TBlutkrebs: 21-Jähriger aus Bliedersdorf will ein Leben retten - Was ihn bewegt

Florian Bahr bei der Stammzellspende im DKMS-Entnahmezentrum Dresden. Foto: Privat
Er will einem fremden Menschen das Leben retten: Florian Bahr aus Bliedersdorf hat Stammzellen gespendet, um damit einem anderen Menschen im Kampf gegen Blutkrebs zu helfen. Denn der 21-Jährige weiß selbst, wie wertvoll eine solche zweite Chance ist.
Bliedersdorf. Überraschend fit klingt Florian Bahr, als ihn das TAGEBLATT am frühen Dienstagabend telefonisch erreicht. „Ich bin eigentlich nur ein bisschen müde, sonst nichts.“ Mittags hatte er noch drei Stunden Blutwäsche im DKMS-Entnahmezentrum in Dresden hinter sich. Das Ganze lief wie bei einer Dialyse ab: An einem Arm fließt das Blut über eine Kanüle heraus, Stammzellen werden entnommen, und am anderen Arm läuft das gefilterte Blut wieder in den Körper.
Erst im Frühjahr registrierte sich Florian Bahr online bei der DKMS. Wenige Tage später kam das Registrierungskit: Mit dem Wattestäbchen machte er einen Wangenabstrich und schickte das Paket zurück an die DKMS. „Ich möchte Menschen helfen“, sagt er über seine Motivation.
Bahr: „Eigentlich war klar, dass ich es mache“
Keine sechs Monate später klingelte das Telefon. Der entscheidende Anruf ging auf die Mailbox. Er komme als Stammzellenspender infrage, hieß es. Trotz ursprünglicher Überzeugung brauchte der 21-Jährige etwas Zeit. „Es war Unsicherheit. Ich konnte mir die Szenarien einfach nicht vorstellen“, sagt Bahr.
Er beantwortete den Anruf nach einer Woche und erbat sich noch ein Wochenende Bedenkzeit. „Die habe ich gar nicht gebraucht, denn eigentlich war klar, dass ich es mache“, sagt Bahr rückblickend. Nach einem Bluttest beim Hausarzt war dann final klar: Es ist ein genetischer Treffer. Er könnte Stammzellen spenden.
Er könnte einen fremden Menschen retten
Wem Florian Bahr möglicherweise das Leben rettet, weiß er nicht. „Ich weiß über den Patienten gar nichts“, sagt er. „Aber das ändert nichts daran, dass ich helfen will.“ Wenn sich die Person später mit ihm treffen möchte, würde er das gerne machen, so Bahr weiter.
Für die Stammzellspende gibt es einige gesundheitliche Ausschlussfaktoren. Florian Bahr ist gesund, muss aber auch psychisch stabil sein. „Denn es ist ja nicht 100 Prozent klar, dass die Person durchkommt“, sagt auch Bahr. Die Belastung, dass die eigene Spende nicht ausreichte, um ein Leben zu retten, kann für alle Beteiligten ein harter Schlag sein.

Ein Familienmensch: Florian Bahr mit seinem Chihuahua Melody. Foto: Battmer
Seit Freitag verabreichte sich Florian Bahr Spritzen mit dem Wirkstoff G-CSF, der für eine erhöhte Ausschwemmung der Stammzellen ins Blut sorgt. Aufgeregt oder nervös sei er nicht gewesen. „Eher Vorfreude über die Chance, einem Menschen zu helfen“, beschreibt er seine Gefühlslage. Er wisse aus eigener Erfahrung, wie wertvoll so eine zweite Chance ist.
Ein Vorfall schweißt die Familie noch enger zusammen
2018 erlitt sein Vater einen Darmdurchbruch und ging „erst auf den letzten Drücker“ ins Krankenhaus. „Die Ärzte sagten uns nach der Not-OP, dass er die nächste Nacht wohl nicht überlebt hätte“, erzählt Florian Bahr. „Er hatte wohl schon das Licht am Ende des Tunnels gesehen.“
Zwei Jahre später verstarb sein Vater an einem plötzlichen Herztod. Doch diese zwei Jahre hätten die Familie noch einmal richtig zusammengeschweißt. „Ich weiß, wie es ist, eine zweite Chance zu bekommen“, sagt der 21-Jährige über die verbliebene Zeit mit seinem Vater.
Florian Bahr ist ein Familienmensch. Davon zeugen nicht nur seine Erzählungen, sondern auch die vielen Fotos an den Wänden. Die Familie lebt in Bliedersdorf quasi an einem Fleck: In zwei angrenzenden Häusern leben in eigenen Wohneinheiten auch seine Großeltern und seine Tante. Der Familienhund Melody, ein Chihuahua, schläft immer bei ihm.

Ein Familienmensch: Florian Bahr mit seinem Chihuahua Melody. Foto: Battmer
Familienmensch engagiert sich im Sportverein
Der junge Mann engagiert sich auch in seinem Sportverein. Beim FSV Bliedersdorf/Nottensdorf kickt er in der 3. Mannschaft, auch wenn er nach einem abgerissenen Sehnenansatz im Knie jetzt erst langsam wieder einsteigt. Außerdem ist der 21-Jährige Schiedsrichter, kümmert sich in seinem Verein als Obmann um die weiteren Unparteiischen und leitet die E-Sport-Sparte des Clubs, erzählt er.
Der Bliedersdorfer ist in seinem Heimatort zur Grundschule gegangen, später an die Oberschule Horneburg. Nach seiner Ausbildung zum Bürokaufmann merkte er schnell, dass das nichts für ihn ist. Er fing im vergangenen August an der BBS III in Stade eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger an. „Ich möchte Menschen helfen“, lautet erneut seine Erklärung für den Jobwechsel.
Zwei Jahre für „seinen“ Patienten reserviert
Von der DKMS sei er sehr gut betreut worden, erzählt Bahr. Sogar eine Liste mit Dos and Don'ts für Social Media hat er bekommen - dabei geht es vor allem um Datenschutz: Spendernummer, Geburtsdatum und Co sind in den sozialen Netzwerken tabu. Auf dem Handzettel stehen auch weitere wichtige Hinweise. Unter anderem: Zwei Jahre ist er jetzt für „seinen“ Patienten reserviert, falls eine weitere Stammzellspende nötig sein sollte.
Nach DKMS-Angaben ist das gesundheitliche Risiko für einen Stammzellenspender gering. Wirkt es sich dennoch auf den Alltag des 21-Jährigen aus? „Die Milz könnte anschwellen“, sagt er, „ansonsten soll ich keinen Sport machen, weil man durch die Spende Grippesymptome bekommen kann“. Sport fällt angesichts der Winterpause und seiner Knieverletzung eh aus. Und Arbeit? „Da Ferien sind...“, sagt Bahr grinsend. Und selbst wenn es anders wäre: Er ist einfach nur glücklich, jemandem zu helfen.
Über Blutkrebs
Nach Angaben der Deutschen Krebsgesellschaft erkranken in Deutschland jährlich etwa 11.400 Menschen an Leukämien, umgangssprachlich auch Blutkrebs genannt. Leukämien entstehen, wenn der normale Reifungsprozess der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) im Knochenmark durch eine Fehlschaltung bestimmter Kontrollgene unterbrochen ist. Anstelle von reifen, das heißt vollständig entwickelten und somit funktionstüchtigen weißen Blutkörperchen entstehen mehr oder weniger unausgereifte weiße Blutkörperchen. Diese Zellen sind in der Regel nicht funktionsfähig und haben zudem die Eigenschaft, sich rasch und unkontrolliert zu vermehren. Sie verdrängen dadurch zunehmend die normale Blutbildung im Knochenmark, so dass gesunde weiße Blutkörperchen sowie rote Blutkörperchen und Blutplättchen nicht mehr im notwendigen Umfang gebildet werden. Alle Blutzellen – weiße und rote Blutkörperchen sowie Blutplättchen – stammen von einer gemeinsamen „Mutterzelle“ im Knochenmark, der blutbildenden Stammzelle ab.
(Quelle: Deutsche Krebshilfe)
Die DKMS
Die DKMS, ehemals Deutsche Knochenmarkspenderdatei, ist eine internationale gemeinnützige Organisation und wurde 1991 in Deutschland von Dr. Peter Harf gegründet. Ziel ist es, möglichst vielen Blutkrebspatienten eine zweite Chance zu geben. In der DKMS sind nach eigenen Angaben mehr als 12 Millionen potenzielle Spender registriert, bis heute hat die Organisation mehr als 110.000 Stammzellspenden in 57 Ländern vermittelt. Die DKMS ist außer in Deutschland in den USA, Polen, Großbritannien, Chile, Indien und Südafrika aktiv.