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Omas gegen Rechts

TBespuckt, beschimpft, beleidigt: Wie eine Staderin Rassismus im Alltag erlebt hat

Am Kopftuch einer Staderin nahm ein Unbekannter Anstoß. Er versuchte, es herunterzureißen, beschimpfte und bespuckte die Frau.

Am Kopftuch einer Staderin nahm ein Unbekannter Anstoß. Er versuchte, es herunterzureißen, beschimpfte und bespuckte die Frau. Foto: dpa

Weil sie Muslima und Kopftuchträgerin ist, wurde eine junge Frau mehrfach angegangen. Die Geschichte eines eindrücklichen Falls von Rassismus im Alltag.

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Von Anping Richter
Samstag, 05.07.2025, 18:50 Uhr

Stade. Eine Staderin wird an ihrem Arbeitsplatz in der Innenstadt von einem ihr unbekannten Mann beschimpft und angespuckt. Er versucht, ihr das Kopftuch herunterzureißen und wirft einen Aktenordner nach ihr. Eine Kollegin ist Zeugin. Es gelingt ihnen, den Mann des Geschäfts zu verweisen. Die Betroffene tut das Naheliegende: Sie ruft die Polizei.

Der geschilderte Vorfall ist unstrittig, er hat sich vor etwa einem Jahr ereignet. Dass er jetzt öffentlich wird, liegt an den Omas gegen Rechts.

Am 21. März, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, hatten sie einen Stand aufgebaut. „Mehrere Menschen haben uns von ihren Erfahrungen mit Rassismus im Alltag erzählt“, berichtet Gabriele Brockhausen von den Stader Omas. Einer der Fälle, der geschilderte, erschien ihnen so krass, dass sie ihn öffentlich machen wollten. Sie initiierten ein Treffen der Betroffenen mit dem TAGEBLATT, bei dem auch Gabriele Brockhausen zugegen war.

Polizei fordert zur Online-Anzeige auf

Der Hilferuf damals verlief nämlich anders als erwartet: Die Polizei bat die Betroffene, die Sache online anzuzeigen. Das tat die junge Frau - wegen Beleidigung, Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung. Doch sie war enttäuscht: Sie hatte gehofft, dass die Polizei auch kommen würde.

Wie sie berichtet, war der Täter einige Wochen zuvor schon einmal da gewesen. Er habe sie, weil sie Muslima und Kopftuchträgerin ist, beschimpft und verlangt, von jemand anderem bedient zu werden. Sie war allein im Geschäft, versuchte erfolglos, ihn umzustimmen und verwies ihn schließlich des Ladens. Beim zweiten Mal wurde er auch körperlich aggressiv - obwohl eine Kollegin und Kunden da waren.

Sie sei dem Mann noch mehrfach begegnet, berichtet das Opfer. Einmal habe er sogar gesagt: „Ich weiß, wo du wohnst.“ Sie erfuhr, wer er war, weil eine Bekannte ihn identifizierte, und teilte das der Polizei mit.

Später suchte ein Beamter sie auf. Er bot eine Einigung im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleichs an. Sie hätten den Mann besucht, nun wolle er sich vertragen und sie zum Kaffee einladen. „Ich habe geantwortet, dass ich nicht lebensmüde bin“, sagt sie. Die Anzeige erhielt sie aufrecht.

Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen ein

Es verging einige Zeit, bis sie von der Staatsanwaltschaft Stade hörte. Die Ermittlungen wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung wurden eingestellt, „mangels hinreichenden Tatverdachts“, heißt es in dem Schreiben.

Bedrohung und Beleidigung seien grundsätzlich durch eine Privatklage zu verfolgen. Die Staatsanwaltschaft könne in solchen Fällen „nur einschreiten, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, das heißt, eine breite Bevölkerungsschicht an der Bestrafung des Täters ein Interesse hat“.

Die junge Frau hätte Beschwerde einlegen können. „Die Frist lief aber nur einen Tag, nachdem ich das Schreiben im Briefkasten hatte, ab“, sagt sie. Sie verzichtete auch auf eine Privatklage. Doch die Sache beschäftigt sie noch immer, weil sie damit rechnen muss, dem Mann wieder zu begegnen.

Polizeinotruf aus Stade geht nach Lüneburg

Wie die Stader Polizei auf Nachfrage mitteilt, würde sie „natürlich bei akuten Bedrohungen, bei denen der Täter noch vor Ort oder in der Nähe ist, mindestens einen Streifenwagen zur Sachverhaltsaufnahme oder Personalienfeststellung entsenden“.

Doch 110-Notrufe gehen seit einigen Jahren nicht mehr vor Ort ein, sondern in der Polizeileitstelle in Lüneburg, wo der Diensthabende über den Umgang mit dem Fall entscheidet. Dass außer der Betroffenen keine weiteren Zeugen gehört wurden, liege daran, dass ihre Schilderung ausreichend glaubwürdig gewesen sei.

Da ein rassistischer Hintergrund nahelag, schaltete die Stader Polizei den Staatsschutz ein und besuchte den Beschuldigten. Die Polizei ist der Ansicht, dass schon die Ermittlungen und der Besuch bei ihm eine Verhaltensänderung erreicht haben und von ihm keine konkrete Gefahr für andere Taten ausgeht, zumal er bisher nicht polizeibekannt war.

Der Betroffenen sei auch ein Treffen mit dem Mann im geschützten Raum der Polizeiinspektion angeboten worden. Die Ermittlungen letztlich einzustellen, sei Entscheidung der Staatsanwaltschaft.

Oberstaatsanwalt Kai Thomas Breas begründet das so: Bei dem Wurf mit einem (leeren) Ordner, der die Betroffene verfehlte, hätten sie angenommen, dass es nicht nachzuweisen gewesen wäre, dass die Tat die Absicht hatte, die Frau zu treffen und schwer zu verletzen.

Das Anspucken sei zwar „extrem ekelhaft“, werde in der Regel aber als Beleidigung eingestuft. Bei Körperverletzung müsste es eine körperliche Versehrtheit nach sich ziehen. Breas betont, dass nur der Tatverdacht gefährlicher Körperverletzung eine Strafverfolgung seitens der Behörden erfordert. Gegen Beleidigung und Bedrohung stehe es der Betroffenen frei, privat zu klagen.

Staatsanwalt erkennt kein öffentliches Interesse

Doch was ist mit dem öffentlichen Interesse? Wäre nicht von einer Gefahr auch für andere Frauen auszugehen, wenn der Angriff des Mannes rassistisch und antimuslimisch motiviert war? „Wir haben die Feststellung getroffen, dass der Rechtsfrieden nicht über den Lebenskreis der Betroffenen hinaus gestört wird“, antwortet Breas. Die Privatklage stehe ihr nach wie vor frei: „Wenn sie es durchziehen würde, könnte dieser Mensch bestraft werden.“ Die junge Frau sagt, dass sie das auch immer noch in Erwägung zieht.

Die Stader Polizei räumt bei diesem Fall ein Versäumnis ein: Sie hat die Betroffene nicht auf die Möglichkeit hingewiesen, sich bei der Opferhilfe beraten zu lassen. Diese bietet psychosoziale Betreuung und Beratung, vermittelt weitergehende Hilfs- und Beratungsangebote, begleitet zu Gerichts-, Behörden-, Anwalts- und Arztterminen. Auf die Möglichkeit der Opferhilfe will die Polizei künftig konsequent hingeweisen.

Auch Stader Verwaltungsmitarbeiter erleben rassistische Anfeindungen

Rassistische Anfeindungen gab es auch bei der Stader Stadtverwaltung. „Wir beobachten eine zunehmende Spaltung in der Gesellschaft und wollen dem verstärkt entgegenwirken“, sagt Bürgermeister Sönke Hartlef.

Es gab mehrere Anlässe, zum Beispiel einen verbalen Angriff gegen Mitarbeitende im Einwohnermeldeamt. Kolleginnen eilten zur Hilfe, der Beleidiger wurde des Hauses verwiesen. „Vorbildlich“, sagt Hartlef.

Häufiger komme es aber vor, dass rassistische Beleidigungen scheinbar belanglos ansetzen: „Manche meinen, es sei Spaß. Aber für die Betroffenen ist es keiner.“

In den Fluren der Stader Stadtverwaltung hängen jetzt Poster gegen Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung.

In den Fluren der Stader Stadtverwaltung hängen jetzt Poster gegen Rassismus und jegliche Form der Diskriminierung. Foto: Stephan Voigt, Hansestadt Stade

Über den künftigen Umgang mit solchen Vorfällen hat Hartlef sich mit Vorstand und Fachbereichsleitungen besprochen. Nun werden Schulungen gegen Diskriminierung und Rassismus ins interne Fortbildungsprogramm aufgenommen.

In den Verwaltungsfluren hängen Poster. Darauf steht: „Wir in der Stadtverwaltung stehen für Toleranz und Respekt, für Offenheit und Vielfalt. Für Rassismus und jede andere Form von Diskriminierung und Ausgrenzung ist bei uns kein Platz. Unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, Behinderung und sexueller Orientierung hat jeder Mensch die gleiche Würde. Der Schutz und die Achtung der Menschenwürde sind Grundlage unseres täglichen Handelns.“

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