagt sie.
Landgericht Stade
T Nach fast 22 Jahren: Auftakt im Buxtehuder Baggersee-Mordprozess
Immerhin: Einige Erinnerungen hat die Zeugin. Anders ein 41-Jähriger aus Winsen - er gibt sich einsilbig. Laut dem Polizeiprotokoll soll er mit einem der Angeklagten zusammen im Auto zu dem See zurückgefahren sein, weil dieser seine Geldbörse verloren hatte und diese dort suchen wollte. Stoisch wiederholt der Zeuge auf seine damaligen Aussagen bei der Polizei, die ihm der Richter vorhält: „Ich kann mich nicht erinnern.“ Auch, dass er von der Polizei befragt wurde, wisse er nicht mehr.
Richter halten Falschaussage für möglich
Woher er den Angeklagten kenne, wisse der Zeuge auch nicht. Laut Polizeivermerk hatten sich die beiden Männer an den Berufsbildenden Schulen Winsen kennengelernt. Wann er den Angeklagten zuletzt gesehen habe - auch daran keine Erinnerung, nicht einmal grob. Der Staatsanwalt hat Zweifel und fragt: „Werden Sie bedroht?“ Der Zeuge bringt einsilbig ein „Nee“ hervor.
Nach einer Unterbrechung der Sitzung ordnet Richter Julien Zazoff dem 41-Jährigen einen Zeugenbeistand zu. Das Gericht könne nicht ausschließen, dass sich der Zeuge einer Falschaussage schuldig mache. Er soll sich deshalb von der ihm zugeordneten Pflichtverteidigerin rechtlich beraten lassen oder sich selbst innerhalb einer Woche einen Anwalt nehmen. Am 29. April muss er wieder vor Gericht erscheinen. Der Zeuge gilt als besonders wichtig, er könnte ein Alibi bezeugen.
Verteidiger kritisieren Beschluss des Gerichts
Die Rechtsanwälte der Angeklagten reagieren empört. Das Gericht unterstelle eine Falschaussage, nur weil dem Gericht die Art des Mannes nicht passe. Es setze bei Zeugen ein unterschiedliches Maß an. Rechtsanwalt Florian Melloh: „Wir brauchen in diesem Prozess eine objektive Grundlage, wann Zweifel an der Erinnerungsleistung bestehen - und wann nicht.“